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Jakob Gail als Robert L. und Anna Staab als Marguerite Duras in einem alten Bus in „Der Schmerz“. Kein Zueinander mehr: Robert L. und Marguerite. © Seweryn Zelazny

Das Theater Willy Praml zeigt in der Naxoshalle Frankfurt „Der Schmerz“ mit Texten von Marguerite Duras.

Die Schauspielerin Birgit Heuser wird vor jeder Vorstellung eine Einführung anbieten zu Marguerite Duras, deren tagebuchartige, spät veröffentlichte Texte aus dem Band „Der Schmerz“ Grundlage des neuen Abends des Theaters Willy Praml sind. Das beginnt bei der Gewalt, die Marguerite von Mutter und Bruder erfährt, geht weiter mit Liebhabern und Beteiligung an der Résistance im Krieg, und endet mit der letzten Liebe, einem 40 Jahre jüngeren Studenten. Heusers konziser Vortrag sei mit Nachdruck empfohlen.

Dann geht es in der Naxoshalle auf eine Art Seitenbühne, dort steht ein alter, rostiger Bus, drinnen ein Klavier, nach oben eine Öffnung, durch die vor allem Jakob Gail als Robert L. aufs Dach klettert oder sich hinunterhängen lässt ins Innere bis zur Erschöpfung. Einmal tropft der Schweiß.

Das Publikum sitzt auf den Längsseiten, nah am Bus. Anna Staab hat als Marguerite gerade noch genug Platz, um immer wieder um das Fahrzeug/die Bühne zu marschieren. Wütend. Getrieben von der Sorge. Denn darum, um eine ganz bestimmte Zeitspanne im Leben von Marguerite Duras geht es in der Aufführung von rund zwei pausenlosen Stunden, in der Inszenierung von Michael Weber, der auch die Textfassung und die Bühne verantwortet.

Duras bangt damals um ihren Mann, den Schriftsteller Robert Antelme (den sie Robert L. nennt). Er war Résistance-Kämpfer, wird im Juni 1944 von den Deutschen verhaftet, deportiert ins Konzentrationslager Buchenwald. Dann hört man von der Befreiung der Lager, Verschleppte kommen zurück – aber wo bleibt Robert? Und warum sollte er nicht zurückkommen, er ist doch „kein Sonderfall“? Doch warum kommt keine Nachricht, warum ruft niemand an? Warum klingelt er nicht an der Tür? Sie hört auch von Todesmärschen. Stellt sich also vor, wie ihr Mann in einem Graben liegt, die Beine angezogen, tot, seit Tagen schon. „Sein Tod ist in mir.“

Marguerite Duras beschreibt, wie Frauen vor einem Auffanglager warten, Tag und Nacht. Sie beschreibt, wie sie Namen schreien. Sie schreibt auf, wie zwei Pfadfinder einen Mann tragen, einen Greis (aber ist er ein Greis?), wie sie zwei Jungen befragt, Deportierte, die im Bett liegen. Sie wollen Robert gesehen haben, erinnern sich nicht mehr genau, wann. Sie wird rabiat. Die jungen Männer sagen: „Aber wir sind so erschöpft.“

Wie immer kommt Regisseur Weber mit ganz wenig aus, setzt auf das präzise Sprechen und auch mal körperlich schonungslose Spiel des Ensembles. Auf das Gesicht von Anna Staab im Licht eines Feuerzeugs. Auf immer mal knisternde Musik aus einem kleinen Radio, das Jakob Gail mit sich trägt; unter den Titeln ist Charles Trenets „La Mer“.

Als tröstende, aber nicht wirklich tröstende Präsenz ist in diesen Tagen des Wartens oft D. bei Marguerite – Muawia Harb ist „D.“, der Lektor und Schriftsteller Dionys Mascolo, den Duras nach der Scheidung von Antelme heiratete. Er will sie zum Essen einladen, er meint es gut. „Ich habe nie wieder Hunger“, sagt sie.

Da weiß sie noch nicht, dass Robert zurückkommen wird, mit etwa 37 Kilo bei einer Größe von 1,78. (Gail trägt darum von Anfang an einen Anzug, der ihm viel zu groß ist, ständig muss er die Hose festhalten; Kostüme Paula Kern.) Seine Retter, zwei Abgesandte François Mitterrands, haben ihn nur an seinen Zähnen wiedererkannt – während sie ihn nur „aus sehr weiter Entfernung“ erkennt, wie sie schreibt. „Das Unglaubliche war, dass er noch lebte.“

Ein Kirschkuchen wartet auf ihn, aber er darf nicht davon essen, es könnte ihn umbringen. Von jenen, die in seiner Nähe nur auf Zehenspitzen gehen, bekommt er „goldgelben Brei“. Sein Stuhlgang ist dunkelgrün, nicht menschlich. Nach 17 Tagen kann er normaler essen, von nun an isst er „mit beständiger Freude“.

Der Abend endet mit einem Moment ein Jahr und vier Monate nach der Rückkehr. Marguerite will sich scheiden lassen, aber das Ehepaar ist noch einmal nach Italien ans Meer gefahren. Die Duras notiert, wie um sie herum Kinder lachen, aber: „Robert L. lacht nicht.“

Staab und Harb haben den Bus weggeschoben, Gail liegt in Badehose auf nacktem Boden, als genieße er die Sonne. In den Blackout fällt der letzte Satz der Duras: „Er ist nicht im Konzentrationslager gestorben.“

Theater Willy Praml, Produktionshaus Naxos, Frankfurt: 22., 24., 25., 30., 31. Oktober, 1., 2., 6., 8., November. theaterwillypraml.de