Die Statistiken, die Olaf Rebbe vorzulegen hat, lesen sich alles andere als gut. Zwar verbrachte er beinahe vier Jahre beim 1. FC Nürnberg, doch nach allem, was man weiß, hat er in dieser Zeit kein einziges Tor geschossen und kein einziges verhindert. Wenn man sich recht entsinnt, hat Rebbe noch nicht einmal einen Zweikampf gewonnen oder einen Pass angebracht. Zu seiner Verteidigung könnte er zwar vorbringen, dass er ja Funktionär ist und deshalb in all den Jahren gar nicht auf dem Platz gestanden hat – aber es gibt da ein Gegenargument, das sogar noch besser ist: Rebbe, 47, hat unzählige Tore vorbereitet – es wurde bloß nicht erfasst.
Der Fußball ist inzwischen derart von Daten durchtränkt, dass in irgendeiner Statistik bestimmt festgehalten wurde, wann die Nürnberger zuletzt bei elf Grad Außentemperatur gegen einen Gegner in weißen Trikots unentschieden gespielt haben, wie sie es am Sonntag beim 1:1 gegen Holstein Kiel taten. Aber keine Datenbank, kein Mitarbeiter eines Verbandes, nicht einmal eine Künstliche Intelligenz hat bislang ermittelt, wie viele Tore Rebbe mit seinen Transfers als Sportdirektor beim Club auf den Weg gebracht hat. Die Zahl dürfte jedenfalls zweistellig gewesen sein, bis Rebbe im Februar endgültig um die Gelegenheit gebracht wurde, einmal vielleicht doch noch ein Tor für Nürnberg zu schießen: Er wurde freigestellt.
Damals ging es um Kompetenzen und Geltungsbedürfnisse in der Zusammenarbeit mit Sportvorstand Joti Chatzialexiou. Jetzt, acht Monate später, war die Personalie in Nürnberg zumindest für kurze Zeit wieder ein Thema, weil Rebbe am Sonntag erstmals seit seinem Abschied wieder ins Max-Morlock-Stadion kam. Er ist jetzt Geschäftsführer Sport in Kiel und dürfte die Nürnberger Mannschaft bei seiner Rückkehr kaum wiedererkannt haben.
Nach Rebbes Aus hat der Club seinen Kader ja kernsaniert und von Grund auf umgebaut. Am Sonntag prägte dann ein Akteur die 90 Minuten, der zu Rebbes Nürnberg-Zeit noch in der drittklassigen Serie C in Italien spielte: Mohamed Ali Zoma.
Das Spiel war noch keine 180 Sekunden alt, als der Angreifer in den Kieler Sechzehner eindrang und zu Fall kam – Elfmeter gab es aber zu Recht nicht. Auch im weiteren Verlauf blieb Zoma der auffälligste Spieler auf dem Feld. Nach knapp einer halben Stunde erzielte er das 1:0, er erlief den Ball und setzte ihn aus spitzem Winkel unter die Latte. Als Zoma später aber an ebenjener Latte scheiterte und dann auch noch zwei Chancen vor Kiels Torwart Jonas Krumrey vergab, wurde klar, wie sehr er gerade sinnbildlich für die gegenwärtige Verfassung der Nürnberger steht: Der Club findet allmählich zu sich und kommt in kleinen Schritten voran, hat aber noch einen weiten Weg zu gehen.
Die Nürnberger Mannschaft entwickelt sich, ist aber noch nicht so weit, um zuverlässig Spiele zu gewinnen
„Natürlich hätte uns ein Dreier gutgetan“, sagte Nürnbergs Trainer Miroslav Klose nach dem Remis gegen Kiel, „aber ich sehe auch, dass mittlerweile viele Sachen besser ineinander greifen. Wir kreieren mehr hochkarätige Torchancen, müssen aber auch noch ein paar Sachen trainieren.“ Vor dem Hintergrund dieser Einordnung war es folgerichtig, dass das Spiel am Sonntag unentschieden endete – schließlich bildete es exakt ab, wie es gerade um den FCN bestellt ist: Die Mannschaft entwickelt sich, ist aber noch nicht so weit, um zuverlässig Spiele zu gewinnen.
„Die Leistung war wieder mindestens ordentlich“, sagte Mittelfeldspieler Julian Justvan, er fand aber auch Anlass zu Kritik, als er über die mangelnde Chancenverwertung sprach: „Auf Dauer wird das nicht gut gehen. Du musst versuchen, früher den Deckel draufzumachen.“ Weil das nicht gelang und Kiel in der zweiten Hälfte die Initiative übernahm, fiel kurz vor Schluss noch der Ausgleich: Nach einer Flanke hatte Carl Johansson am entfernten Pfosten erstaunlich viel Freiraum und traf per Kopf. Ein Gegentor, das demselben Muster folgte wie viele andere Gegentore zuvor. Auch das meinte Klose also, als er von „Sachen“ sprach, die es zu trainieren gelte. Aber, und das war für den Club und ihn selbst erfreulich: Es geht jetzt wieder um Fußball in Nürnberg.
Nach wochenlangen Debatten um die Größe des Kaders (äußerst groß), dessen Zusammenstellung (sehr spät) und Kloses Anteil an der Krise (vorhanden, wenn auch geringer als Chatzialexious) kreisen die Themen nun wieder um das, was auf dem Rasen passiert. Zumindest bis auf Weiteres ist die Zeit der Lupen und Goldwaagen vorbei.
Als die Krise besonders tief war, spielte sich alles unter dem Brennglas ab. Jede einzelne Geste, jeder Satz, jede noch so nebensächliche Entscheidung wurde interpretiert, hinterfragt, debattiert. Inzwischen ist die Lage zwar längst noch nicht entschärft, Klose selbst sprach am Sonntag davon, dass es „schon noch länger so sein“ werde, „dass wir da unten sind“. Er nannte die Themen, Prozesse und Inhalte aber auch „normal in einer Saison“.
Selbst die Personalie Rebbe bekam Klose mit wenigen und unverfänglichen Sätzen abmoderiert. Als die beiden im Pressekonferenzraum aufeinandertrafen, hatte es beinahe herzlich gewirkt. Später sagte Klose, sie seien beide Menschen, und jeder habe gewinnen wollen. Das gelang weder dem einen noch dem anderen – und das war bezeichnend.