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Die argentinische Staatsanwaltschaft ermittelt laut team.recherche in 48 Fällen von Leihmutterschaft. Der Vorwurf: Menschenhandel. Auslöser war ein Baby für ein deutsches Paar. Die Recherchen geben Einblick in ein milliardenschweres Geschäft.
Von Lea Busch, Marie Blöcher, Annette Kammerer, NDR
Im November 2023 reist das deutsche Paar Heike und Claude nach Buenos Aires, um ihr Baby in Empfang zu nehmen. Ruby* wird in Argentinien von einer Leihmutter geboren. Heike und Claude sind zu diesem Zeitpunkt bereits Ende 50. Sie hatten das Baby zuvor über eine Agentur beauftragt und dafür fast 50.000 Euro gezahlt.
Zurück in Deutschland erkältet sich Ruby. Heike bringt das etwa sechs Wochen alte Baby wegen Atembeschwerden ins Krankenhaus. Die Mitarbeitenden stutzen: Ruby besitzt nur argentinische Papiere. Auch das hohe Alter von Heike fällt wohl auf. Zudem soll sie unsicher im Umgang mit dem Kind gewirkt haben. Das Krankenhaus schaltet das Jugendamt ein. Das befürchtet eine Kindeswohlgefährdung und nimmt Ruby in Obhut.
„Neue Dimension“
Die deutschen Stellen informieren außerdem die Behörden in Argentinien. Dort wird Ruby zum „caso zero“ – zum „Fall Null“, der zu umfangreichen Ermittlungen rund um das Geschäft mit der Leihmutterschaft führt. Der Vorwurf: Menschenhandel und Ausbeutung vulnerabler Frauen in 48 Fällen. Das geht aus den NDR-Recherchen für das ARD-Format team.recherche hervor.
Laut argentinischer Staatsanwaltschaft soll ein „kriminelles Netzwerk“ mit dem Kinderwunsch von ausländischen Paaren Geschäfte gemacht haben. Das Netzwerk erstrecke sich über Kliniken, Notariate bis hin zu Agenturen, erklärt Verónica Toller, Leiterin des Ausschusses zur Bekämpfung von Menschenhandel im Ministerium für Nationale Sicherheit.
„Die Aktivitäten und die Netzwerke“, sagt Toller, seien eine „neue Form“ des Menschenhandels. Auch Dokumente, die dem NDR vorliegen, sprechen von einer systematischen Praxis, bei der gezielt wirtschaftlich benachteiligte Frauen als Leihmütter angeworben worden sein sollen.
In Deutschland verboten
In Deutschland ist Leihmutterschaft gesetzlich verboten. Eine Beauftragung im Ausland ist für Paare wie Heike und Claude aber nicht strafbar. Wie viele Kinder jährlich durch Leihmutterschaft nach Deutschland kommen, ist statistisch nicht erfasst.
Marktforschungsinstitute wie „Global Markets Insights“ oder „Precendence Research“ schätzen den weltweiten Umsatz mit Leihmutterschaft für das Jahr 2024 auf umgerechnet knapp 19 Milliarden Euro – Tendenz steigend. Internationale Abkommen oder Regelungen zu Leihmutterschaft gibt es nicht.
Von legal bis illegal
Die NDR-Recherchen zeigen: Kommerzielle Agenturen nutzen immer wieder bestehende nationale Gesetzeslücken oder überschreiten offenbar auch bewusst rechtliche Grenzen. So sagte eine in Griechenland tätige Agentur gegenüber den NDR-Reporterinnen, dass man Leihmütter aus dem Ausland einfliegen und erst nach deren Rückkehr in ihre Heimatländer bezahlen würde – Leihmutterschaft gegen Bezahlung ist in Griechenland verboten.
Das Geld, so erklärt die Agentur später auf Nachfrage, sei lediglich eine „Aufwandsentschädigung“ und damit legal. Mittlerweile hat das Land die Vorgaben für Leihmutterschaft noch einmal verschärft.
In Argentinien klafft eine Regelungslücke: Leihmutterschaft ist hier gesetzlich weder ausdrücklich erlaubt noch verboten. Da die argentinische Verfassung jedoch den Verkauf von Körpern untersagt, stuft die Staatsanwaltschaft kommerzielle Leihmutterschaft – also gegen Bezahlung – als verfassungswidrig ein.
Der sogenannte Case Manager der Leihmutteragentur, der Rubys Geburt organisiert hat, äußert sich im Interview mit team.recherche. Der gebürtige Argentinier Carlos Leiva rühmt sich darin, sein Heimatland als Markt für Leihmutterschaft „gefunden“ zu haben. Er sei seit 15 Jahren im Business und habe schon mehr als 400 Familien zu Kindern verholfen. „Für sie bin ich Gott“, sagt er im Interview.
Ohne Vertrag
Carlos Leiva bestreitet, dass er und die mit ihm verbundenen Agenturen in Argentinien kommerzielle Leihmutterschaften angeboten haben. Es gäbe keinen „kommerziellen Vertrag“, sagt er. Rubys Leihmutter habe nur eine „medizinische Einverständniserklärung“ unterschrieben.
Laut den Recherchen soll die Leihmutter von Ruby trotzdem Geld bekommen haben. 10.000 Dollar seien Alejandra M. für die Leihmutterschaft angeboten und teils in bar übergeben worden. „Ich brauchte das Geld“, erklärt die alleinerziehende Mutter. Laut Carlos Leiva sei das allerdings kein Honorar gewesen, sondern eine „Aufwandsentschädigung“. Weiter sagte Carlos Leiva: „Alles im Leben ist kommerziell.“ Gegen ihn wird in mehr als 20 Fällen ermittelt.
Komplexe Firmenstrukturen
Die Agentur, für die Leiva als stellvertretender Geschäftsführer arbeitet, ist Teil eines komplexen Firmennetzwerks. MAHRTA LLC hat ihren Sitz in Delaware, ein US-Bundesstaat, der auch für Briefkastenfirmen bekannt ist. Die Agentur soll mehr als vier Millionen US-Dollar Umsatz machen.
Ursprünglich hatte das deutsche Paar Heike und Claude allerdings Kontakt zu einer anderen Agentur: GAIA. Diese hatte ihnen auf einer Kinderwunschmesse in Deutschland das sogenannte „Argentinien-Programm“ vorgestellt. GAIA hat ihren Sitz auf Zypern und leitete Heike und Claude an MAHRTA LLC weiter. GAIA beantwortete eine Anfrage dazu nicht.
Kritik wegen fehlender Kontrollen
Betroffene Paare und Aktivisten bemängeln, dass eine rechtliche Regelung von Leihmutterschaft und eine Kontrolle der Agenturen fehle. Das Verbot in Deutschland hält Paare nicht davon ab, Leihmutterschaft in Anspruch zu nehmen. „Leihmutterschaft ist Lebensrealität in Deutschland“, sagt Tobias Devooght vom Verein zur Förderung der Legalisierung der Leihmutterschaft in Deutschland.
Ein wegweisendes Urteil des Bundesgerichtshofs vereinfacht unter bestimmten Voraussetzungen die rechtliche Anerkennung von Eltern, deren Kinder durch Leihmutterschaft im Ausland geboren wurden. Standards und Regeln – etwa zur Überprüfung von sogenannten Wunscheltern – für die kommerziellen Leihmutter-Agenturen gibt es aber nicht.
„Wir sind in Deutschland an einem Punkt, wo wir immer noch über das Ja-Nein diskutieren, statt über das Wie“, so Tobias Devooght. Der Anwalt für Familienrecht, Marko Oldenburger, der Paare zu Leihmutterschaft im Ausland berät, sagt, dass es an „mutigen rechtlichen Entscheidungen“ fehlt.
Gesetz von 1990
Das Embryonenschutzgesetz, das Leihmutterschaft verbietet, wurde 1990 beschlossen. Die ehemalige Bundestagsabgeordnete und frauenpolitische Sprecherin der SPD, Leni Breymaier, sagt dazu, dass seitdem medizinisch sehr viel möglich geworden sei. Sie hält das Verbot in Deutschland aber für richtig, um Leihmütter vor Ausbeutung zu schützen und die Rechte der Kinder zu wahren. „Es fließt Geld und anschließend wird ein Menschenkind überreicht. Das ist Menschenhandel“, sagt Breymaier im Interview.
Das Thema Leihmutterschaft wird im aktuellen Koalitionsvertrag nicht ausdrücklich behandelt. Auf Nachfrage teilte das Familienministerium mit, man habe sich außerdem bislang nicht mit den Ergebnissen einer Kommission zum Thema Leihmutterschaft beschäftigt. Diese war unter der vorherigen Ampelregierung eingesetzt worden.
Wo soll Ruby leben?
Vor deutschen Gerichten wird derzeit darüber verhandelt, wo Ruby künftig aufwachsen soll. Das zuständige Jugendamt hält das deutsche Paar für nicht geeignet, das Kind zu betreuen. Nach deutschem Recht gilt Alejandra M. als rechtliche Mutter. Das Verfahren dauert inzwischen über anderthalb Jahre – eine ungewöhnlich lange Zeit, wie auch das Jugendamt auf Nachfrage einräumt.
Ruby lebt seither bei einer Pflegemutter. Die Ermittlungen in Argentinien dauern an. Carlos Leiva hat nach eigenen Angaben bereits ausgesagt: „Ich habe nichts falsch gemacht.“ Leihmutterschaften in Argentinien biete er mittlerweile nicht mehr an. Kolumbien, so erzählt er, sei der nächste neue Markt.
Wenn Babys zur Ware werden – das Leihmutter-Business – ab sofort in der ARD Mediathek