Seit den frühen 2000er Jahren ist die Liberalisierung des Bahnverkehrs ein zentraler Bestandteil der europäischen Verkehrspolitik. Ihren Fürsprecher*innen zufolge führt Wettbewerb zu einer verbesserten Dienstleistungsqualität sowie zu steigenden Fahrgastzahlen. Diese Behauptung lässt sich allerdings leicht widerlegen, denn die Fahrgastzahlen nahmen bereits vor – und nicht erst nach – den Liberalisierungsmaßnahmen zu, was darauf schließen lässt, dass hier andere Faktoren eine Rolle spielen.

Gareth Dennis ist mit einer Auszeichnung geehrter Eisenbahningenieur und Autor. Er moderiert die wöchentliche Sendung #Railnatter und setzt sich in Podcasts, im Radio, im Fernsehen sowie in Printmedien für die Bahn als zentrales Element einer nachhaltigen Zukunft ein. Er ist Autor des internationalen Bestsellers How the Railways Will Fix the Future und Mitbegründer der Initiative «Campaign for Level Boarding». Auf Social Media ist er unter @GarethDennis zu finden.

Die Kritik an einem fragmentierten und privatisierten Bahnbetrieb stützt sich wiederum auf drei zentrale Argumente. Erstens ist der Eisenbahnverkehr ein hochkomplexes System, in dem die Einführung kommerzieller Trennlinien an technischen Schnittstellen zu einer Gefährdung von Sicherheit und Effizienz führen kann. Zweitens sind Bahnbetriebe geografische Monopole, in denen Marktbedingungen – wenn überhaupt – nur künstlich hergestellt werden. Drittens handelt es sich beim Bahnverkehr um eine öffentliche Dienstleistung, die nicht scheitern darf. Die Einbeziehung privater Interessen führt daher dazu, dass Gewinne in private Hände fließen, während der Staat die finanziellen Risiken trägt. Kurz gesagt: Private Akteure schöpfen Profite ab, die ansonsten in das System reinvestiert werden könnten.      

Großbritannien war eines der ersten europäischen Länder, das große Teile seines Bahnverkehrs privatisierte (mit Ausnahme Nordirlands, dessen Bahnen in öffentlicher Hand verblieben und staatlich betrieben werden). Die Folgen dieser Privatisierung sind aufschlussreich, wenn wir wissen wollen, was das endgültige Ziel der Liberalisierung ist. Soviel sei schon mal verraten: Die Aussichten sind finster. 

Das Familiensilber wird verhökert

Zwischen 1988 und 1997 wurde das zusammenhängende Bahnnetz von Wales, Schottland und England schrittweise privatisiert, beginnend mit der inländischen Zugproduktion. Dies erfolgte im Rahmen eines massiven Ausverkaufs öffentlicher Vermögenswerte in Folge einer umfassenden Finanzialisierung der britischen Wirtschaft. So wurde etwa die Wasserversorgung in England und Wales im Laufe der 1980er Jahre vollständig privatisiert – ein weltweit bislang einmaliger Vorgang. 

Aus den archivierten Unterlagen der damaligen Premierministerin Margret Thatcher lässt sich die politische Motivation hinter dieser Massenprivatisierung klar nachvollziehen. Erstens sollte der Verkauf der Wasserwerke mit ihren über 50.000 Beschäftigten das «Privatisierungsprogramm» maßgeblich vorantreiben. Zweitens sollten notwendige Investitionen in eine alternde Infrastruktur aus den öffentlichen Haushalten ausgelagert werden. Und drittens erhoffte man sich, den Anteil privater Aktionär*innen zu erhöhen, staatliches Eingreifen zu begrenzen und neue Finanzanlagen für den Handel zu schaffen. Auffällig ist, dass sich keine der Begründungen auf eine Verbesserung der Qualität oder einen Ausbau des Angebots bezogen.

Und so kommen wir zurück zum Bahnverkehr. 1990 schien es für British Rail bergauf zu gehen. Die Fahrgastzahlen nahmen seit Mitte der 1980er Jahre stetig zu. Im Durchschnitt mussten nur etwa 20 Prozent der Betriebskosten durch öffentliche Zuschüsse finanziert werden, womit das britische Bahnsystem als eines der effizientesten in ganz Europa galt. Projekte für städtische, regionale und Hochgeschwindigkeitsverbindungen waren bereits umgesetzt oder befanden sich – im letzteren Fall – in einem fortgeschrittenen Entwicklungsstadium.

Drei Leasinggesellschaften für Schienenfahrzeuge kauften – zu Spottpreisen – eine riesige Flotte wertvoller Züge, für deren Anschaffung British Rail über Jahrzehnte gespart und geknausert hatte.

Dann kam es in den frühen 1990er Jahren zu einer Rezession. Die eingeschränkten Staatsausgaben und Privatisierungen öffentlicher Dienstleistungen des letzten Jahrzehnts wirkten sich auf die Fahrgastzahlen aus und versetzten die Regierung in Panik. Thatchers Doktrin «Alles verkaufen, nur nicht die Eisenbahn» wurde plötzlich über Bord geworfen und Pläne für die Privatisierung des Bahnsektors wurden in Gang gesetzt. 

Im Juli 1992 erschien ein Weißbuch mit dem Titel «New Opportunities for the Railways» (Neue Chancen für den Bahnbetrieb), das maßgeblich von Bürokrat*innen des Finanzministeriums sowie deren Berater*innen am Adam Smith Institute in der Tufton Street in London geprägt war. Sie empfahlen nichts Geringeres als die vollständige Aufspaltung des bis dahin integrierten Eisenbahnsystems – mit dem Ziel, möglichst viele voneinander unabhängige Einheiten zu schaffen und somit vermeintliche Wettbewerbschancen zu maximieren.

Am 1. April 1994 trat der «Railways Act» in Kraft und leitete den Niedergang von British Rail ein. Dabei sollte erwähnt werden, dass die Privatisierung bereits in den 1980er Jahren eingesetzt hatte: So wurden etwa die Zugproduktion in Derby sowie verschiedene Fährbetriebe verkauft. Aber die 1990er Jahre waren anders – was sich jetzt abspielte, war ein regelrechter Ausverkauf.

Tödliche Nebenwirkungen

Die erste private Einheit, die eingerichtet wurde, war Railtrack, das die Bahninfrastruktur – also Schienen, Signalanlagen und Bahnhöfe – übernahm. Es wurden sieben Einheiten für die Instandhaltung der Infrastruktur und sechs für die Streckenerneuerung geschaffen, um Wartung von Bahnbetrieb zu trennen. Außerdem entstanden sechs Güterverkehrsunternehmen. Hinzu kamen 25 Betriebseinheiten für den Personenverkehr, die ab 1996 im Rahmen von Franchise-Verträgen an private Eisenbahnverkehrsunternehmen vergeben wurden.

Drei Leasinggesellschaften für Schienenfahrzeuge (Rolling Stock Operating Companies, kurz ROSCOs) kauften – zu Spottpreisen – eine riesige Flotte wertvoller Züge, für deren Anschaffung British Rail über Jahrzehnte gespart und geknausert hatte. Diese Züge wurden anschließend zu horrenden Preisen und unter kaum vorhandener Aufsicht an die Eisenbahnverkehrsunternehmen zurückvermietet, was zu einem erheblichen Kapitalabfluss aus der Branche führte. Dieses Modell war unter anderem auch die Ursache eines der meistbeklagten Ärgernisse britischer Passagier*innen: der weitverbreitete Einsatz möglichst kurzer Züge, um Leasingkosten zu sparen, ohne Rücksicht auf deren Überfüllung.

Eine weitere Folge davon, dass die ROSCOs ihre Lokomotiven und Waggons günstig einkaufen konnten, um sie anschließend zu hohen Preisen zu vermieten, war der beinahe vollständige Zusammenbruch der britischen Zugproduktion. Es gab kaum Anreize, das von British Rail angestoßene Flottenerneuerungsprogramm fortzuführen. Nach der Privatisierung blieben ausschließlich die noch nicht vollständig abgearbeiteten Bestellungen von British Rail erhalten, weshalb bis Anfang der 2000er Jahre kaum neue Personenzüge gebaut wurden. Dies führte dazu, dass nahezu alle Produktionsstätten – mit Ausnahme der Werke in Derby – ihren Betrieb einstellen mussten. Die neuen Werke, die seither in Newton Aycliffe und Newport errichtet wurden, entstanden mit erheblichem finanziellem Aufwand. Doch auch sie sind vor allem aufgrund des Fehlens einer langfristigen Strategie für den Schienenfahrzeugbau im Vereinigten Königreich wieder bedroht.

Am 1. April 1997 waren sämtliche Franchise-Verträge vergeben und zahlreiche Regulierungs- sowie Verwaltungsbehörden eingerichtet worden, die das System zusammenhalten sollten. Damit war die Privatisierung im Wesentlichen abgeschlossen, und die scheidende Regierung hatte ihr Ziel erreicht, den Prozess noch vor der nächsten Parlamentswahl zu Ende zu bringen. Die neue Labour-Regierung wiederum löste ihr Versprechen nicht ein, den Privatisierungsprozess rückgängig zu machen.

Die Franchiseverträge, inzwischen direkt vom Verkehrsministerium verwaltet, wurden zunehmend komplexer und restriktiver.

Im September 1997 kollidierte allerdings in Southall, London, ein Schnellzug mit einem Güterzug. Sieben Menschen kamen ums Leben, 139 wurden verletzt. Als Hauptursache des Unglücks wurde die mangelhafte Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Einheiten des Bahnverkehrs ausgemacht. Es war das erste einer Reihe tödlicher Unglücke, die auf die neue Struktur der Bahn zurückzuführen waren.

Nachdem im Oktober 1999 bei einem Unfall in Ladbroke Grove 31 Menschen starben und 417 verletzt wurden, wurden weitreichende Änderungen der Sicherheitsvorschriften eingeführt. Die Entgleisung eines Schnellzugs bei Hatfield im Oktober 2000, bei der vier Menschen ums Leben kamen und 70 verletzt wurden, erschütterte die gesamte Branche. Denn die Ursache lag unmittelbar in Railtracks Selbstbild begründet, das sich nicht als technisch-operativer Betrieb, sondern als reine Vertragsverwaltungsorganisation verstand. Das Unglück leitete das Ende von Railtrack ein, das schließlich in ein neues staatliches Unternehmen mit dem Namen Network Rail überführt wurde. In einer gigantischen Hauruckaktion mussten daraufhin Tausende Kilometer mangelhafter Gleise ersetzt werden. Das Unterfangen verschlang Milliarden Pfund und sollte die Fahrgastzahlen über Jahre hinweg stark beeinträchtigen.      

Ein weiteres tödliches Unglück ereignete sich im Mai 2002 in Potters Bar, bei dem sieben Menschen ums Leben kamen. Die Ursache: grobe Fahrlässigkeit eines privaten Wartungsunternehmens. In der Folge wurden zahlreiche Instandhaltungsarbeiten wieder von Network Rail selbst übernommen. Mit der vollständigen Umwandlung von Railtrack in Network Rail im Oktober 2002 war die britische Bahninfrastruktur de facto wieder verstaatlicht.

Wachstumsschmerzen

Die West Coast Main Line galt lange als das Kronjuwel des britischen Schienennetzes. Sie war in den 1950er-, 1960er- und 1970er-Jahren elektrifiziert und modernisiert worden. Ende der 1990er-Jahre geriet die Strecke aufgrund der stetig steigenden Fahrgastzahlen unter erheblichen Druck. Virgin-Chef Richard Branson plante daher den Einsatz neuer Neigetechnikzüge sowie einen deutlich dichteren Fahrplan. Doch bis 2002 waren die Kosten von ursprünglich 2,5 auf 14,5 Milliarden Pfund gestiegen – inflationsbereinigt entspräche das heute fast 30 Milliarden. Gleichzeitig wurde der Projektumfang drastisch reduziert. Was 1998 als ehrgeiziges Versprechen einer 225 km/h schnellen Strecke mit vollständig digitaler Signaltechnik begann, endete Anfang der 2000er-Jahre im völligen Chaos – und trug zum Niedergang von Railtrack bei.

Zu diesem Zeitpunkt war Bahnfahren in Großbritannien so beliebt wie seit einem Jahrhundert nicht mehr. Die Fahrgastzahlen schossen in die Höhe, und parteiübergreifend herrschte Einigkeit darüber, dass Investitionen in das Schienennetz und dessen Ausbau notwendig und sinnvoll seien. Selbst Franchises, die ursprünglich nicht als «Wachstumskandidaten» galten – etwa in Wales oder im Norden Englands – platzten aus allen Nähten, da immer mehr Menschen auf die Bahn umstiegen.

Die Franchiseverträge, inzwischen direkt vom Verkehrsministerium verwaltet, wurden zunehmend komplexer und restriktiver. Die Zahl der Bieter*innen sank, während ihre Angebote immer ambitionierter ausfielen. 2009 erreichte diese Entwicklung einen Wendepunkt: National Express verlor die Lizenz für die East Coast-Strecke, da das Unternehmen trotz steigender Fahrgastzahlen seine jährlichen Franchisezahlungen nicht einhalten konnte.

2012 wurde das Vergabeverfahren für die West Coast Main Line von der Regierung eingestampft und stattdessen eine kurzfristige Übergangskonzession vergeben. Mitten in einer weiteren Branchenkrise kollabierte im Juni 2018 auch die East Coast-Franchise – die zuvor an ein überaus optimistisches Angebot von Virgin vergeben worden war – und musste wieder verstaatlicht werden. Zu diesem Zeitpunkt war die Zahl der potenziellen Bieter bereits stark zurückgegangen, und das System stand kurz vor dem Zusammenbruch.

Der Schienenverkehr muss im größeren Zusammenhang des Verkehrssektors gedacht werden – Mobilität als Ganzes, nicht die Bahn isoliert. 

Die immer überambitionierteren Angebote im Zusammenspiel mit zunehmend komplizierten und kontrollierenden Verträgen, ließen den privaten Betreibern nur eine Stellschraube zur Kostensenkung: das Personal. Ab 2016 wurde das Bahnnetz von einer Welle zunehmend heftiger Streiks erschüttert, nachdem die Unternehmen begannen, Bestimmungen anzupassen, um die Zahl der Angestellten zu reduzieren, die sie beschäftigen mussten. 

So wie die neue Branchenstruktur zur Entstehung der ROSCOs geführt hatte, was einen Stillstand bei der Beschaffung neuer Züge zur Folge hatte, bewirkte auch die Gründung von Railtrack und seinen privaten Zulieferern eine ähnliche Stagnation im Personalwesen. Nüchtern betrachtet: Wenn eine vorhandene Zugflotte den Betrieb bereits abdeckt – warum neue Fahrzeuge anschaffen? Dasselbe schien nun auch für die Infrastruktur zu gelten: Wenn bereits eine enorme Belegschaft vorhanden ist – warum zusätzliche Mitarbeiter*innen einstellen?

Das Ergebnis war ein über zehn Jahre gewachsenes Qualifikationsdefizit. Mit den steigenden Fahrgastzahlen nahm auch die Zahl der Infrastrukturprojekte stark zu. Der Engpass an Fachkräften, kombiniert mit einer Bahnstruktur, die durch eine Vielzahl organisatorischer Schnittstellen die Kosten zusätzlich in die Höhe trieb, führte dazu, dass Projekte zu langsam und zu teuer umgesetzt wurden. Der Kostenanstieg wurde für die Regierung im Jahr 2017 untragbar. In der Folge wurde nicht nur das nationale Elektrifizierungsprogramm massiv gekürzt, sondern auch zahlreiche weitere Modernisierungsprojekte im ganzen Land gestrichen, insbesondere im Norden Englands und den benachbarten Regionen. Gleichzeitig wurden große Mengen neuer Züge bestellt, darunter viele neue elektrische Züge, gedacht für Strecken, auf denen die neue Oberleitungsinfrastruktur inzwischen gar nicht mehr eingeplant war. 

Bis zum Mai 2018 sollte bei den Kapazitäten des nationalen Schienenverkehrs ein Durchbruch gelingen. Neue Gleise und Züge sollten eine deutliche Erhöhung der Zugfrequenzen ermöglichen. In der Realität jedoch waren weder die Schienen noch die Züge einsatzbereit, um diesen Auftrieb zu ermöglichen – die Folge war ein Zusammenbruch der Zuverlässigkeit des gesamten Systems. Ausbildungsfahrten konnten nicht stattfinden, und der Mangel an Zügen, Gleisen und Personal führte dazu, dass über ein Drittel aller Verbindungen im Südosten und Norden Englands gestrichen werden mussten. Auch im restlichen Land bekamen Passagier*innen die Auswirkungen deutlich zu spüren, wenn auch in geringerem Ausmaß.

Chris Grayling, der damalige Verkehrsminister und langjährige Kritiker des Franchise-Systems sowie der fehlenden Integration von Schiene und Bahnbetrieb, leitete 2018 die sogenannte «Williams Review» ein. Diese Untersuchung sollte klären, unter welchen Voraussetzungen die Branche wachsen könnte, ohne wieder in einem Desaster zu enden. Doch der Prozess kam nur schleppend voran – und die Bahnbranche verharrte in einem Zustand dauerhafter Krise.

Der letzte Nagel im Sarg

Im März 2020 führte die Coronapandemie zu einem Einbruch der Fahrgastzahlen auf nur 5 Prozent des Vorkrisenniveaus – die gesamte Bahnbranche hing am seidenen Faden. Noch vor Ende des Monats wurden sämtliche Franchise-Verträge in Notfallkonzessionen überführt, womit das Franchisesystem faktisch abgeschafft war. Im September 2020 wurde dieser Schritt offiziell bestätigt, als die Regierung verkündete, dass es künftig keine Franchises mehr geben werde. Im April 2021 erklärte der britische Rechnungshof schließlich, dass die Eisenbahnunternehmen nun offiziell als staatlich geführt einzustufen seien – auch wenn private Unternehmen weiterhin eine Rolle spielten. Die Ironie, dass es eine Tory- und nicht eine Labour-Regierung war, die den Reintegrationsprozess des Bahnsystems einleitete, dürfte den Lesenden kaum entgehen – tatsächlich scheint dies ein wiederkehrendes Muster in der britischen Politik zu sein.

Im Mai 2021 wurde schließlich der «Williams-Shapps Plan for Rail» veröffentlicht, der in groben Zügen die künftige Struktur des britischen Schienenverkehrs skizzierte. Zwar blieb der Bericht in vielen Punkten vage, doch die zentrale Ankündigung war die Gründung einer neuen Organisation namens Great British Railways (GBR). Ein Übergangsteam wurde eingesetzt, um zu ermitteln, welche Aufgaben GBR übernehmen und wie es strukturiert sein sollte. Die ROSCOs blieben dabei als letztes Relikt des Railways Act von 1993 bestehen.

Die Bahn braucht die Demokratisierung, damit Entscheidungen über die Züge und Strecken, die wir nutzen, auch auf einer Ebene getroffen werden, die näher an uns dran ist.

Seit der «Williams Review» sind bereits sieben Jahre vergangen, und obwohl mehrere Eisenbahnunternehmen mittlerweile der direkten Kontrolle des Verkehrsministeriums unterstehen, gibt es weiterhin kein klares Bild davon, welchen Entscheidungsrahmen Great British Railways tatsächlich haben wird und über welche finanziellen Mittel die Institution verfügen soll – ganz zu schweigen von ihrer künftigen Struktur oder ihren Zielen. Die jüngsten Parlamentswahlen haben die Aussichten für die Bahnbranche eher weiter eingetrübt als verbessert: Die Zahl großer Infrastrukturprojekte sinkt und die Mittel für Instandhaltung werden gekürzt. Das bestehende Netz ist bis an seine Grenzen ausgelastet. 

Trotz der anhaltend breiten Unterstützung der Bevölkerung für eine Staatsbahn – 2025 befürworteten 75 Prozent eine staatlich geführte Eisenbahn gegenüber 60 Prozent im Jahr 2017 – bleibt unklar, in welchem Ausmaß eine «Verstaatlichung» tatsächlich zu demokratischer Kontrolle und zur dringend benötigten Belebung der Branche führen wird. Die britischen Bahngewerkschaften stehen dem Prozess vorsichtig optimistisch gegenüber. Dabei muss allerdings gesagt werden, dass die Skepsis zugenommen hat, je weiter sich die Labour Party in die politische Mitte bewegt. 

Die Bahn braucht die Demokratisierung, damit Entscheidungen über die Züge und Strecken, die wir nutzen, auch auf einer Ebene getroffen werden, die näher an uns dran ist. Macht und Entscheidungsbefugnisse – einschließlich der öffentlichen Ausgaben – müssen daher von Westminster wegverlagert werden. Demokratische Verantwortlichkeit auf lokaler und regionaler Ebene ist entscheidend, um den Kreislauf aus angekündigten und wieder verworfenen Investitionsvorhaben zu durchbrechen und die Eisenbahnverkehrsunternehmen zu besserer Leistung anzuhalten. Das setzt eine Verlagerung sowohl der Entscheidungs- als auch der Finanzierungskompetenzen auf die Regionen und Städte voraus – ebenso wie eine ausreichende finanzielle Eigenständigkeit der Branche, um flexibel auf Bedarfe reagieren zu können, unabhängig von Wahlzyklen und einer haushaltspolitischen Fixierung.

Der Schienenverkehr muss im größeren Zusammenhang des Verkehrssektors gedacht werden – Mobilität als Ganzes, nicht die Bahn isoliert. Dafür braucht es ambitionierte Ziele und Investitionen, die diesen Zielen gerecht werden, um ein Bahnnetz zu schaffen, das mehr Menschen nutzen und von dem mehr Menschen profitieren können: mehr Kapazität, höhere Zuverlässigkeit und bessere Zugänglichkeit.

Die Stärkung der Bahn als eigenständige, sich selbst verwaltende Institution, die in erster Linie gegenüber den Regionen und Städten – und nicht der Zentralregierung – rechenschaftspflichtig ist, ist ein entscheidender Schritt, um die Branche aus ihrem Dauerkrisenmodus zu befreien und sie zukunftsfähig zu machen. Ebenso wichtig ist jedoch, dass die Bahn eine überzeugende Geschichte über sich selbst erzählt – eine Vision, hinter der die Öffentlichkeit stehen kann. Nur mit einer ambitionierten und inspirierenden Vorstellung von ihrer Zukunft kann die Eisenbahn ihr volles Potenzial entfalten. Die Privatisierung, so die britische Erfahrung, hat dabei auf ganzer Linie versagt.