40 Jahre Esslinger Frauenhaus: Letzte Rettung Frauenhaus – Wenn Frauen um ihr Leben fürchten Vor 40 Jahren wurde das Esslinger Frauenhaus eröffnet. Seitdem bietet es Frauen Schutz vor Gewalt. Foto: dpa

Vor 40 Jahren wurde in Esslingen das Frauenhaus eröffnet. Noch immer ist es für viele Frauen und ihre Kinder der letzte Ausweg, um häuslicher Gewalt zu entkommen.

Statistisch gesehen wird alle zwei Minuten ein Mensch Opfer von häuslicher Gewalt, wie die jüngste Statistik des Bundeskriminalamts für das Jahr 2024 zeigt. Die Zahl steigt seit Jahren. Die Täter sind überwiegend männlich, oft handelt es sich um die Partner oder Ex-Partner. Die Opfer sind meistens Frauen. Oft sind Frauenhäuser für sie die letzte Rettung, wo sie und ihre Kinder Schutz und Hilfe bekommen.

Seit 40 Jahren gibt es in Esslingen ein Frauenhaus. Träger ist der Verein „Frauen helfen Frauen“. Es zieht sich wie ein roter Faden durch die vergangenen vier Jahrzehnte, dass das Esslinger Frauenhaus immer voll belegt ist. „Das ist erschreckend und zeigt, wie groß der Bedarf noch immer ist“, sagt Sarah Seibold, Sozialarbeiterin im Frauenhaus. Deutschlandweit fehlen rund 13 000 Schutzplätze. Gedacht ist das Frauenhaus eigentlich als Akut-Einrichtung. Doch weil die Frauen nur schwer eine eigene Unterkunft auf dem knappen Wohnungsmarkt finden, müssen sie immer länger bleiben. Die geringe Fluktuation verschärft die Situation in Esslingen zusätzlich. Viele Schutzsuchende müssen deshalb abgewiesen werden.

„Viel Überzeugungsarbeit war notwendig“ – Gründung des Esslinger Frauenhauses

Lange wurde Gewalt gegen Frauen als privates Schicksal abgetan. Als ein Dutzend engagierter Frauen 1982 in Esslingen „Frauen helfen Frauen – Frauenhaus Esslingen“ gründeten, wie der Verein damals noch hieß, stießen sie auf große Skepsis. „Es war viel Überzeugungsarbeit notwendig, denn auf der politischen Ebene gab es jede Menge Halbwissen und viele Vorurteile“, blickt Semrah Dogan zurück. Die Sozialpädagogin arbeitet seit vielen Jahren in der Beratungsstelle, mit der der Verein bereits ein Jahr nach seiner Gründung startete. 1985 konnten die Vereinsmitglieder eine Doppelhaushälfte mieten und damit auch das Frauenhaus eröffnen. Möglich wurde der Mietvertrag aber erst durch eine Bürgschaft der evangelischen Gesamtkirchengemeinde. Das Haus war damals noch nicht einmal fertig renoviert, da wurde bereits die erste Frau mit ihren zwei Kindern in dieses Provisorium aufgenommen.

1990 zog das Esslinger Frauenhaus in eine etwas größere Bleibe, die auf 250 Quadratmetern Platz für sieben Frauen und zehn Kinder bietet. Anfangs wurde das Projekt noch von vielen Ehrenamtlichen gestemmt, erst nach und nach konnten Mitarbeiterinnen eingestellt werden. Ehrenamtlich geführt wird heute nur noch der Vorstand des Vereins und das Spendenlädle.

Nicht nur im Kreis Esslingen: „Frauenfeindlichkeit und Antifeminismus nehmen zu“

Häusliche Gewalt leugnet zumindest von offizieller Seite heute keiner mehr. In den Griff bekommen hat man das Problem deswegen nicht. Noch immer gehört Gewalt für viele Frauen zum Alltag. Sie beginnt nicht erst mit Schlägen und ist nicht immer sichtbar. Auch Bedrohung, Kontrolle oder Beschimpfung gehören dazu. „Betroffen sind Frauen aller sozialen Schichten und Nationalitäten, ob jung oder alt“, betont Sarah Seibold. Das Esslinger Frauenhaus ist heute noch genauso wichtig wie damals. Sorgen machen den Mitarbeiterinnen die derzeitigen Tendenzen in der Gesellschaft. „Es gibt immer mehr Rückschritte. Hart erkämpfte Menschenrechte sind gefährdet, Frauenfeindlichkeit und Antifeminismus nehmen zu“, befürchtet Semrah Dogan.

Finanzierung des Esslinger Frauenhauses bleibt Herausforderung

Die Finanzierung des Frauenhauses und erst recht der Beratungs- und Interventionsstelle ist für den Esslinger Verein auch nach so vielen Jahren kein Selbstläufer. „Die Mittel aufzutreiben, ist immer ein Kampf, das hat sich nicht verändert, auch wenn den Bedarf keiner mehr infrage stellt“, sagt Semrah Dogan. Das Frauenhaus bekommt keinen festen Zuschuss, abgerechnet wird nach Tagessätzen und nur für belegte Plätze. Ohne Spenden oder Stiftungsgelder würde es nicht funktionieren. Doch die können schwanken, was die Planung von Personal und Angeboten schwieriger macht. Viel Raum nimmt inzwischen die Bürokratie ein. „Auch die Problemlagen werden immer komplexer und die einzelnen Beratungen nehmen mehr Zeit ein“, beschreibt Sarah Seibold die Entwicklung der vergangenen Jahre.

Umgangsrecht der Väter: „Schutz der Frauen wird vernachlässigt“

GPS und Tracker im Handy machen es zudem immer schwieriger, die Frauenhäuser geheim zu halten. Eine Gefahr ist das Umgangsrecht der Väter mit ihren Kinder. „Das begünstigt Nachtrennungsgewalt. Der Schutz der Frauen wird außer Acht gelassen“, sagt Sarah Seibold. In den Anfangsjahren seien die Kinder, die mit ihren Müttern ins Frauenhaus kamen, so nebenher gelaufen. Heute bekommen sie jeweils eine eigene Betreuungsperson, die ihre Bedürfnisse vertritt. Jungs werden aufgrund der beengten Verhältnisse in Esslingen aber nur bis zum Alter von 15 Jahren aufgenommen. Zuletzt hat der Trägerverein lange über das Thema geschlechtliche Vielfalt diskutiert. Inzwischen steht das Esslinger Frauenhaus auch Transfrauen offen.

Hinweis: Falls Sie Opfer von häuslicher Gewalt sind oder jemanden kennen, der betroffen ist, können Sie sich beispielsweise bei der Beratungsstelle Esslingen vertraulich und kostenlos über Unterstützungsmöglichkeiten informieren (Telefon: 0711 / 35 72 12).

40 Jahre Frauenhaus

Festakt
In 40 Jahren haben insgesamt 1581 Frauen und 1603 Kinder im Esslinger Frauenhaus Schutz gefunden. Für sie war es ein Start in ein selbstbestimmtes Leben ohne Gewalt. Auch deshalb steht die Jubiläumsfeier am Freitag, 24. Oktober, ab 18 Uhr in der Osterfeldhalle in Berkheim unter dem Motto „Mut, Freiheit, Neubeginn“. Neben Festreden und einer Performance des Jugendspielclubs der WLB wird es eine Lesung von Asha Hedayati aus ihrem Buch „Die stille Gewalt“ geben. Wer noch an der Feier teilnehmen möchte, kann sich vorab per Mail unter: frauenberatung@frauenhelfenfrauen-es.de anmelden.

Gewalthilfegesetz
In diesem Jahr wurde das Gewalthilfegesetz verabschiedet. Es sieht bei geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt einen Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe vor, der ab 2032 gelten soll. Bis dahin soll mit finanzieller Unterstützung durch den Bund das Hilfesystem ausgebaut werden.