Berlin – Ein Foto vom „Tomahawk“-Treffen am Freitag im Weißen Haus spricht Bände: Wolodymyr Selenskyj beim Mittagessen mit Donald Trump im Kabinettsaal – beide sitzen sich direkt gegenüber. Doch Trumps Aufmerksamkeit richtet sich nicht auf seinen Gast, sondern auf die Presseleute, die er direkt hinter ihm platziert hat.
In der Regel stehen oder sitzen Staatschefs bei Pressekonferenzen anlässlich eines Treffens nebeneinander, um die fragenden Journalisten ansehen zu können. Doch das wollte Trump diesmal nicht. Seine Botschaft: Wenn ihr Fragen habt, stellt sie mir – und nicht dem Präsidenten der Ukraine. Selenskyj hat das verstanden. Während Trump redet, nippt er ernst an seinem Glas.
Mehr zum ThemaWas auf das Mittagessen folgte, war erneut ein „Schreiduell“
So berichteten es mehrere Quellen der britischen Zeitung „Financial Times“. Selenskyj wollte Tomahawks – und bekam ein Tohuwabohu. Laut Bericht plapperte Trump plötzlich wieder Wladimir Putin (72) nach dem Mund, mit dem er einen Tag zuvor zweieinhalb Stunden telefoniert hatte. Der Konflikt in der Ukraine: Das sei noch „nicht einmal ein Krieg“, sondern nur eine „Spezialoperation“. Soll heißen: Wenn Putin wollte, könnte er richtig eskalieren. Es ist eine russische Propaganda-Lüge des Kreml, denn Russland gibt schon jetzt alles im Krieg gegen die Ukraine.
Experte: Putin hat es wieder geschafft
Was bleibt: Selenskyj hat wieder einmal (fast) nichts bekommen. Keine Tomahawk-Marschflugkörper, keine Einladung zum Gipfel mit Putin in Budapest. Kiew darf den USA gerade einmal 25 Patriot-Abwehrsysteme abkaufen, aber auch nicht sofort. „Wir sind wieder an der Stelle, an der wir vor dem Gipfel in Alaska waren“, sagt der Politikwissenschaftler Prof. Thomas Jäger zu BILD. „Trump hat keine Strategie für die Ukraine. Er will Rohstoffe, Deals – und den Friedensnobelpreis.“
UND: Wieder einmal habe es Putin geschafft, Gesprächsbereitschaft vorzutäuschen, um mehr Zeit zu gewinnen, so Jäger. Dass Kiew erst einmal keine Tomahawks bekommt (schon gar nicht vor dem Gipfel in Budapest) – ein klarer Sieg für den Kremlchef. Von dem neuerlichen Treffen in Ungarn sei ebenfalls nichts zu erwarten, so Jäger.
Lange: „Wir drehen uns im Kreis“
„Wir drehen uns im Kreis“, meint auch Sicherheitsexperte Nico Lange (50) auf X. „Die Trump-Serie aus aufgeregten Gipfeln, Sondergipfeln und Gipfelankündigungen bringt uns dem Frieden bisher nicht näher.“ Er appelliert an Europa. „Die Europäer sollten endlich ihre Stärke nutzen und selbst Putin zu Waffenstillstand und Frieden drängen.“
Die EU-Staaten haben sich am Montag immerhin – gegen den Widerstand aus Ungarn – darauf geeinigt, bis 2027 gar kein Gas mehr aus Russland zu beziehen. Auch ein 19. Sanktionspaket ist in Arbeit, doch ob es beschlossen wird: fraglich. Dazu braucht es Einstimmigkeit.
Selenskyj, der die neuerliche Demütigung von Trump (in der Hoffnung, dass sich der Wind wieder dreht) stumm erträgt, bleibt in dieser Lage nur Zweckoptimismus. Ja, sagte er am Morgen vor Journalisten des „Kyiv Independent“, Trump gebe Putin „eine weitere Chance“. Aber den Krieg ums Gas habe der Kreml verloren.
Vermittler im Ukraine-Krieg: Kann Trump das Gaza-Momentum nutzen?
Quelle: BILD19.10.2025
Zu den Personen
Thomas Jäger ist Professor für internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Ein Schwerpunkt seiner Forschung und Lehre liegt in der Analyse der deutschen und US-amerikanischen Außenpolitik.
Nico Lange verfügt über langjährige Erfahrung in sicherheitspolitischer Analyse und war unter anderem als Ukraine-Referent und Berater im deutschen Verteidigungsministerium tätig. Seit 2022 ist er Senior Fellow für die Zeitenwende-Initiative bei der Münchner Sicherheitskonferenz.