Zweimal Schiller, zweimal „Die Räuber“. Einmal am Erlanger Schauspiel, einmal am Nürnberger Staatstheater. Die Inszenierungen könnten unterschiedlicher nicht sein, restlos überzeugen kann letztlich keine von beiden. Aber während Matthias Köhler in Erlangen einen mutigen Zugriff auf den Klassiker wählt, bleibt er bei Jana Vetten in Nürnberg verzagt. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Regisseurin alle Männer von Schauspielerinnen und Amalia von Edelreich, die einzige Frau des Stücks, von Luca Rosendahl spielen lässt. Warum aber dieser dann noch als Pater auftritt, bleibt ein Geheimnis. Wäre es nicht konsequent gewesen, auch diese Rolle mit einer Frau zu besetzen?

Oder sie ganz zu streichen, wie das Köhler getan hat, der auch sonst nicht zimperlich mit der Vorlage verfährt. Wo Schillers „verirrte große Seele“, Karl Moor, acht Räuber als Hauptmann anführt, genügen ihm die Spießgesellen Spiegelberg, Schweizer und Roller. Ralph Jung, Luca Hass und Tobias Graupner sehen zwar in ihren Strampelhosen und den gelben, blauen und grünen Perücken ein wenig aus wie Teletubbies, die sich in den Wald verirrt haben, machen aber ansonsten viel Alarm.

Zwischentöne sind Köhlers Sache nicht, weshalb Sprechen hier vor allem Gellen bedeutet und das Pathos des Stürmers und Drängers Schiller drei Stunden lang voll zu bedienen. Außer man heißt Johannes Rebers und Juliane Böttger und lotet die unterschiedlichen Facetten von Franz und Amalia Moor aus. Dem jungen Kai Götting als seine Ideale verratender Karl Moor gelingt dies nur phasenweise.

In Matthias Köhlers kesser Version ist Amalia nicht die Geliebte von Karl Moor, sondern die Schwester der ungleichen Brüder und einzige Stimme des Gewissens. So wird man Zeuge eines waschechten Geschwisterdramas, in dem ihr treudoofer Vater schon gar nicht mehr am Leben ist, und das sich in einem totalitären Staat einer nicht allzu fernen Zukunft mit erbarmungsloser Stringenz abrollt. Womit auch beantwortet wäre, was Köhler an dem Stoff interessiert. Vor dem Hintergrund des Rechtsrucks in den USA ist dies die Frage nach der Freiheit. Was einzig und allein zählt, ist das Recht des Stärkeren, der sich frei von moralischen Fesseln und staatlichen Einschränkungen das nimmt, was er will. Die Verknüpfung mit den von Schiller aufgeworfenen Fragen nach Recht, Gesetz und individueller Freiheit ist daher plausibel.

Zu Köhlers bewährtem Team gehören der Bühnenbildner Patrick Loibl und der Videokünstler Marvin Kanas. Während auf den Videowänden im Hintergrund ein Ungetüm von einem Turm in einen blutrot gefärbten Himmel ragt und gefährlich an den Trump-Tower erinnert, hat Loibl auf die Drehbühne des Markgrafentheaters einen klaustrophobisch düsteren Klotz gewuchtet. Darin haust der äußerlich entstellte und innerlich macht-verrückte Franz, dem zu einem Nero nur das Römische Reich fehlt, gemeinsam mit seinem Faktotum Daniel. Gespenstisch gut mit Kerzen auf dem Kopf statt in der Hand: Hermann Große-Berg. Bildgewaltig und laut ist Schillers Sprache, bildgewaltig und laut ist Köhlers Inszenierung.

Regisseur Matthias Köhler hat in Erlangen einen mutigen Zugriff auf „Die Räuber“ gewählt. Johannes Rebers (rechts) ist darin der macht-verrückte Franz Moor, Hermann Große-Berg sein gespenstisches Faktotum Daniel.Regisseur Matthias Köhler hat in Erlangen einen mutigen Zugriff auf „Die Räuber“ gewählt. Johannes Rebers (rechts) ist darin der macht-verrückte Franz Moor, Hermann Große-Berg sein gespenstisches Faktotum Daniel. (Foto: Tanja Dorendorf / T+T Fotografie)

Jana Vetten schlägt im Nürnberger Schauspielhaus die genau entgegengesetzte Richtung ein und setzt auf Abstraktion und leise Töne. Sam Beklik hat auf die Bühne ein riesiges Gerüst gestellt, durch das sich das Ensemble immerzu hindurchhangelt. Allzu oft bedeutet das aber nur: Man sieht die Darsteller vor lauter Stangen nicht.

Bis auf Luca Rosendahl, der ein knallrotes Abendkleid trägt, haben alle businessblaue oder mausgraue Hosenanzüge an. Die Darstellerinnen konterkarieren Schillers Überschwang bewusst durch samtpfötiges Understatement. Ausnahmen sind Julia Bartolome als Spiegelberg und Marie Dziomber als Franz Moor, die sich ihre gemeingefährlichen Männerrollen mit expressiver Gestik und Mimik zu eigen machen.

Die ansonsten geübte Zurückhaltung könnte funktionieren, wenn dadurch jene Aussagen, in denen von Männlichkeit die Rede ist – und davon redet Schiller bis zu Karl Moors „Nein, ein Weib erschüttert meine Mannheit nicht“ unablässig –, noch prägnanter herausgehoben würden. Stattdessen aber verlieren sie ihre patriarchal geprägte Brutalität, die doch gerade herausgearbeitet werden sollte. Damit aber überzeugt die einzige wirkliche Inszenierungsidee, „Die Räuber“ fast ausschließlich mit Frauen zu besetzen, nicht. Wieviel zwingender ist da Köhlers Fassung. Bei ihm ist es am Ende Amalia, die Karl mit den Worten tötet: „Ein Opfer muss erbracht werden!“