Jeden Abend sammeln sich derzeit Stare in der Stuttgarter Innenstadt und bieten ein beeindruckendes Naturschauspiel. Doch wie lange bleiben die Zugvögel noch?
Es ist ein majestätischer, aber auch etwas bizarrer Anblick: Jeden Abend, bei Sonnenuntergang, sammeln sich Stare auf einem Baukran am Stuttgarter Hauptbahnhof und fliegen in Formation zu ihren Nistplätzen in den Bäumen der Königstraße. Doch wie lange sind die Zugvögel noch am Himmel zu beobachten, bevor sie in ihr Winterquartier weiterziehen?
Verschiedene Faktoren sind entscheidend, ob und wann Vögel zum Überwintern in den Süden ziehen. „Es kommt vor allem auf die Tageslänge an“, erklärt Nabu-Experte Martin Rümmler. „Das ist der Trigger.“ Die sogenannte Zugunruhe werde mit abnehmender Tageslänge immer stärker. Wie kurz genau die Tage werden müssen, bis sich Stare entscheiden, über den Winter wegzufliegen, könne man nicht pauschal sagen. „Das ist von Art zu Art anders. Die Vögel entscheiden das instinktiv“, sagt Rümmler.
Entscheidend: Was machen die anderen?
Es spiele zudem eine Rolle, ob die Tiere weiterhin an Nahrung kommen. In Städten wie Stuttgart seien die Vögel durch den Menschen flexibler, wie lange sie noch genügend Futter haben, um den Winter zu überstehen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Blick auf ihre Artgenossen. „Stare sind sehr soziale Tiere“, so Rümmler. Ein einzelnes Tier würde daher kaum entscheiden, sich alleine Richtung Mittelmeerraum zu machen.
Stare sind keine sturen Zugvögel, sondern sogenannte „Teilzieher“, erklärt Michael Schmolz. Er ist Fachbeauftragter für Vogelkunde beim Nabu Stuttgart. In der Region sei bisher der Großteil der Tiere über den Winter weggezogen. Aktuell, Mitte bis Ende Oktober, sei für Stare die Haupt-Zugzeit, wie auch Rümmler bestätigt. Manche jüngere Vögel ziehen schon Mitte Juni bis August los, je nach Witterung bleiben andere Gruppen sogar bis Anfang Dezember.
Klimawandel verändert Bedingungen
Im Bereich des Bahnhofs und der Königstraße halten sich die Stare schon seit ein paar Wochen auf und begeistern mit ihren beeindruckenden Flugformationen am Himmel. Schmolz schätzt, dass es von Anfang bis Mitte November dann langsam weniger werden. Aber: Stare versuchen immer häufiger, hier zu überwintern. Als „Teilzieher“ sei das zwar schon immer so gewesen, aber durch den Klimawandel habe sich der Anteil deutlich erhöht.
„Noch vor 30 oder 40 Jahren war es eine große Seltenheit, im Winter hier einen Star zu sehen“, sagt Schmolz. Während früher Dutzende Stare im heimischen Deutschland überwintert haben, sind es heute Hunderte. Für die Vögel sei relevant: Schneit es oder nicht. „Da kann selbst ein Grad Unterschied schon entscheidend sein.“
Schutz vor Fressfeinden
Der Bahnhofsbereich und die Königstraße seien ein guter Platz für die Vögel. „Der Trubel kann von Vorteil sein“, erklärt Schmolz. Natürliche Feinde, wie der Uhu, fänden sich mit den Menschen und den vielen Geräuschen nicht gut zurecht, wodurch die Stare sicherer seien als beispielsweise auf dem Feld. Zudem ist es dort windgeschützter und durch die thermische Strahlung der Gebäude entsteht Wärme. „So etwa können wir uns das erklären. Nach weiteren Gründen müssten wir die Stare fragen.“
Andere beliebte Orte in Stuttgart für Stare sind Schilfgebiete. Im frühen Herbst halten sie sich zum Beispiel gerne am Probstsee in Möhringen auf. Auch am Max-Eyth-See und am Langwieser See (Plieningen) sind Stare immer mal wieder für ein paar Tage bis Wochen anzutreffen. Wenn sich die Vögel witterungsbedingt für eine Überwinterung im Talkessel entscheiden, nisten sie sich oft in der Wilhelma oder im Schlossgarten ein.
Keine feste innere Uhr
Dadurch würden keine Probleme entstehen, sagt Schmolz. Lediglich ein bisschen mehr Verschmutzungen in den Übernachtungsbereichen seien erwartbar. „Aber das kann man durchaus tolerieren.“
Wie lange und wie viele der Stare denn nun noch in Stuttgart bleiben, lasse sich nicht sicher sagen. „Wenn es richtig kalt wird, dann bekommen sie schon den Impuls, wegzuziehen“, sagt Michael Schmolz. „Sie sind aber nicht so stark durch ihre innere Uhr gesteuert, wie es andere Zugvögel sind.“ Doch zumindest ein bisschen dürfte uns das Naturschauspiel der Flugformationen am Himmel über dem Stuttgarter Bahnhofsbereich noch erhalten bleiben.
Rückkehr nach Stuttgart
Ab Februar
Die ersten Vögel kommen bereits Anfang Februar nach Stuttgart zurück, so Michael Schmolz. „Wenn das Wetter überraschend nochmal umschlägt, bekommen sie manchmal auf die Mütze.“ Im Norden Deutschland dauere es ein paar Wochen länger, bis die Zugvögel wieder zurückkehren. Auch hier machen ein paar Grad den großen Unterschied. Der große Anflug komme dann aus dem Südwesten. Die Hauptbrutzeit der Stare ist dann Anfang April und vereinzelt auch schon im März, so Martin Rümmler.