Nicht nur beim Christopher Street Day feiert sich Berlin gerne als weltoffene und vielfältige Stadt. Akzeptiert wird diese Vielfalt jedoch zunehmend weniger, zeigt eine Studie der Robert Bosch Stiftung aus dem September.
Das sogenannte Vielfaltsbarometer 2025 misst die Zustimmung zu Vielfalt in sieben Bereichen, darunter Geschlecht, sexuelle Orientierung und ethnische Herkunft. Die Befragten stammen aus ganz Deutschland, die Studie ist repräsentativ. Aus Berlin nahmen 312 Personen teil, 79 von ihnen hatten Migrationshintergrund, so gibt es der Studienleiter Klaus Boehnke auf Nachfrage des Tagesspiegels an.
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Bei Toleranz ist Berlin nur noch Mittelfeld
Anhand von Umfragedaten errechneten die Forscher den sogenannten Vielfaltsgesamtindex für jedes Bundesland. Er zeigt, wie die Befragten über alle Bereiche hinweg Vielfalt bewerten. Gemessen wird auf einer Skala von 0 bis 100, wobei 0 für völlige Ablehnung und 100 für absolute Akzeptanz steht. 2019 kam Berlin noch auf 71 Punkte, nun ist dieser Wert auf 63 gesunken.
Welche Daten nutzt das Vielfaltsbarometer?
Die Forscher führten im Mai 2025 eine Online-Befragung durch, an der 4671 deutschsprachige Personen ab 16 Jahren teilnahmen, darunter 1074 Befragte mit Migrationshintergrund. Die Studie ist repräsentativ. Aus Berlin nahmen 312 Personen teil, 79 von ihnen hatten Migrationshintergrund, so gibt es der Studienleiter Klaus Boehnke auf Nachfrage des Tagesspiegels an.
Die Teilnehmer nahmen zu 23 Statements Stellung, die sich mit sieben Bereichen der Vielfalt auseinandersetzten. Dazu gehören Lebensalter, Behinderung, Geschlecht, sexuelle Orientierung, sozioökonomische Schwäche, ethnische Herkunft und Religion. Zustimmung wurde auf einer Skala von 0 (schwächste Zustimmung) bis 100 (stärkste Zustimmung) gemessen. So ergab sich für jedes Statement (ein sogenanntes Item) ein Zahlenwert zwischen 1 und 100.
Im Bereich Geschlecht wurde beispielsweise die Zustimmung zu folgendem Satz gemessen: „Ich bin gegen die Frauenquote.“ Die Haltung zu ethnischer Herkunft wurde unter anderem anhand dieses Statements gemessen: „Wenn ich die Wahl hätte, würde ich mit Ausländern lieber nichts zu tun haben.“
Die Ergebnisse der Befragung wurden mit den bereits für das Vielfaltsbarometer 2019 erhobenen Daten verglichen. Damals waren 2937 Personen telefonisch befragt worden.
Der Bundesdurchschnitt beträgt ebenfalls 63, die Hauptstadt liegt damit genau im Mittelfeld – ebenso wie beispielsweise Bayern. 2019 landete Berlin noch gemeinsam mit Schleswig-Holstein und Bremen auf dem zweiten Platz im Vielfaltsranking, knapp hinter Hamburg.
Besonders drastisch ist der Rückgang der Toleranz in einem Bereich, auf den viele Berliner stolz sind: die Akzeptanz von sexueller Vielfalt. In dieser Kategorie wurde gemessen, wie die Befragten etwa zu Homosexualität und Geschlechtsangleichungen stehen.
Schon 2019 war Berlin hier nicht Spitzenreiter, kam aber immerhin auf 84 Punkte und lag damit deutlich über dem Bundesschnitt. Heute beträgt dieser Wert nur noch 69. Zum Vergleich: Brandenburg erreicht 72 Punkte.
Regelrecht abgestürzt ist die Toleranz der Berliner mit Blick auf ethnische Herkunft, also die Frage, inwieweit Menschen mit anderen ethnischen oder kulturellen Wurzeln akzeptiert werden. Vor sechs Jahren lag die Akzeptanz in diesem Bereich noch bei 77, nun ist sie auf 59 gefallen – ein Rückgang von 18 Punkten.
Bei der Akzeptanz von Behinderungen ist Berlin Schlusslicht
Allerdings liegt die Hauptstadt damit voll im Trend: bundesweit ging die Toleranz für ethnische Vielfalt um 17 Punkte zurück. Noch immer akzeptieren die Berliner Menschen anderer Herkunft deutlich stärker als Befragte etwa aus Thüringen (49) oder Mecklenburg-Vorpommern (47).
„Die Deutschen sind nicht mehr so weltoffen, wie sie es 2019 noch waren“, resümiert Studienleiter Boehnke, Professor für sozialwissenschaftliche Methodenlehre an der privaten Constructor University in Bremen, mit Blick auf die bundesweiten Ergebnisse.
Besonders schlecht steht es in der Hauptstadt um die Akzeptanz von Menschen mit Behinderungen. Berlin kommt hier auf einen Vielfaltsindex von 77, der Bundesschnitt liegt bei 82. Jedes andere Bundesland schneidet in dieser Kategorie besser ab.
In anderen Kategorien kann Berlin dagegen Boden gutmachen. Im Bereich sozioökonomische Schwäche, der die Akzeptanz von arbeitslosen Menschen oder solchen mit niedrigem Einkommen misst, liegt Berlin auf dem ersten Platz. Zwar gibt es auch in der Hauptstadt einen Rückgang von 63 auf 57 Punkte, der bundesweite Durchschnitt liegt jedoch nur bei 52.
Ursachen schwierig zu identifizieren
Woran aber liegt es, dass die Akzeptanz für Vielfalt auch in Berlin zurückgeht, teils sogar stärker als anderswo? „Die Ursachensuche ist schwierig“, sagt Studienleiter Boehnke. Die Stichproben aus den Stadtstaaten seien relativ klein. „Es ist denkbar, dass wir in den großen Städten gewissermaßen eine Übersättigung mit Vielfalt erleben“, vermutet er.
Zudem könne Migration negative Folgen für die Toleranz haben. „Die meisten Zugewanderten sind weniger von Vielfalt überzeugt als die deutsche Durchschnittsbevölkerung“, sagt Boehnke. „Wenn verstärkt Migration in die großen Städte stattfindet, hat das einen Effekt.“
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Die sogenannte Kontakthypothese, also die Idee, dass regelmäßiger Kontakt mit Personen anderer Herkunft zu mehr Toleranz führt, gelte weiterhin, so Boehnke: „Allerdings nur, wenn die Einheimischen positive Erfahrungen mit den Zugewanderten machen.“ Seien die Erfahrungen dagegen negativ, „verallgemeinern sie ein negatives Bild von Migration“.