Bei der Aufklärung unklarer Todesfälle erhält die Staatsanwaltschaft regelmäßig Unterstützung durch das Institut für Rechtsmedizin an der Universität Leipzig. Dies ist an sich nichts Ungewöhnliches. Diesmal half den Rechtsmedizinern jedoch eine innovative Methode auf die richtige Spur: Mithilfe eines neuen 3D-Scanners, der an der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie zum Einsatz kommt, gelang es erstmals, über die Bestimmung der Herkunft eines Schädelimplantats die Identität einer unbekannten Leiche herauszufinden.

Geht es um die Ermittlung der Identität einer unbekannten verstorbenen Person, kommt es darauf an, spezifische, individuelle Eigenheiten zu identifizieren, anhand derer sich weitere Rückschlüsse ziehen lassen. Im vorliegenden Fall war es ein besonderes Implantat, das der verstorbenen Person in den Schädel eingesetzt worden war – und sich letztendlich als Schlüssel zur Lösung des Falls erweisen sollte.

Als Prof. Dr. Jan Dreßler, Direktor des Institutes für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Leipzig und seine Kollegen, Oberärzte Dr. Carsten Babian und Dr. Christian König, von der Staatsanwaltschaft Leipzig den Auftrag erhielten, bei der Identitätsfeststellung einer unbekannten Toten mitzuwirken, lag es für sie angesichts der Spezifik dieses besonderen Falls nahe, die bestehenden guten Kontakte zur Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie am UKL zu nutzen.

Die Idee war, dass patientenspezifische Anfertigungen wie das Schädelimplantat laut Medizinprodukteverordnung vom Hersteller dokumentiert werden müssen und sich somit auch später noch eindeutig einer bestimmten Person zuordnen lassen. Zwischen beiden Institutionen besteht schon seit längerer Zeit eine enge Zusammenarbeit und ein wechselseitiger Austausch. So nutzen die Neurochirurgie-Experten beispielsweise das Computertomografie-System der Rechtsmedizin für ihre Forschungsaufgaben.

Aufklärung in 3D

„Im Fall der Identifikation des patientenspezifischen Schädelimplantats waren wir froh, dass wir die Kollegen hier mit unserer Expertise auf dem Gebiet des 3D-Scans und des 3D-Drucks unterstützen konnten“, sagt PD Dr. Ronny Grunert, neben Klinikdirektor Prof. Dirk Winkler einer der Leiter des 3D-Druck Forschungslabors LEGEND an der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie.

Der Forschungsschwerpunkt von LEGEND (Eiipzig NeurosurGical 3D REsearch aNd Development Center) liegt in 3D-Anwendungen für die Personalisierte Chirurgie. Dies umfasst Entwicklungen modernster Augmented-/Mixed-Reality-Anwendungen für Planung und intraoperative Navigation komplexer Operationen. Der zweite Schwerpunkt des Labors ist die Entwicklung und Fertigung patientenspezifischer Instrumente und Implantate unter Nutzung verschiedener 3D-Druck Technologien.

Solcherart ausgestattet mit modernsten technischen Geräten zum 3D-Druck beziehungsweise 3D-Scan und der dazugehörigen Expertise, nahm sich Katharina Scheidt, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie des UKL, der Sache an. Und tatsächlich stellte sich heraus, dass das Implantat mit höchster Wahrscheinlichkeit aus dem Kunststoff Polyetheretherketon – abgekürzt PEEK – besteht und an einem 3D-Drucker hergestellt worden war.

PEEK-Implantate werden unter anderem zur Rekonstruktion von Knochendefekten im Gesichtsschädel verwendet, so beispielsweise nach Unfällen oder nach der Entfernung von Tumoren. Da Implantate aus diesem Material am UKL selbst nicht hergestellt werden, begab sich die 3D-Expertin auf die Suche nach dem potenziellen Hersteller. Und siehe da: Nach nur einem Tag war Katharina Scheidt bereits fündig geworden – bei der 3di GmbH, einem Produzenten patientenspezifischer Implantate aus Jena.

„Auffällig waren die typischen Zwei-Gruppen-Muster der Perforationen an dem Implantat“, beschrieb die wissenschaftliche Mitarbeiterin ihren „Fahndungserfolg“. Anschließend kam der 3D-Scanner zum Einsatz. „Mit seiner Hilfe erzeugten wir im Forschungslabor von dem Implantat ein virtuelles 3D-Modell, daraus eine OBJ-Datei – ein weit verbreitetes Format für 3D-Modelle – und schickten es an das Institut für Rechtsmedizin.“

Fall gelöst

Oberarzt Dr. Babian leitete diese Datei umgehend an die 3di GmbH weiter – verbunden mit der Bitte, ob der Medizintechnik-Anbieter einen Abgleich mit den in seiner Datenbank vorhandenen Implantaten vornehmen könne. Diese Suche ergab dann auch prompt einen Treffer. Da patientenspezifische Implantate über die Krankenkasse abgerechnet werden, war es anschließend ein Leichtes, den Namen der seinerzeit damit versorgten Person herauszufinden.

Schlussendlich konnte das Unternehmen, das im Übrigen vor 25 Jahren aus einem Forschungsprojekt des Universitätsklinikums Jena und der Friedrich-Schiller-Universität hervorgegangen war, die Staatsanwaltschaft Leipzig über die Identität der unbekannten Leiche informieren. Dank modernster technischer Ausstattung und enger interdisziplinärer Zusammenarbeit innerhalb der Leipziger Universitätsmedizin war der Fall gelöst!

„Für uns war es eine spannende Abwechslung neben unseren täglichen Aufgaben“, resümiert Dr. Grunert und weist noch auf einen interessanten Nebenaspekt hin: „Vor zwei Jahren besuchte uns der bekannte Kriminalbiologe und Autor Dr. Mark Benecke. Damals besprachen wir unter anderem die Möglichkeit, mithilfe von 3D-Scans die Identität unbekannter Kriminalitätsopfer zu ermitteln. Er fand diese Idee sehr interessant. Ich finde es bemerkenswert, dass dieser Fall nun tatsächlich eingetreten ist.“