Tagesmütter protestieren in einem Brandbrief gegen die geplanten höheren Kita-Gebühren. Denn das gefährde ihren Berufsstand – und dränge Frauen in alte Rollenmuster zurück.

Die Tagesmütter und -väter sind alarmiert. Denn wenn die Kita-Gebühren steigen, treffe das ihren Berufsstand mit voller Wucht, ist Melanie Wilke überzeugt. Sie ist eine der Sprecherinnen der Initiative Kindertagespflege Stuttgart. Diese hat einen Brandbrief an Mitglieder des Gemeinderats verfasst.

Die Stadt plant eine heftige Erhöhung der Elternbeiträge. Insbesondere für Familien, die einen Ganztages-Platz (GT) für ihr Kleinkind suchen, könnte es teuer werden. Die Zahlen im Überblick:

  • In Stuttgart kostet ein GT-Krippenplatz inklusive Früh- und Spätbetreuung fürs erste Kind aktuell 256 Euro.
  • Ab September 2027 könnte dieser Kita-Platz 332,80 Euro kosten.
  • Würden die für die Folgejahre vorgesehenen weiteren Erhöhungen ebenfalls in Kraft treten, würde dieser Kita-Platz 2031 knapp 828 Euro kosten.

Das sehen die Vorschläge des Jugendamts zur Haushaltskonsolidierung vor. Beschlossen ist noch nichts. Der Gemeinderat entscheidet Anfang Dezember über den Doppeletat 2026/2027.

Kosten für Kindertagespflege orientieren sich an Kita-Gebühren

Tagesmütter und -väter sind auf die Betreuung von Kleinkindern spezialisiert. Sie kümmern sich um bis zu fünf Mädchen und Jungen – entweder in der eigenen Wohnungen oder in dafür angemieteten Räumen. In der sogenannten Großtagespflege betreuen zwei Tagesmütter bis zu zehn Kinder. Die dabei für die Eltern entstehenden Kosten sind mit denen für einen städtischen Kita-Platz vergleichbar, weil es Zuschüsse von der Stadt Stuttgart gibt.

Steigen die Kosten für die Kita, werden auch die Elternbeiträge für die Kindertagespflege steigen. Sonst würde ein Ungleichgewicht zwischen den Kosten für die Kita und denen für die Kindertagespflege entstehen. Bei deutlich höheren Gebühren stellt sich für Familien die Frage, ab wann und für wie viele Stunden in der Woche sie ihren Nachwuchs in die Betreuung geben, noch einmal vor einem neuen Hintergrund.

Wartelisten bei Tagesmüttern sind leer

Die Tagesmütter und -väter haben die Befürchtung, dass sie diese Entwicklung als Erste und am heftigsten zu spüren bekommen. Dabei geht es um ihre Existenz. Denn Tagespflegepersonen sind selbstständig. Um ihre Fixkosten zu decken, sind sie darauf angewiesen, ihre Plätze möglichst voll zu bekommen.

Doch das wird seit einiger Zeit ohnehin schon immer schwieriger. Denn der Ausbau der Kita-Plätze schreitet voran, in machen Stadtteilen sind die Wartelisten leer. Das ist eine positive Entwicklung, die Tagesmütter und -väter aber zunehmend in die Bredouille bringt. Darum haben sich viele von ihnen in der Initiative Kindertagespflege Stuttgart zusammengetan. Gemeinsam wollen sie die Vorzüge ihrer Arbeit stärker in die Öffentlichkeit tragen.

Die aktuellen Haushaltsberatungen machen Melanie Wilke wütend. „Von der geplanten Erhöhung der Kita-Gebühren haben wir aus der Presse erfahren. Und das, obwohl es auch uns direkt betreffen würde“, sagt die Tagesmutter und ergänzt: „Auch wenn noch nichts beschlossen ist, hätten wir uns gewünscht, frühzeitig in die Überlegungen eingebunden zu werden.“

„Für uns ist das ein alarmierendes Signal“, sagt Melanie Wilke, die Sprecherin der Initiative Kindertagespflege in Stuttgart. Foto: privat

Melanie Wilke und ihren Mitstreiterinnen geht es aber noch um etwas anderes: „Für uns ist das ein alarmierendes Signal. Denn diese Entwicklung würde in der Praxis bedeuten: Frauen würden erneut aus dem Berufsleben gedrängt, finanziell abhängig von ihren Partnern, mit einem hohen Risiko, in Altersarmut zu geraten, und alleinerziehende Mütter hätten kaum mehr eine Chance, wirtschaftlich eigenständig zu überleben“, heißt es in dem Brandbrief.

Seit Jahren werde über den Fachkräftemangel geklagt. Immer wieder sei zu hören: „Viele Frauen arbeiten nur in Teilzeit, diese wertvollen Fachkräfte könnten wir dringend brauchen.“ Aus den Zeilen in dem Brandbrief ist Empörung herauszulesen: „Wie kann eine Stadt, die sich selbst als innovativ, umweltbewusst und zukunftsorientiert versteht, gleichzeitig eine gesellschaftliche Entwicklung zulassen, die Frauen wieder zurück an den Herd drängt?“, fragen die Verfasserinnen.

Auch den gesetzlich verankerten Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder unter drei Jahren sehen sie damit ad absurdum geführt. „Denn was nützt ein Rechtsanspruch, wenn Betreuungsplätze unbezahlbar werden? Wenn sich niemand mehr einen Platz leisten kann, klagt auch niemand mehr. Ein scheinbar ,ruhiges’ politisches Ergebnis, das jedoch auf Kosten der Familien und Kinder geht“, heißt es in dem Brandbrief.

Aus Sicht der Tagesmütter und -väter wäre eine drastische Erhöhung der Betreuungsgebühren „ein Rückschritt für die Kinder, die auf frühe Förderung angewiesen sind, für die Familien, die auf verlässliche Betreuung angewiesen sind, und für die Frauen, die für Gleichberechtigung und wirtschaftliche Unabhängigkeit so lange gekämpft haben“.

Geplante Erhöhung der Kita-Gebühren

Gespräche
Die vom Jugendamt vor dem Hintergrund der erforderlichen Haushaltskonsolidierung vorgeschlagenen Erhöhungen der Kita-Gebühren sind nicht beschlossen. Die Fraktionen des Stuttgarter Gemeinderats beraten noch. Die freien Träger der Kinder- und Jugendhilfe arbeiten an einer Stellungnahme. Vor diesem Hintergrund möchte sich die Caritas als Träger der Kindertagespflege in Stuttgart aktuell noch nicht zu dem Brandbrief äußern.

Jugendamt
Katrin Schulze, die Leiterin des Jugendamts, hat in der Sitzung des Jugendhilfeausschusses darauf verwiesen, dass die Kita-Gebühren in Stuttgart seit 2016 nicht mehr erhöht worden sind und weit unter dem vom Städtetag empfohlenen Kostendeckungsgrad von 20 Prozent liegen – und das insbesondere bei den GT-Plätzen für Kleinkinder.