
Angehörige aus 61 Nicht-EU-Staaten können visafrei in den Schengen-Raum reisen. Nun verschärft die EU die Bedingungen und hat dabei besonders ein Land im Blick: Georgien. Dessen Führung agiert zunehmend autoritär.
Einst galt die Südkaukasusrepublik Georgien als Vorreiter und Vorbild unter den Staaten, die eine Annäherung an und die Mitgliedschaft in der Europäischen Union anstreben.
Die Mehrheit der Bevölkerung möchte dies Umfragen zufolge nach wie vor. Entsprechend äußern sich Vertreter der seit 13 Jahren regierenden Partei „Georgischer Traum“: Sie strebe die EU-Mitgliedschaft bis 2030 an.
Doch den entsprechenden Anforderungen kommt sie seit langem nicht mehr nach, im Gegenteil: Der „Georgische Traum“ übernahm inzwischen auf fast allen Ebenen die Macht. In Kürze sollen die liberalen Parteien verboten werden, Nichtregierungsorganisationen werden finanziell ausgetrocknet und diskriminiert.
Radikale Abkehr
Die ohnehin schon eingeschränkte Meinungs- und Demonstrationsfreiheit wurde gerade weiter beschnitten. Demonstranten werden schon für das Mitführen von Masken festgenommen und wegen Straßenblockaden zu mehrtägigen Arreststrafen verurteilt. Offensichtlich will die Regierung ein Ende der seit fast einem Jahr andauernden Kundgebungen vor dem Parlament in Tiflis.
Auslöser dieser Proteste war die Erklärung der Regierung am 28. November 2024, den EU-Beitrittsprozess bis Ende 2028 auszusetzen. Das Pochen der EU auf Einhaltung der Beitrittsbedingungen nannte sie „Erpressung“. Diplomaten wie der deutsche Botschafter Peter Fischer werden persönlich angegriffen. Ebenso angegangen wurde Finnlands Außenministerin Elina Valtonen bei einem Besuch in Tiflis.
Hinzu kommt, dass sich Georgien nicht den EU-Sanktionen gegen Russland angeschlossen hat. Geschäftsleute aus dem Umfeld der Regierung profitieren offenbar von deren Umgehung. Dabei hat sich Georgien der „euro-transatlantischen Ausrichtung“ sogar in der Verfassung verschrieben. Die radikale Abwendung, angetrieben vom im Hintergrund agierenden Geschäftsmann Bidsina Iwanischwili, erstaunt viele in der Region. Aufmerksam wird verfolgt, wie die EU damit umgeht.
Verantwortliche, nicht das Land strafen
Auch deshalb konnte es die EU nicht mehr bei Warnungen belassen. Die Schwierigkeit besteht darin, mit Strafen die Verantwortlichen und nicht das ganze Land zu treffen, wie dies zum Beispiel beim Entzug von Finanzmitteln geschieht.
Sanktionen gegen Mitglieder des Machtapparats scheitern jedoch immer wieder an der notwendigen Einstimmigkeit in der EU. Meist scheren die Slowakei und Ungarn aus, Premier Viktor Orban als Verbündeter des „Georgischen Traums“: Nach der umstrittenen Parlamentswahl im Oktober 2024 reiste er zur Gratulationskur nach Tiflis und versprach Georgien den EU-Beitritt im Jahr 2030.
So waren es bislang einzelne EU-Staaten, die Einreiseverbote und Kontensperrungen gegen Verantwortliche erließen. Die Bundesregierung verhängte im Dezember 2024 und im März 2025 nationale Einreisesperren gegen insgesamt zwölf georgische Beamte, die für die Verletzung von Menschenrechten verantwortlich seien, wie das Auswärtige Amt auf Anfrage mitteilte. Doch können die Betroffenen dann immer noch über andere Staaten in den Schengen-Raum reisen.
Aussetzung der Visafreiheit
Seit längerem wird über eine Aussetzung der Visaliberalisierung beraten, für die keine Einstimmigkeit unter den Mitgliedstaaten notwendig ist. Visaerleichterungsabkommen gelten für Georgien und 60 weitere Nicht-EU-Staaten. Deren Staatsangehörige können sich innerhalb von 180 Tagen 90 Tage visafrei im Schengen-Raum aufhalten. Georgien bekam diesen Status 2017 nach langwierigen Verhandlungen.
Für viele Georgier ist die Visaliberalisierung eine große Erleichterung und der greifbarste unter allen Schritten der Annäherung an die EU. Dass die EU mit einer Aussetzung drohte, nutzte die Regierung für die Behauptung, diese wolle Georgien schaden.
In einem ersten Schritt setzte die EU Ende Januar die Visaerleichterung für Georgien teilweise aus und machte damit den Weg für die EU-Staaten frei, Visumspflichten für Inhaber von Diplomaten-, Dienst- und Spezialpässen zu verhängen. Bis Mitte August hatte Deutschland dies neben etwa der Hälfte der EU-Staaten umgesetzt. Doch auch hier können deren Inhaber mit ihren normalen Pässen weiter ohne Visum im Schengen-Raum reisen.
Neue Regeln zur Aussetzung
Anfang Oktober dann stimmte das Europaparlament für neue Bedingungen zur Gewährung der Visaliberalisierung für alle Staaten mit entsprechenden Abkommen mit der EU. Relevant für Georgien ist vor allem diese Regelung: Bei einer Verschlechterung der Beziehungen, vor allem in Bezug auf Menschenrechte und Grundfreiheiten, soll eine Aussetzung möglich werden.
Für eine solche Aussetzung sind bislang zwei Zeitphasen vorgesehen: eine erste mit der Dauer von neun Monaten und eine anschließende Verlängerung um weitere 18 Monate. Im ersten Zeitraum kann die Aussetzung auf Minister und Staatsbedienstete beschränkt werden. In der Verlängerung ist dann die gesamte Bevölkerung betroffen.
Die Neuregelung sieht vor, dass in die gesamte Dauer der Aussetzung nur Minister und Beamte einbezogen werden können, die normale Bevölkerung aber weiterhin die Visaliberalisierung nutzen kann. Außerdem soll die erste Phase auf ein Jahr und die anschließende Verlängerung auf 24 Monate erweitert werden.
Umsetzung bis Dezember
EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas erklärte nach einem EU-Außenministertreffen am 20. Oktober, die Minister hätten sich sehr deutlich zur Verschlechterung von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten in Georgien geäußert.
Zudem: „Persönliche Angriffe gegen europäische Botschafter sind inakzeptabel und haben in der Diplomatie keinen Platz.“ Die Neuregelungen zum Visaerleichterungsabkommen gäben der EU die Möglichkeit, „die Visafreiheit für bestimmte Gruppen aufzuheben“.
Gunter Krichbaum, Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, sagte, dass „alle Optionen auf dem Tisch liegen“. Das Verhalten der Partei „Georgischer Traum“ sei inakzeptabel.
Mitte November sollen die EU-Staaten der Neuregelung zustimmen, eine Anwendung auf Georgien könnte dann bis Dezember erfolgen.
