50 Jahre auf der Renitenz-Bühne: Dies feiert der Stuttgarter Kabarettist Mathias Richling vom 29. Oktober bis zum 15. November mit 14 Auftritten im Renitenz-Theater. Er spielt drei verschiedene Programme und bittet obendrein zum Talk.
Herr Richling, Sie gelten als Perfektionist, arbeiten Texte bis zur letzten Silbe aus. Mal ehrlich: Können Sie privat überhaupt noch normal Smalltalk führen – oder denken Sie selbst beim Dating oder beim Bäcker in Pointen und Pausen?
Nein, es ist ja umgekehrt. Ich denke mir beim Bäcker keine Pointen aus. Ich spiele auf der Bühne nach, was ich beim Bäcker erlebt habe. Das heißt, ich denke privat nicht pausenlos daran, bühnenreif Pointen zu setzen. Das fände ich sehr lästig. Für mich und für die anderen. Im Gegenteil bin ich auf der Bühne privat. Das heißt, dass ich das Glück habe, das, womit ich mich privat beschäftige oder was mich hobbymäßig interessiert, auf der Bühne zu vollführen.
Sie üben Ihr Hobby vor Publikum aus. Herr Kretschmann macht das auf seine Weise auch. Trotzdem hört er nächstes Jahr als Ministerpräsident mit 77 auf. Wann hören Sie auf?
Hätten Sie je einen Komponisten oder Maler gefragt, wann er aufhört? Für mich gibt es kein Pensionsalter, weil es sich bei mir um ein Hobby auf der Bühne handelt. Ich müsste mir ja ein neues Hobby suchen. Das wären vermutlich Satire und Comedy. Da drehte ich mich wirklich im Kreis. Deshalb ist der Satiriker die ideale Bestimmung für mich immer gewesen, weil es keine Trennung gibt von Job und Alltag. Der Satiriker ist nur glaubhaft, wenn er das, was er dem Publikum erzählt, auch selbst lebt.
Sie feiern gleich mit 15 Veranstaltungen Ihre 50 Jahre im Renitenz-Theater. Was war ihr allererster Satz auf dieser Bühne, damals noch auf der Königstraße?
Es wird vermutlich der klassische Satz gewesen sein: „Guten Abend, meine Damen und Herren, da bin ich!“ Denn Gendern lag in weiter Ferne. Obwohl ich mit einer Ansage gemäß: ‚Ich begrüße Sie, meine Herr*innen‘ schon den ersten Lacher gehabt hätte. Oder nur Kopfschütteln. Tatsache ist, dass der erste Satz in Verbindung mit dem Renitenz-Theater gar nicht von mir stammt. Sondern vom Gründer des Hauses, Gerhard Woyda. Günter Verdin, der bis heute meine Programme und TV-Auftritte inszeniert, hatte mich mit Woyda bekannt gemacht, der mich aufforderte, doch mal bei ihm vorzusprechen.
Sie haben gleich zugesagt?
Ich wollte weiter studieren und hatte für Kabarett gar keine Zeit. Nach sechs Wochen entschloss ich mich dann doch, der Einladung nachzukommen. Ging in die Königstraße 17, als Gerhard Woyda die Tür öffnete, sagte er, als hätte er auf mich, den unbekannten Studenten, gewartet, diesen ersten Satz: „Da sind Sie ja endlich!“ Eine halbe Stunde später hatte er mich bereits engagiert als Mitglied seines Ensembles.
Wenn Sie auf diese fünf Jahrzehnte Kabarett zurückblicken: Haben Sie mehr Politiker überlebt – oder mehr Pointen?
Es waren tatsächlich mehr Politiker, denn wenn ich an die Unflexibilität in der Politik denke, an die Unfähigkeit, für eigene Fehler gerade zustehen, an den Unwillen, dem Wähler das zu erklären, was man unter Umständen auch falsch machen muss, dann haben sich Pointen weit weniger überlebt als Politiker. Einfach, weil leider manche Pointen immer wieder aufs Neue auch auf neue Politiker passen.
Mathias Richling im Jahr 2013 mit dem 2017 verstorbenen Theatergründer Gerhard Woyda und Regisseur Günter Verdin (von links). Foto: PPfotodesign/Michele Danze
Das Renitenztheater war immer Ihr künstlerisches Wohnzimmer. Was bedeutet dieser Ort für Sie heute – nostalgische Heimat oder Labor für neuen Wahnsinn?
Am Renitenz-Theater habe ich begonnen, politische Satire zu lernen. Vorher waren meine Auftritte eher vergleichbar mit unpolitischer Comedy. Und wenn man sieht, wie sehr immer mehr produziert wird auf Masse, auf schnellen Erfolg, kann man dankbar sein, dass es ein Haus wie das Renitenz-Theater gibt, das in der Tradition seines Gründers Gerhard Woyda jungen Kollegen Chancen gibt, sich zu profilieren. Und da gilt für das Renitenz-Theater, was für die ganze Stadt Stuttgart gilt, wenn Fremde boshaft behaupten, man könne hier nur versauern. Nein, hier, in Stuttgart und im Renitenz-Theater kann man reifen.
Wenn Sie Ihre 50 Jahre Kabarett in einer Figur zusammenfassen müssten – wäre das eher ein schwäbischer Sisyphos, ein politischer Don Quichotte oder der bruddlige „Fernsehglotzer“ der Abendschau?
Mein sogenannter Fernsehschwabe, den ich zehn Jahre lang freitäglich in der SDR-Abendschau aktuelle Politik kommentieren ließ, ist gewiss die ideale Figur, um die letzten 50 Jahre zusammenzufassen. Und übrigens auch die nächsten 50 Jahre. Weil er eine Figur ist, die alles in den Medien konsumiert und ihnen alles glaubt. Das bedeutet aber, dass er die widersprüchlichsten Dinge gutheißt und für wahr hält. Und damit ist diese Figur so lebensnah. Denn wer würde nicht oft seine Meinung schnell einem Mainstream oder einer Polemik anpassen, um nicht weiter darüber nachdenken zu müssen.
Wenn Sie heute beginnen würden – mit Tiktok, Youtube und Shitstorms – würden Sie noch mal Kabarettist werden?
Die Grundbedingung der Satire ist, den Daumen am Puls der Zeit zu haben. Und zwar nicht nur inhaltlich und politisch, sondern auch gesellschaftlich und formal. Insofern ist es mir wurscht, welche Darstellungsebenen die Zeit bietet. Und ich bin ja auch mit „Richling backstage“ auf youtube und mit meinem neuen podcast vom SWR auf dessen Audiothek. Also ist die Antwort: Selbstverständlich.
Wenn die Bahn mal wieder verspätet ist – spüren Sie da als Stuttgarter Kabarettist in der S-21-Heimat Mitgefühl oder Materialsammlung?
Die Kunden müssen der Bahn furchtbar lästig sein. Man denkt zwar, die Bahn braucht doch die Umsätze. Aber die kriegen sie durch Güterverkehr und Massenreisen. Einzelkunden sind Kleinvieh und machen nur Mist. Und wenn wir erleben, dass nicht wie früher Reparaturen oder Renovierungen im laufenden Bahnverkehr innerhalb gegebener Pausen erledigt werden, sondern wichtige Strecken wie Berlin-Hamburg monatelang komplett stillgelegt werden, dann ist eben Stuttgart 21 offensichtlich eine Blaupause für das ganze Land.
Was kritisieren Sie an Stuttgart 21?
Dieser unselige Bahnhof, für den mit 62 Kilometer Tunneln Stuttgart durchbohrt wird wie ein Emmentaler und schlimmer umgegraben als durch die Bombardierungen des Zweiten Weltkriegs. Ein Putin bräuchte hier nicht einzufallen. Die Zerstörung kriegen wir selbst hin. Nur weil ein Kopfbahnhof um 90 Grad gedreht wird. Wahrscheinlich müssen wir dankbar sein, dass die Bahn nicht die ganze Innenstadt um 90 Grad gedreht und unter die Erde gelegt hat.
In Baden-Württemberg steht nächstes Jahr die Landtagswahl an. Wenn Sie das politische Personal auf der Bühne besetzen müssten – wer spielt den Helden, wer den Hofnarren und wer den Statisten vor dem Rauswurf?
Das ist ja nicht zu beantworten. Da die bisherigen Hauptfiguren, insbesondere Kretschmann und Strobl, vom populären Standpunkt her seit Jahren eine gewisse Sogwirkung ausüben. Es wäre nur sinnvoll, dass derjenige, der künftig den Helden abgeben will in der neuen Landesregierung, gut daran tut, immer wieder sein eigener Hofnarr zu sein.
Mathias Richling sagt über Winfried Kretschmann: „Er ist einmalig!“ Foto: dpa
Wie kommt Baden-Württemberg ohne Kretschmann zurecht?
Wir Schwaben werden gar nicht zurechtkommen ohne Kretschmann. Weil er einfach Grüne und SPD und CDU und FDP als Personalunion in sich vereinigt. Dadurch hat er Konflikte innerhalb der Bündnisse vorwiegend mit sich selbst ausgetragen. Das ist einmalig.
Wollen Sie Hagel oder Özdemir als seinen Nachfolger? Wer ist besser fürs Kabarett?
Auch kabarettistisch reichen beide nicht an ihren künftigen Vorgänger heran. Denn eine Parodie muss immer bedingen, dass das Original erkennbar ist aus sich heraus. Wer würde Hagel erkennen, wenn er spricht und man ihn nicht sieht? Und Özdemir erkennt man vielleicht schon eher. Aber ich denke, dass die Wähler in Baden-Württemberg gar nicht erkennen wollen.
Die schwarz-rote Koalition ist fast jetzt schon so zerstritten wie die Ampel ganz zum Schluss. Wie lange geben Sie der Merz-Regierung noch?
Der Reihe nach: die schwarz-rote Koalition ist nicht fast, sie ist genauso zerstritten wie die Ampel. Das liegt daran, dass die jetzige Koalition zum Teil aus einem Großteil der Ampel besteht. Und das liegt daran, dass dieser Teil, nämlich die SPD mit Herrn Wichtig, den man im Volksmund auch Klingbeil nennt, keine Konsequenz gezogen hat aus ihren Verlusten bei der Bundestagswahl. Das waren immerhin beinahe 10 Prozent. Trotzdem machte sich Lars K. zum Fraktionschef, zum Finanzminister und auch noch zum Stellvertreter von Merz. Man kann froh sein, dass die SPD nicht gerutscht ist unter 10 Prozent. Dann wäre Herr Klingbeil heute Kanzler.
Hat sich Ihre Meinung über Trump geändert, weil er als Friedensstifter im Gaza auftritt? Hat er den Friedensnobelpreis verdient?
Erstens nein, und zweitens natürlich nicht. Seine ‚Gaza-Inszenierung‘ war einzig dem Ziel geschuldet, den Preis zu bekommen. Das ist gründlich schief gegangen. Trump ist eine gefährliche politische Witzfigur. Dem inzwischen sogar unabhängige Wissenschaftler fortgeschrittene Demenz und Narzissmus bescheinigt haben.
Also kein Nobelpreis?
Den Nobelpreis könnte er höchstens beanspruchen, weil noch nie hat eine Abrissbirne ein Hochhaus so schnell erledigt wie die Prall-Kugel Trump die Demokratie. Auf dieser Basis kämpft er den amerikanischen Angriffskrieg. Gegen USA. Siehe Kapitol. Siehe Nationalgarden in Großstädten. Wenigstens wird USA damit die Hochform der humanen Kriegsführung erreichen. Statt andere Länder zu vernichten, bekämpfen sie sich jetzt selbst.
Auftritte im Renitenz-Theater
Heimspiele
Vom 29. Oktober bis zum 15. November tritt der 1953 geborene Mathias Richling mit verschiedenen Programm in Renitenztheater auf – auf jener Bühne, auf der vor 50 Jahren seine Karriere als Kabarettist begonnen hat. Karten im Netz.