Wolfsburg – Der Autokonzern Volkswagen wird seine Produktion in wichtigen Werken voraussichtlich in der kommenden Woche stoppen.
Nach aktueller Planung werde am Mittwoch die Fertigung des Golfs in Wolfsburg ausgesetzt, erfuhr BILD von drei mit den Planungen vertrauten Personen. Der Termin könnte sich noch um ein, zwei Tage schieben, sollte VW kurzfristig neue Chips besorgen können. Ein Baustopp bei weiteren Modellen wie dem Tiguan folgt dann. Schrittweise werde die Arbeit in weiteren Fabriken eingestellt.
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Wie BILD erfuhr, geht das Werk in Zwickau (aktuell rund 9200 Mitarbeiter) ab kommendem Mittwoch in Kurzarbeit. Das wurde heute u.a. auch während einer Belegschaftsversammlung im Werk bekannt gegeben. Die Werksleitung erntete dabei Buhrufe, es kam laut Augen- und Ohrenzeugen zu Schreiereien zwischen der Belegschaft und der Werksleitung.
▶︎ Am frühen Abend dann äußerte sich auch VW Sachsen zu den Meldungen. Ein Sprecher sagte, die Betriebsversammlung sei ruhig verlaufen, man habe u. a. über die aktuelle Materiallage gesprochen. Demnach teilte die Werksleitung mit, dass bis kommenden Dienstag die Produktion abgesichert sei, ab Mittwoch jedoch alles offen.
BILD hatte gestern über den drohenden Produktionsstopp berichtet – da hatte der Konzern noch betont, dass die Bänder weiterlaufen. Auch am Mittwochmorgen hieß es in einem internen Brief an die Mitarbeiter, die Produktion sei trotz Chip-Mangels „noch unbeeinträchtigt“, warnte lediglich: „Vor dem Hintergrund der dynamischen Lage können Auswirkungen auf die Produktion kurzfristig jedoch nicht ausgeschlossen werden.“
▶︎ Sachsens Wirtschaftsminister Dirk Panter (51, SPD) sagte zu BILD: „Die aktuelle Situation bedaure ich sehr – insbesondere, weil sie Kolleginnen und Kollegen unmittelbar trifft, die tagtäglich mit großem Engagement an den sächsischen Standorten arbeiten. Die aktuelle Chipkrise und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Automobilbranche sind ein alarmierendes Signal dafür, wie abhängig Europa in zentralen Zukunftstechnologien noch immer ist.“
Ursache: Fehlende Chips aus China
In Wolfsburg werden neben dem Golf und dem Tiguan auch der Touran und der Tayron gefertigt.
Grund dafür, dass die Produktion ausgesetzt wird: ein Lieferstopp von Nexperia-Chips. Der Halbleiterhersteller mit Sitz in Nijmegen steht im Zentrum eines Streits zwischen China und den USA. Auf Druck der US-Regierung hatte die niederländische Regierung die Kontrolle über Nexperia übernommen; als Reaktion darauf untersagte Peking den Export von Nexperia-Chips aus der Volksrepublik.
Nexperia produziert auch in Europa, allerdings kommt der Großteil der Chips aus China. Eine Alternative hat VW derzeit offenbar nicht. Halbleiter anderer Hersteller müssten erst getestet und zertifiziert werden, hieß es in Konzernkreisen.
Die Chip-Krise kann neben VW die gesamte Autobranche und sogar andere Industriezweige treffen. Sprecher von BMW, Mercedes und Daimler betonten, dass die Lage analysiert werde. Derzeit läuft die Produktion bei den Firmen noch.
Mehr zum ThemaFahrplan für Stillstand steht
Das Management von Volkswagen bereitet derzeit einen Fahrplan vor, in welchen Fabriken wann die Produktion zurückgefahren wird. „Entscheidend ist dabei, wie hoch der Gewinn mit einem Modell ist“, hieß es in Konzernkreisen. Zunächst werde es daher Fabriken der Kernmarke VW treffen, später dann auch die Fertigung von Fahrzeugen von Audi, Seat/Cupra sowie weiterer Marken.
Auch die Konzernschwester Audi muss sich auf den Baustopp bei einigen Modellen einstellen
Foto: picture alliance / Daniel Kalker
Da die Halbleiterbestände schnell schrumpfen, werden nach Wolfsburg sehr bald andere Werke betroffen sein. Sollte sich die Lage nicht verbessern, dann würden den Planungen zufolge auch die Fabriken in Emden, Hannover, Zwickau sowie in anderen Städten vorübergehend gestoppt werden. Bislang werde lediglich die Fertigung am Standort Osnabrück fortgeführt, sagte eine Person, die mit den Vorbereitungen vertraut ist.
Von der Aussetzung der Produktion werden letztlich einige zehntausend Beschäftigte in Deutschland betroffen sein, wenn die Chip-Krise ihre volle Wirkung entfaltet. Der Konzern führt bereits mit den Arbeitsagenturen Gespräche über Kurzarbeit.
VW vor existenziellen Problemen
Der VW-Konzern ist Europas größter Autohersteller, der mit seinen Marken VW, Škoda, Seat, Audi, Porsche, Lamborghini und Bentley die gesamte Bandbreite der Modellvielfalt abdeckt. Das Unternehmen steckte bereits vor der Halbleiterflaute tief in einer Krise, weil die Nachfrage in den Märkten USA und China gefallen ist und sich wichtige Modelle verzögern.
VW-Chef Oliver Blume muss die Halbleiterkrise meistern
Foto: Michael Kappeler/dpa
Die Mega-Krise stellt Konzernchef Oliver Blume (57) vor existenzielle Probleme. Um die geplanten Investitionen für das kommende Jahr zu finanzieren, fehlen VW derzeit laut Konzernkreisen elf Milliarden Euro. Einen Teil des Betrags wollte Blume über den Verkauf zusätzlicher Autos reinholen.
Dieser Plan ist nun durch den Chip-Mangel gefährdet. Eine Erkenntnis ist im Konzern gereift: „Wir wissen nicht, wann Nexperia wieder liefern wird“, sagte ein Manager zu BILD.