Was ist dran an den „Stadtbild“-Aussagen von Friedrich Merz? Rund um Bahnhof und Untere Königstraße häufen sich die Problemzonen. Der Artikel vom 23.5.2025 wurde am 22.10. aus gegebenem Anlass aktualisiert.
Etwas Sportlichkeit kann nicht schaden. Und ein bisschen Kurzsichtigkeit auch nicht. Während der Reisende, der am Stuttgarter Hauptbahnhof ankommt, die Umwege dank der Stuttgart-21–Baustelle unter die Füße nimmt, schaut er besser nicht so genau nach links und rechts. Nur dann entgeht ihm vielleicht der Müllabladeplatz der Klett-Passage, auf dem sich regelmäßig die Ratten tummeln. Die sind an diesem Montagmorgen immerhin nicht zu sehen.
Dafür viele Menschen mit Koffern, die versuchen, sich zurechtzufinden. Große Plakate und Linien auf dem Boden weisen den Weg. Eine Gruppe Touristen aus England steht fragend vor dem eingerüsteten Bonatzbau und schaut auf ein Handy. „Wir suchen unser Hotel“, sagen sie – und fügen in typisch britischem Humor hinzu: „Es ist großartig, dass die Stadt gleich eine Herausforderung für Gäste bereitstellt. Das trainiert den Kopf.“ Gelächter. Und dann weiter, rein in die Klett-Passage.
Die Polizei zeigt Präsenz
Die hübsche kleine Promenade durch Stuttgarts beliebtesten Drogenumschlagplatz führt zunächst an einer Polizeistreife vorbei. Die diskutiert gerade mit einem Mann, der sichtbar schwankend unterwegs ist. Nachts, das wissen Eingeweihte, ist es hier noch deutlich kuschliger als an einem sonnigen Morgen. Dann ziehen sich auch Gruppen hierhin zurück, um in der Passage zu lagern.
Herzlich willkommen in Stuttgart. Zumindest, wer mit der Bahn anreist, hat erst einmal einiges zu überstehen. Bei vielen Besuchern, aber auch Einheimischen hinterlässt das keinen guten Eindruck. Neulich machte zum Beispiel die ZDF-Moderatorin Salwa Houmsi ihrem Ärger Luft. „Keine Stadt in Deutschland heißt einen so wenig willkommen wie Stuttgart“, wetterte sie in einem Video auf Tik Tok, nachdem sie am Hauptbahnhof angekommen war.
Auf der unteren Königstraße kündigt sich schon die nächste Baustelle an. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko
Immerhin: Wer es mal bis auf die untere Königstraße geschafft hat, verlässt die Tristesse Schritt für Schritt. Gut, diverse Schnellrestaurants und Leerstände empfangen die Gäste auf den ersten Metern. Mülleimer hat die Stadt reichlich aufgestellt und leert sie auch häufig, allerdings werfen manche ihren Abfall halt doch lieber direkt daneben auf den Boden. Durch die Theaterpassage könnte man den Schlossgarten erreichen – der dunkle Gang mitsamt mehreren Streifenwagen, die dort stehen, wirkt aber wenig einladend.
Also weiter auf der Königstraße Richtung Schlossplatz, durch den morgendlichen Lieferverkehr. Vor dem Königsbau scheint die Sonne, die ersten Menschen lassen sich auf den Treppen und Wiesen nieder, auf einmal wirkt die Stadt entspannt, großräumig und einladend. Die Irrwege durch Baustellen, provisorische Gänge und unterirdische Parallelwelten scheinen fast vergessen.
Die nächste Großbaustelle folgt
Man könnte natürlich sagen: All das ist einfach Großstadt. Ja. Und nein. Denn klar ist, dass Stuttgart rund um den Hauptbahnhof und die untere Königstraße ein Problem hat. Die Baustelle des Projekts Stuttgart 21 zieht sich noch Jahre hin, dazu kommt der grundlegende Umbau des Bonatzbaus. Und bald folgen wird das nächste Großprojekt direkt daneben. Für 700 Millionen Euro will die LBBW Immobilien den Komplex Königstraße 1 bis 3 umgestalten. Dort soll laut dem Bauherrn „das schönste Stück Stuttgart“ entstehen. Ob man sich darunter zwingend eine Geschäftsimmobilie vorstellt, sei jedem selbst überlassen. Aber klar ist: Die Bauzäune wandern weiter.
Die Verantwortlichen jeder Couleur mühen sich nach Kräften, etwas Abhilfe zu schaffen. In der Klett-Passage ist die Präsenz der Sicherheitskräfte erhöht worden. Gedealt wird freilich weiterhin. Die Passage selbst soll auch aufgehübscht werden – irgendwann. Das Jugendamt, fordert die CDU, solle genauer auf die Kinder dort lagernder Menschen achten, um bei Gefährdung des Kindswohls eingreifen zu können. Und das Rattenproblem an einigen Ecken soll durch eine neue Müllpresse beseitigt werden.
Der große Wurf wird all das aber nicht sein. Ein neues Eingangsportal zur Innenstadt wird erst entstehen, wenn all die Baustellen beendet sind und sich der gesamte Bereich runderneuert präsentiert. Das wird noch eine ganze Weile dauern. Und bis dahin heißt es rund um den Hauptbahnhof: Willkommen in Stuttgart – aber bitte nicht so genau hinsehen.