
Es kann hilfreich sein, wenn Ungarns Ministerpräsident Orban bei einer EU-Abstimmungen vor die Tür geht – 2023 hat das schon einmal funktioniert. Zu Beginn des heutigen EU-Gipfels fehlt Orban wieder. Erleichtert das die Beratungen?
Der EU-Gipfel wird ohne den ungarischen Regierungschef Viktor Orban beginnen. Der 23. Oktober ist Nationalfeiertag in Ungarn; er erinnert an die Proteste gegen die russische Besatzung 1956. Orban will an den Feierlichkeiten im Land teilnehmen, bevor er nach Brüssel reist, heißt es.
Das sorgt in der EU-Hauptstadt für Spekulationen. Werden die Staats- und Regierungschef die Gelegenheit nutzen, um Entscheidungen gegen Russland zu treffen, die Orban vielleicht verhindert hätte?
Es wäre nicht das erste Mal, dass Orban in einem heiklen Moment nicht im Raum ist – 2023 stimmten die Staats- und Regierungschefs der EU über Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine ab, als Orban auf Vorschlag von Bundeskanzler Olaf Scholz den Raum für eine Kaffeepause verließ. Für Orban eine gesichtswahrende Lösung, für die EU das Ende einer Blockade.
Geld für die Ukraine
Auf dem Gipfel wird es um russisches Vermögen gehen, das vor allem in Belgien angelegt ist. Die EU hat das Geld der russischen Zentralbank eingefroren, Russland kommt nicht ran. Man spricht deshalb auch von „Frozen Assets“. Diese sollen jetzt in irgendeiner Form der Ukraine zugutekommen.
Das Land braucht spätestens im nächsten Jahr weitere Milliarden, um sich gegen Russland zu verteidigen. Von rund 140 Milliarden Euro ist die Rede, die man als Sicherheit für einen Kredit nehmen könnte. Für diesen müssten aber dann alle EU-Länder haften, fordert Belgien. Das kleine Land hat Angst vor einer Milliardenklage aus Moskau.
Ein Ziel des Gipfels ist es, dass die Staats- und Regierungschefs grünes Licht geben, einen Plan zu entwerfen, wie man das russische Vermögen einsetzen könnte, um der Ukraine zu helfen. Und Orban könnte sagen, er war nicht dabei.
Ringen um Friedensprozess für die Ukraine
Orban hätte in Kürze gerne einen eigenen Gipfel für den russischen Präsidenten Wladimir Putin und den amerikanischen Präsidenten Donald Trump ausgerichtet. Doch daraus wird nun nichts. Die Vorstellungen zwischen den beiden Präsidenten über eine Waffenruhe in der Ukraine liegen offenbar so weit auseinander, dass Trump den Flug über den Atlantik nicht antritt. „Ich mache keine Meeting die nichts bringen, ich möchte meine Zeit nicht verschwenden“, sagte Trump.
Der ungarische Regierungschef hat die Hoffnung aber noch nicht aufgegeben. „Der Termin ist noch ungewiss, wenn es soweit ist, werden wir den Gipfel abhalten“, schrieb er auf Social Media.
Die Europäer sind also erstmal wieder auf sich alleine gestellt. Gemeinsam mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyi, der an dem Gipfel teilnimmt, arbeiten sie an einem Zwölf-Punkte-Plan. Dieser sieht unter anderem die aktuelle Frontlinie als Ausgangspunkt für Verhandlungen vor. Und der wirtschaftliche Druck auf Moskau soll erhöht werden.
Die USA sollen dabei offenbar eng eingebunden werden – über ein Aufsichtsgremium, das die Umsetzung der Vereinbarung überwachen würde und dem Trump vorsitzen solle. Das Muster ist bekannt: Es ist Trumps 20-Punkte-Plan für den Gazastreifen.
Weitere Sanktionen geplant
Eine der wenigen konkreten Entscheidungen dieses EU-Gipfels könnte das 19. Sanktionspaket gegen Russland werden. Nachdem auch die Slowakei Zustimmung signalisiert hat, muss Russland mit weiteren Sanktionen rechnen.
Zu denen gehört unter anderem keine weitere Abnahme von russischem Flüssiggas ab 2027, ein weiteres Vorgehen gegen die sogenannte Schattenflotte und auch gegen Unternehmen aus China und Indien, die weiter Geschäfte mit Russland machen. Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas erklärte bereits Anfang der Woche, es werde nicht das letzte Paket Richtung Moskau sein.
Streit über Bürokratieabbau
Weiteres Thema soll die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Staaten sein. Vor dem Gipfel war bei EU-Ratspräsident Antonio Costa ein Brief eingetroffen, der unmissverständlich im Ton war. 19 Regierungschefs werden als Absender genannt, ganz oben steht Berlin. Diese 19 fordern einen radikalen Kurswechsel, was europäische Auflagen und Vorschriften betrifft – und das schnell.
Noch bis Jahresende solle die EU-Kommission das aktuelle europäische Regelwerk einer gründlichen Überprüfung unterziehen und darlegen, wie überholte und überbordende Vorschriften vereinfacht oder gänzlich gestrichen werden können.
Und die EU-Kommission solle schnell Pläne präsentieren, wie Planungs- und Genehmigungsverfahren für die Markteinführung neuer Produkte oder den Bau von Fabriken und Energienetzen beschleunigen werden können. Außerdem solle das EU-Wettbewerbsrecht modernisiert werden. Auf dem Gipfel solle dieser neue Kurs eingeschlagen werden
Die ersten Schritte dazu sollten schon auf dem aktuellen Gipfel getan werden – und schon im Februar solle es dann einen Sondergipfel geben.
Verbrenner-Aus und Klimaziele
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte ebenfalls einen Brief verfasst, in dem sie ihre Klima-Politik verteidigt. „Wir setzen unseren Wohlstand aufs Spiel, wenn unsere Gemeinschaft unbewohnbar wird“, schreibt sie darin. Bleibt es also bei den Klimazielen für 2040? Diese besagen im Prinzip, dass dann im Vergleich zu 1990 90 Prozent weniger CO2 ausgestoßen werden sollen. Das geht manchen Ländern zu weit, vor allem wenn dafür keine Autos mit Verbrennermotor mehr gebaut werden dürfen.
Doch nicht alle Staaten wollen den sogenannten Green-Deal jetzt komplett auf den Kompost werfen. Frankreich und Spanien haben gerade verkündet, sie wollen am Verbrenner-Aus bis 2035 festhalten.
