Viel mehr als nur Wildschwein und Zaubertrank. Die beiden weltberühmten Gallier erkunden in ihren Abenteuern die Küchen Frankreichs und der ganzen bekannten, antiken Welt. Die Comics sind auch Liebeserklärungen ans Essen.

Essen ist und war stets mehr als die Aufnahme von lebensnotwendigen Kalorien, Vitaminen, Mineralien und Ballaststoffen, nämlich Genuss, Selbstverortung, soziales Schmiermittel. Und Trost. Während die beiden Erfinder an ihrem 24. Asterix-Band arbeiteten, verstarb René Goscinny im Alter von nur 51 Jahren bei einem Herzbelastungs-EKG an einem Herzinfarkt. Die Umstände des eigenen Todes hätten den großen Humoristen wahrscheinlich erheitert, sein Partner Albert Uderzo aber war untröstlich.

Er sehe sich nicht imstande, den neuen Band, in dem Asterix und Obelix ihre belgischen Nachbarn besuchen, allein fertig zu stellen, erklärte er. Sein damaliger Verlag aber bestand auf Vertragserfüllung. Was machte Uderzo? Er zeichnete auf der vorletzten Seite eine Hommage an das vielleicht berühmteste Gelage der Kunstgeschichte. „Die Bauernhochzeit“ (niederländisch: De Boerenbruiloft) ist ein Gemälde von Pieter Bruegel dem Älteren. Heute hängt es im Kunsthistorischen Museum in Wien: die schweigende Braut, das Mädchen mit dem Zeigefinger im Topf, die karg gefüllten Teller (Gerstenbrei?), die rasch nachgefüllten Karaffen – ein Meisterwerk. Uderzo liebte es, kunsthistorische Zitate in seine Geschichten einzubauen, aber nie waren sie so deutlich wie bei diesem Tableau. Schließlich geht es auf diesem Bild um eines der absoluten Zentralmotive bei Asterix: das Essen.

Wie man ein Wildschwein fachkundig und für heutige Zungen abgeschmeckt zubereitet, findet sich in der Kochkolumne nebenan. Und auch wenn Obelix zuweilen eine arg verengte kulinarische Weltsicht pflegt, auch im neuen Band fremdelt er mit den lokalen Spezialitäten, haben er und sein Kompagnon Asterix im Laufe ihrer Abenteuer eine breite Palette von Delikatessen und kulinarischen Katastrophen zu sich genommen. Wenn man dann noch bedenkt, was die Römer bei ihren Orgien servieren lassen, lautet das geheime Leitmotiv dieser Mythologie „La grande bouffe“. 

Deswegen der Versuch einer Systematik: 1. Was isst man im gallischen Dorf? 2. Was kriegen die Gallier bei ihren Reisen vorgesetzt? 3. Was schlemmen die Römer? 4. Und was steckt in den beiden Zaubertränken – denn aufmerksame Leser werden sich erinnern, dass Asterix bei einem Ausflug nach Rom seinen ganz eigenen Trank erfindet, mit weitreichender Wirkung.

Im gallischen Dorf isst man vor allem die Wildschweine, die sich im umliegenden Wald offenbar kaninchenartig vermehren. So schnell, dass selbst Obelix die Population nicht kleingefressen kriegt. Besonders historisch ist dies übrigens nicht. Wildschweine gehörten nicht zur bevorzugten Nahrung der antiken Gallier; auch in den Standardwerken der französischen Küche wird es stiefmütterlich behandelt.

„Wird wie Reh zubereitet“, kanzelt es Paul Bocuse in seinem Standardwerk „Die neue Küche“ ab, und in dem dreibändigen „Großes Wörterbuch der Kochkunst“ widmet ihm Alexandre Dumas nur etwas mehr als eine Seite. „Wildschweinjagd ist nicht ungefährlich, denn das wilde Schwein ist von Natur aus eher menschenfeindlich eingestellt“, schreibt er. „Die spinnen, die Kochbuchautoren“, würde Obelix vermutlich sagen und sich jagdlustig die Hände reiben. Auch beliebt, wenngleich umstritten, im gallischen Dorf ist verdorbener Fisch, den der Händler Verleihnix, um lange Lieferketten zu garantieren, eigens aus Lutetia importiert. Gelegentlich werden auch Pilze gesammelt.

Eine recht einseitige Kost, findet etwa die First Lady Gutemine, die die Delikatessen am Esstisch ihres erfolgreichen Bruders in der Hauptstadt schätzt. Dieser nennt ihren Mann nur „Dingsbums“ und tischt Biberschwänze mit Himbeeren und Rinderfüße à la crème auf, was Majestix, der einige Hörner Wein zu viel intus hat, nicht auf sich sitzen lassen kann: Er kündigt seinem nervigen Schwager ein Ragout an, das er sich von all seinem Geld nicht kaufen kann – gewürzt mit den Lorbeeren Cäsars.

Bei dem Versuch, den Lorbeerkranz zu entwenden, landen Asterix und Obelix als Scheinsklaven im Hause einer wohlhabenden Familie. Um von denen wieder gefeuert zu werden, kocht ihnen Asterix eine Suppe aus Marmelade, Pfeffer, Salz, Nieren, Feigen, Kernseife, Honig, Pfefferschoten, Blutwurst, Eiern und Granatapfelkernen und – wichtig! – einem ungerupften Huhn. Doch das Teufelsgebräu erweist sich als Wundermittel für den ständig verkaterten Sohn des Hauses Gracchus. Ein Teller von diesem Teufelsgebräu und er ist ausgenüchtert und kann weiterzechen. Für Goscinny und Uderzo mag das der wahre Grund für den Untergang des römischen Imperiums gewesen sein. Ein echter Franzose traut einer kräftigen Mahlzeit eben alles zu.  

So bringt ein korsischer Käse ein Piratenschiff zum Explodieren. So bringt sein unerfüllter Wunsch nach frischem Fisch den kleinen Spanier Pepe fast zum Explodieren. So wird aus dem behäbigen Fondue der Schweizer eine Art S/M-Orgie, sobald ein Dinnergast seinen Käsebrocken im geschmolzenen Käse verliert. Nur die Nachtigallenzungen und die gefüllten Giraffenhälse bei den Orgien des Erzfeindes muss man als frühe Anzeichen spätrömischer Dekadenz bewerten.

Ihre Meister finden die Gallier in ihren Nachbarn, den Belgiern, die sie an Verfressenheit noch übertreffen. Übertreffen sie alle Gallier? Nein! Ein wackerer Hinkelsteinlieferant arbeitet unermüdlich, den Ruf seines Landes als Grande Nation des Esstischs zu verteidigen. „Endlich mal ein Gallier, der nicht so verkümmert ist“, sagt die Bouillabaisse-Verkäuferin in Marseille zu Obelix, als er mit Asterix auf einer epischen Schlemmerfahrt durch Gallien ist, die unter dem Namen „Tour de France“ veröffentlicht wird. Und dieser Vater aller Schlemmer in der praktischen Streifenhose trippelt verlegen mit den Füßen und errötet, wie wirklich nur er es kann. Bon appétit!

Kurz vor Erscheinen seines neuesten Abenteuers „Asterix in Lusitanien“ (erscheint am 23. Oktober) kommt es zu einer Weltpremiere: eine ganze WELT AM SONNTAG, die ausschließlich mit Bildern von Albert Uderzo und seinem Nachfolger Didier Conrad illustriert wird. Leser finden in dieser Ausgabe die gewohnte Mischung aus Nachrichten, Analysen und Unterhaltung, aber auch Geschichten, die selbst die behäbigen Bewohner eines gallischen Dorfes interessieren könnten.

Sie können diese ganz besondere Ausgabe der WELT AM SONNTAG, ein Sammlerstück, gern hier bestellen.