Von Zeit zu Zeit frage ich mich: Was würde ich tun, wenn ich nicht nur Bürgerin dieser Stadt wäre, sondern die Stadt selbst?
Wenn ich München wäre – mit Herz, Haltung und Handlungsspielraum?
Würde ich abwarten, bis der nächste Schulentwicklungsplan eintrudelt? Oder anfangen, das Thema Bildung selbst in die Hand zu nehmen?
Denn wenn wir ehrlich sind: Unser Bildungssystem stammt aus einer anderen Zeit.
Es wurde vor rund 140 Jahren konzipiert – damals als Disziplinierungs- und Anpassungsanstalt, nicht als Raum für Potenzialentfaltung.
Heute benutzen wir neue Begriffe wie Legasthenie, Dyskalkulie oder ADHS, um zu kaschieren, dass das System selbst den Kindern nicht gerecht wird.
Wir schlagen sie nicht mehr, immerhin.
Wir haben Schulpsycholog*innen, soziale Projekte, Modellversuche.
Aber im Kern bleibt die Frage:
Bildet diese Schule die Kinder für die Welt, in der sie leben werden – oder für eine Welt, die es nicht mehr gibt?
Wenn ich München wäre, würde ich genau hier ansetzen.
Und zwar sofort.
Ich würde als Stadt eine eigene Vision entwickeln:
Eine Vision von Menschen, die ihr Leben selbst gestalten können.
Die wissen, was ihr Körper braucht, wie Kommunikation gelingt, wie Zusammenhänge funktionieren – und warum Fehler keine Katastrophen, sondern Teil des Lernens sind.
Ich würde Bildung als das denken, was sie sein sollte:
Ein Möglichmacher. Eine Befähigung. Eine Einladung an alle.
Und dann würde ich nicht sagen: “Das ist Ländersache.”
Ich würde fragen: Was kann ich als Stadt München konkret tun? Und zwar heute.
Zum Beispiel:
- Mehr Schulen in städtischer Trägerschaft schaffen – um mehr Raum für eigene Konzepte und Standards zu entwickeln.
- Kleinere Klassen ermöglichen – durch flexible Raumkonzepte, Teilzeitmodelle und individuelle Förderung.
- Tandemteams etablieren: Lehrer*innen plus Honorarkräfte mit Praxiserfahrung, damit Theorie und Wirklichkeit endlich gemeinsam unterrichten.
- Senior*innen aktiv einbinden – als Nachhilfehelfer, Hausaufgabenunterstützung oder Lese-Omas. Das entlastet Familien und bringt Bildung dorthin, wo sie am meisten gebraucht wird. Gleichzeitig gibt es den Senior*innen eine sinnvolle Aufgabe und verbindet Generationen.
- Städtische Schulhöfe auch nach Schulschluss öffnen – für Spiel, Bewegung, Begegnung. Trotz möglichen Beschwerden von Anwohner*innen die Vision einer Stadt für den Zusammenhalt der Bürger*innen der Zukunft.
- Schüler*innen Verantwortung geben: Kochen, Räume pflegen, Schulhöfe sauber halten – nicht als “Strafe”, sondern als echte Mitgestaltung. Weil man das wertschätzt, woran man mitgewirkt hat.
- Eine zentrale städtische Fundraising- und Koordinierungsstelle einrichten, die Schulen bei der Beschaffung von Material, Projektgeldern und Kooperationspartnern unterstützt.
- Demokratie und Medienkompetenz fördern, ganz ohne Hightech: durch Debattierformate, Diskussionsrunden, Projekttage und partizipative Schulentwicklung.
- Lernen als Lebenskompetenz begreifen: Wie schließe ich einen Handyvertrag ab? Wie lese ich AGBs? Wie funktioniert ein Mietverhältnis? Was ist der Dreisatz? Wie führe ich ein Gespräch, bei dem beide Seiten etwas gewinnen?
Bildung ist nichts, was wir nur in der Schule “erledigen”.
Es ist etwas, das wir jeden Tag leben.
In unseren Städten, auf unseren Straßen, in unseren Begegnungen.
Deshalb würde ich als München nicht nur Räume bereitstellen, sondern Kultur verändern.
Ich würde aufhören, Kinder als “Klientel” zu sehen, und anfangen, sie als Mitgestaltende ernst zu nehmen.
Ich würde ihnen zuhören. Ihre Ideen sichtbar machen. Ihnen das Werkzeug geben, ihre Welt zu verstehen – und zu verändern.
Und ja, ich höre die Stimmen, die sagen: “Dafür ist kein Geld da.”
Aber ich frage zurück:
Was kostet es uns, wenn wir Bildung nicht verbessern?
- Mehr Ausgaben für Sicherheit, weil Perspektivlosigkeit zu Konflikten führt.
- Höhere Gesundheitskosten, weil Stress und Überforderung krank machen.
- Arbeitslosigkeit, Abhängigkeit, soziale Spaltung.
Ein Euro in (frühkindliche) Bildung bringt sieben Euro Rendite zurück.
Und das ist nur der wirtschaftliche Aspekt.
Viel wertvoller ist, was wir nicht messen können:
Vertrauen. Kreativität. Miteinander. Würde.
Wenn ich München wäre, würde ich keine Schülerin und keinen Schüler aus dem Schulsystem entlassen, ohne dass sie oder er sicher lesen, schreiben, rechnen und denken kann.
Ich würde sagen:
Unsere Bürgerinnen und Bürger sind unsere wichtigste Ressource – und unsere größte Hoffnung.
Und deshalb ist die Frage nach dem “Ob” nicht mehr relevant.
Sondern nur noch:
Wann, wenn nicht jetzt?