Der Ausbruch der Vogelgrippe in der Region mit Hunderten bestätigten toten Wildvögeln und bereits Tausenden getöteten Gänsen und Enten in Zuchtbetrieben beunruhigt die Menschen in Berlin und Brandenburg. Die wichtigsten Fragen und Antworten:
Was ist los in Brandenburg?
Das Vogelsterben ist laut dem Brandenburger Umweltministerium „in dieser Größenordnung einmalig“. Auch das Friedrich-Loeffler-Institut teilte auf Anfrage mit, ein Anstieg der Fallzahlen im Herbst sei zwar üblich, aber: „Die momentane rasante Zunahme ist ungewöhnlich und deutet auf einen hohen Virusdruck bei Wildvögeln hin.“
Gratis testen: Lesen Sie den Tagesspiegel im Abo unbegrenzt. Alles aus der Welt und der Weltstadt.
Über 1000 Kraniche sind schon gestorben. Rund 14.000 Gänse und Enten mussten in verschiedenen Betrieben getötet werden. „Die Lage ist dramatisch. Es ist wie ein schlechter Horrorfilm“, sagte der Bürgermeister von Fehrbellin, Mathias Perschall (SPD).
Warum fällt die Lage so ungewöhnlich aus?
„Wir sehen derzeit ein sehr dynamisches Geschehen, das mit dem intensiven Wildvogelzug zusammenhängt“, teilte das FLI mit. An den Rastplätzen der Tiere kämen viele Wildvogelarten in engem Kontakt zusammen, wodurch sich das Virus leichter verbreite.
Felder und Feuchtgebiete in Brandenburg sind traditionelle Rastgebiete für Zugvögel, unter anderem auch Kraniche. Tiere dieser Art haben das Virus nun eingeschleppt. In den Landkreisen Ostprignitz-Ruppin und Oberhavel werden immer mehr verendete Vögel registriert. Auch aus dem Naturpark Westhavelland, der sich großteils im Landkreis Havelland erstreckt, wurden am Donnerstag erste Fälle gemeldet. Die zu großen Teilen in den vergangenen Jahren renaturierte Havelniederung mit ihren Seitenarmen und Altwassern zieht besonders viele Zugvögel an. Die Gefahr, dass Krankheiten eingeschleppt werden, steigt dadurch.
„Die hohen Viruslasten im Wildvogelbereich erhöhen das Risiko eines Eintrags in Geflügelbestände erheblich. Dies belegen die steigenden Zahlen an Ausbrüchen in Geflügelhaltungen im gesamten Bundesgebiet“, erklärt das Loeffler-Institut.
Als Risiko gilt auch, dass in der Region viele Familien privat Hühner, Enten, Gänse oder auch Truthähne im Freien halten. Auch wenn Kraniche normalerweise nicht in deren meist eingezäunten Bereichen rasten, kann das Virus etwa durch beim Überfliegen herabfallenden Kot oder auf anderen Wegen in die Bestände kommen. Das FLI sieht ein hohes Risiko für weitere Fälle bei Wildvögeln und Ausbrüche in Geflügelhaltungen.
Ist das Virus besonders aggressiv?
Laut dem FLI gibt es „keine Änderung des Geflügelpestvirus in Richtung Aggressivität oder höherer Pathogenität“. Auffällig sei jedoch, dass nun viele Kraniche betroffen seien – eine Vogelart, die in Deutschland bislang kaum erkrankt war. „Vermutlich haben sich die Tiere an Rastplätzen bei anderen Wildvögeln infiziert und das Virus dann in ihrer Population weitergegeben“, so das FLI.
Vor allem Wildenten zeigten bei einer Infektion oft keine schweren Krankheitssymptome. Da viele Arten in den vergangenen Jahren bereits betroffen waren, könne in deren Populationen eine (Teil-)Immunität gegen das Virus bestehen.
Was wird gegen den Ausbruch unternommen?
Landrat Ralf Reinhardt (SPD) sagte dem Rundfunk Berlin-Brandenburg am Donnerstag, sein Landkreis Ostprignitz-Ruppin stimme sich über eine Verordnung, die vor allem eine Stallpflicht für Geflügel beinhalten würde, derzeit mit den Nachbarkreisen ab. Diese könnte am Wochenende in Kraft treten. Geflügelhalter sollten aber ihre Tiere aber schon jetzt nicht mehr nach draußen lassen. Erfahrungen der vergangenen Jahre zeigen allerdings auch, dass solche Stallpflicht-Verordnungen teilweise nicht eingehalten werden. Sie sind auch schwer flächendeckend zu kontrollieren.
Schutzmaßnahmen für die Kranichpopulationen oder andere Wildvögel bestünden derzeit nur in der raschen Meldung von erkrankten und verendeten Vögeln sowie der schnellen Entfernung von Kadavern durch Expertenteams, um weitere Infektionen vor allem von Aasfressern zu vermeiden, betont das FLI. Zudem solle die Bevölkerung Kontakte mit erkrankten oder toten Wildvögeln meiden.
Geflügelhaltende sollten „strikte Biosicherheitsmaßnahmen umsetzen“, um Kontakte des Geflügels zu Wildvögeln zu minimieren und das Risiko zu verringern.
Wie wird das Vogelgrippevirus übertragen?
Das Virus findet viele Wege, um sich auszubreiten.
- Direkter Kontakt zu Wildvögeln: Infizierte Wasservögel wie Enten, Gänse, Schwäne und Kraniche gelten als Hauptüberträger. Sie scheiden das Virus in großen Mengen über Kot und Sekrete aus, die Böden, Gewässer und Futter verunreinigen können.
- Indirekte Einschleppung: Das Virus haftet an Schuhsohlen, Kleidung, Fahrzeugen oder Geräten und kann so in Ställe eingeschleppt werden. So gelangen die Erreger auch ohne direkten Kontakt zu wilden Vögeln auf Hausgeflügel.
- Verschleppung zwischen Betrieben: Ein infizierter Hof kann das Virus beispielsweise über Futterlieferungen oder Personal weitergeben. Der Erreger kann sich dann innerhalb und zwischen Geflügelbetrieben verbreiten.
Wird sich H5N1 auch in anderen Bundesländern ausbreiten?
Brandenburgs Landwirtschaftsministerin Hanka Mittelstädt (SPD) sagte, man müsse davon ausgehen, dass sich die Tierseuche weiter ausbreiten werde. In Berlin wurden mittlerweile ebenfalls zwei tote Kraniche entdeckt und werden jetzt untersucht.
Die derzeit steigenden Zahlen in den betroffenen Kreisen in Brandenburg weisen darauf hin, dass das Virus unter ziehenden Kranichen derzeit stark grassiert. Das bedeutet auch, dass neu ankommende Schwärme sich auf Rastflächen, die zuvor von infizierten Tieren genutzt worden sind, etwa an Rhin und Dosse und in der schon jetzt stark betroffenen Linumer Niederung in Nordbrandenburg, anstecken können. Sie würden dann, bevor sie selbst Symptome entwickeln, den Erreger weiter Richtung Südwesten entlang ihrer Migrationsstrecken verschleppen.
Die westeuropäische Kranichroute führt direkt über unsere Region.
© Quelle: NAbu | Grafik: Tsp/Bartel
Zugrouten der Kraniche verlaufen etwa von Brandenburg aus über Sachsen-Anhalt und Thüringen nach Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland. Eine nördliche Route, die von in Skandinavien brütenden Kranichen bevorzugt wird, verläuft über die vorpommersche Küste, Mecklenburg und die Diepholzer Moorniederung in Niedersachsen ins Ruhrgebiet. Auch ein Flugkorridor über Hannover und Göttingen nach Nordhessen existiert.
Wenn sich auch wilde Enten und Gänse mit dem Virus anstecken, sind weitere Gebiete potenziell bedroht. Und wie stark private oder kommerzielle Geflügelbestände weiterhin betroffen sein werden, wird auch davon abhängen, wie gut es gelingt, direkten und indirekten Kontakt mit wilden Vögeln zu vermeiden. Großbetriebe sind dazu normalerweise gut in der Lage. Wenn das Virus allerdings einmal in Beständen ist, müssen dort Tiere auch vorsorglich getötet werden. Dass der derzeit umgehende Viren-Stamm (Klade 2.3.4.4b) besonders ansteckend zu sein scheint, könnte das Problem verschärfen.
Unabhängig von den Zugrouten der Kraniche ist Mecklenburg-Vorpommern derzeit am stärksten vom H5N1-Ausbruch betroffen. Zwischen dem 1. September und dem 20. Oktober gab es laut Friedrich-Loeffler-Institut mehrere Ausbrüche, darunter den größten betroffenen Betrieb Deutschlands mit über 35.000 Tieren im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte.
Können sich Säugetiere anstecken?
Ja, das ist möglich, auch wenn es selten vorkommt. Das Virus kann Säugetiere infizieren, wenn diese engen Kontakt mit infizierten Vögeln hatten oder zum Beispiel Kadaver gefressen haben. In den USA wurde H5N1 seit 2024 bei mehreren Rindern in Milchviehbetrieben nachgewiesen, außerdem bei einer Katze in Kalifornien, einer Hausmaus sowie einem Streifenhörnchen in North Dakota.
Für Deutschland sieht das FLI derzeit keinen Anlass für spezielle Schutzmaßnahmen in Rinder- oder Milchbetrieben. Dennoch sollen bei Ausbruchsuntersuchungen auch andere Tiere auf Höfen berücksichtigt werden, besonders Wiederkäuer, Hunde und Katzen. Treten bei Kühen Euterentzündungen mit unklarer Ursache auf, empfiehlt das FLI, die Milch gezielt auf die Viren zu untersuchen.
Und was ist mit Menschen?
„Das Risiko einer Infektion für die Bevölkerung allgemein ist gering“, so das Friedrich-Loeffler-Institut. Ein moderates Risiko bestehe nur „bei engem Kontakt zu infizierten Tieren, insbesondere Geflügel“. Mitarbeitende in betroffenen Betrieben tragen daher Schutzkleidung. „Mensch-zu-Mensch-Übertragungen werden nicht wahrscheinlicher. Der derzeit auftretende Virusstamm ist nach wie vor ein auf Vögel adaptiertes Virus.“
Mehr zum Thema „Die Kraniche fallen im Flug vom Himmel“ Vogelgrippe in Brandenburg breitet sich aus Hühner, Katzen, Kühe und jetzt auch Menschen Wie Trumps Politik die Vogelgrippegefahr in den USA schürt „Das Vogelgrippe-Virus spielt Lotto“ Welche Personen jetzt geimpft werden sollten
In den USA sieht es etwas anders aus: Seit dem Ausbruch in Geflügel- und Milchbetrieben im Frühjahr 2024 hat sich H5N1 auch auf Menschen übertragen. Insgesamt 70 Personen infizierten sich in den USA. Die meisten arbeiteten direkt in betroffenen Betrieben und kamen dort mit Rohmilch oder erkrankten Tieren in Kontakt. Die Verläufe waren überwiegend mild. Seit Mai 2025 meldet die US-Seuchenschutzbehörde CDC keine neuen Fälle, was aber nicht zwingend bedeuten muss, dass es keine weiteren Infektionen gegeben hat.
In Kambodscha in Südostasien wurden in diesem Jahr 16 Infektionen nachgewiesen, zuletzt im Oktober ein Kleinkind, das engen Kontakt zu infiziertem Hausgeflügel hatte. Dort kursiert jedoch eine andere Viruslinie (Klade 2.3.2.1e), die in Europa bislang nicht nachgewiesen wurde. In Europa und Deutschland gab es laut dem FLI keine Infektionen unter Menschen. (mit bhe)