Zu groß, zu teuer, zu einseitig: Auch Menschen, die keinerlei Sympathien für die AfD oder Sahra Wagenknecht hegen und es gut meinen mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, haben zunehmend Zweifel am System. Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts Leipzig dürfte nun viele weitere Klagen in Sachen ÖRR auslösen.
Geklagt hatte eine Frau aus Bayern, eine von bundesweit 200 Klägern der Initiative „Leuchtturm ARD“. Sie sieht Einseitigkeit der Sender in Sachen Corona oder Russlands Ukraine-Krieg. Vor bayerischen Verwaltungsgerichten war die Frau abgeblitzt: Bürger hätten keine Möglichkeit, gegen den Rundfunkbeitrag zu klagen, wenn sie glauben, der ÖRR verfehle seinen Auftrag wegen vermeintlicher Einseitigkeit.
Denn warum heißt der Rundfunkbeitrag Rundfunkbeitrag? Weil man aus dem persönlichen Beitrag zum Gesamtsystem ÖRR nicht aussteigen kann, unabhängig davon, ob man das Programm nutzt – ähnlich wie ein Arbeitnehmer nicht aus der Rentenversicherung austreten kann, unabhängig davon, ob er einmal Rente in Anspruch nehmen wird.
Warum keine ÖRR-Finanzierung per Steuer?
Warum keine ÖRR-Finanzierung per Steuer? Weil nur der Staat Steuern erheben darf und so ein verfassungswidriger Staatsfunk entstehen würde. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss „staatsfern“ organisiert sein.
Bereits das bezweifeln viele Menschen angesichts der Besetzung von Intendanzen und Rundfunkräten. Neu ist nach dem jüngsten Bundesverwaltungsgerichtsurteil, dass die totale Programmautonomie und Eigenkontrolle des ÖRR Geschichte ist. Für die Klärung der Frage, ob ein Sender seinem Auftrag angemessen nachkommt, war bisher der Weg der Programmbeschwerde der einzige – wo die Rundfunkräte das letzte Wort haben. Künftig ist diese Frage auch unter gerichtliche Kontrolle gestellt.
Die Latte dafür liegt sehr hoch: Die Sender müssen auf breiter Front über einen längeren Zeitraum (zwei Jahre) hinweg bei ihrem Ausgewogenheitsauftrag „gröblich“ versagen, damit das System in die Verfassungswidrigkeit kippt. Aber: Wer nicht nur meint, das Programm sei einseitig, sondern dafür auch stichhaltige Beweise liefert, kann künftig auf dieser Grundlage gegen den Rundfunkbeitrag klagen. Diesen Weg werden die rechtspopulistischen Feinde des ÖRR beschreiten.
Geklärt werden dürfte nun zunächst: Nach welchen Maßstäben ist Programmausgewogenheit überhaupt zu prüfen? Das Programm von BR, Deutschlandfunk & Co. oder die politischen Überzeugungen in den Redaktionen werden künftig jedenfalls die Gerichte beschäftigen. Doch in diesem „geöffneten Fenster“ liegt auch eine große Chance für den vielfältigen und leistungsfähigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk: Mehr als bisher liegt es in seinem eigenen Interesse, die eigene Ausgewogenheit offensiv und überzeugend nachzuweisen.