Der Tatort befindet sich in diesem Fall vor den Toren Stuttgarts, im letzten Haus einer Wohnstraße am Rande der Felder, die der Filderebene ihren Namen gegeben haben. In dieser Einfamilienruine lebt schon lange niemand mehr, doch Beweismittel gibt es noch im Überfluss. In der kurz vor dem Einsturz stehenden Garage parkt ein uralter Opel Ascona, oder das, was von ihm im Lauf der Zeit übrig geblieben ist. Fahrtüchtig machen lässt sich der Wagen genauso wenig wie neben der Garage das verfallene Einfamilienhaus wieder bewohnbar. „Interessant“, sagt Benjamin Seyfang, setzt seine Kamera an und beginnt zu fotografieren. Spurensicherung.

Benjamin Seyfang hat im Lauf der Zeit eine Art kriminalistisches Gespür dafür entwickelt, wo solche verlassenen Orte zu finden sind. Diesmal habe ihn eine Bekannte auf das Haus aufmerksam gemacht. In der Szene wendet sich man in solchen Fällen immer häufiger an ihn, schließlich hat Benjamin Seyfang einen Namen in dieser verschworenen Lost-Places-Gemeinschaft, auch als hervorragender Fotograf.

Benjamin Seyfang nimmt einen alten Opel Ascona unter die Lupe. Foto: Stolterfoht

Auf seinen Entdeckungsreisen kommen dem 37-Jährigen die seltsamsten Dinge unter. In der verlassenen Villa eines Rechtsanwalts zum Beispiel, wo in der Badewanne ein verwestes Krokodil liegt. „Das hatte sich der Hauseigentümer als Haustier gehalten“, erzählt der Jäger des verschollenen Schatzes. Und der bleibt dann gleich im Tierreich. Auch die präparierten Ausstellungsstücke einer Tierarztschule gehören in seine Best-of-Liste. Oder das Hallenbad, in denen in den Spinden noch vergessene Badekleidung hängt.

„Nimm nichts mit, außer deinen Fotografien und hinterlasse nichts, außer deinen Fußspuren“, erklärt der Fotograf den Ehrenkodex der Lost-Places-Entdecker: „Nur Fotos dürfen gemacht werden.“ Eine weitere eiserne Regel lautet: Der Ort der Entdeckung wird nicht öffentlich genannt und nur an Personen weitergegeben, die mit den Informationen entsprechend umgehen können. Und dann werden auch meist nur die Koordinaten mitgeteilt. Warum diese Vorsichtsmaßnahmen? Ein Massenauflauf würde dem verlassenen Ort die Seele rauben, so lautet die Überzeugung. Aber auch mutwillige Zerstörungen könnten den Orten ihren speziellen Zauber nehmen, so der Entdecker.

Autos waren zunächst nur Beifang

„Es ist die Faszination der Verfalls“, nennt Benjamin Seyfang seinen Antrieb, immer wieder mit seiner Kamera loszuziehen. Auf diesem Weg sind schon mehrere Bildbände erschienen, in denen Lost Places in der Region Stuttgart und in Baden-Württemberg in den Fokus gerückt werden. Und immer wieder begegnet er Fahrzeugen. Auf einem wilden Autofriedhof in einem einsamen Wald, in verfallenen Scheunen oder Fabriken. Was für Benjamin Seyfang zunächst nur Beifang gewesen ist, setzt jetzt auch ein persönliches Denkmal. „Verlassene Fahrzeuge“ heißt das neuste, im Silberburg-Verlag erschiene Werk des Kirchheimers. Dabei ist es nicht nur das Bild, das den Fotografen interessiert, sondern auch die Geschichte, die hinter den Objekten steckt.

Foto: Benjamin Seyfang

In diesem Bildband sind etwa ein von Moos überwucherter VW-Käfer zu sehen, ein vor sich hin rostender Opel oder ein in der Natur entsorgtes Goggomobil. Im Lauf der Zeit haben ursprüngliche Umweltsünden eine ganz eigene Ästhetik entwickelt, der man sich als Betrachter nicht entziehen kann.

So professionell Benjamin Seyfang als sogenannter „Urban Explorer“ auch vorgeht, so ist diese besondere Art der Fotoreportage weiterhin nur sein Hobby. Der Abwassermeister arbeitet hauptberuflich im Vertrieb.

Angefangen mit den Lost Places hat es während seines Zivildienstes mit Graffiti-Kursen für Jugendliche. Auf der Suche nach Sprayflächen, an denen sich niemand stört, ist Benjamin Seyfang in immer entlegenere Gegenden vorgestoßen und hat so verlassene Orte entdeckt, an denen zuvor fast niemand zuvor aufgetaucht ist.

Mittlerweile hat sich Benjamin Seyfang von der Garage ins Wohnhaus durchgewühlt und wird danach berichten, was es dort zu sehen gibt. Ein Micky-Maus-Heft aus dem Jahre 1959 etwa oder in Weckgläsern eingelegte Früchte. Außerdem bewertet der Experte die in Gelbtönen gehaltene Tapete als „ziemlich spektakulär“. Und das will was heißen von einem, der schon sehr viel gesehen hat, was aus der Zeit gefallen ist.