Die Welt ist ungerecht. Davon können auch Künstler ein Lied singen. Der eine schafft es ins Museum. Der andere schafft es auch ins Museum, seine Werke aber versauern im Depot. Wie der Zufall bei Künstlerkarrieren mitmischt, zeigt derzeit ein ungewöhnlicher Fall: Philipp Klein. Der Mannheimer Künstler war vor mehr als hundert Jahren ein erfolgreicher Impressionist. Er stellte mit den ganz Großen wie Claude Monet, Wassily Kandinsky oder Edvard Munch aus. Trotzdem werden sich jetzt bei der großen Ausstellung in Mannheim viele fragen: „Wer, bitte, ist dieser Philipp Klein?“
Er war nicht nur ein versierter, sondern auch ein durchaus witziger Künstler, der ein wirklich bemerkenswertes Bild malte: einen Mann, der aus dem See auftaucht und nach Luft schnappt. Der Mund auf, die Augen zu – und vom Schnauzer tropft das Wasser.
Ein gemalter Schnappschuss, wie er 1899 unüblich war. Im See planschende Männer waren keine Motive, die in Museen hingen – selbst wenn es sich dabei um den berühmten Maler Lovis Corinth handelte. Er war ein begeisterter Schwimmer.
Klein wurde von der Presse gelobt, und seine Werke verkauften sich bestens
Das Reiss-Engelhorn-Museum hat das Bild als Plakatmotiv gewählt, sodass der Titel „Aufgetaucht“ doppelt passt. Denn auch die Werke von Philipp Klein wurden aus der Versenkung geholt. Staunend läuft man durch die Räume und meint, hier einen Manet, dort einen Monet zu entdecken – aber nein, es war der Mannheimer Philipp Klein, der diese impressionistischen Bilder malte.
Frauen, die mit ihrem Hündchen auf der Wiese spielen, Badegäste am Strand, junge Damen nackt auf der Chaiselongue – es sind luftige, hingetupfte Szenen von enormer Qualität. Deshalb sagt Andreas Krock, der Kurator der Ausstellung, auch: „Philipp Klein ist auf jeden Fall den anderen großen Impressionisten ebenbürtig.“
Bloß, warum verschwindet ein komplettes Werk fast vollständig? Hat die Kunstgeschichte ihn vergessen, weil er nicht erfolgreich genug war? Aber woran lässt sich Erfolg überhaupt messen? Beim sogenannten Kunstkompass, einem Ranking der lebenden Künstlerinnen und Künstler der Welt, werden Ausstellungen in wichtigen Museen, Kataloge, Ankäufe und Erwähnungen in Kunstzeitschriften gezählt. Philipp Klein erfüllte all diese Kriterien: Er verkaufte bestens, stellte regelmäßig aus und bekam viel gute Presse. 1907 war er sogar mit einem Gemälde auf der Biennale in Venedig vertreten. Und trotzdem hatte sogar die Stadt Mannheim ihren talentierten Sohn vergessen.
Seine Heimatstadt Mannheim schien Klein zu rückschrittlich
Dass er nun wieder auftaucht, ist reiner Zufall – und Barbara Hofkamp zu verdanken. Sie ist eigentlich Finanzexpertin und beschäftigte sich in Zürich mit Vermögensverwaltung und Risikomanagement – bis sie ein Werk von Philipp Klein erbte. Das „Mädchen im Korsett“ hatte im Esszimmer der Großeltern gehangen, bevor es auf den Dachboden kam. Als Barbara Hofkamp es erbte, weckte die Signatur ihr Interesse. Sie begann zu forschen, sichtete historische Quellen, wälzte Ausstellungskataloge und studierte in der Bibliothek alte Zeitungsberichte.
2021 hat Barbara Hofkamp schließlich eine Monografie mit Werkverzeichnis veröffentlicht und darin zusammengetragen, was man von Philipp Klein weiß. Geboren wurde er 1871 in Mannheim. Eigentlich sollte er Offizier werden, aber als ein Unfall die Pläne zunichtemachte, beschloss er, Künstler zu werden. Da Mannheim ihm zu rückschrittlich schien, zog er nach München, das damals eine pulsierende Kunstmetropole war – und für ihn der Inbegriff von Bohème, Freiheit, Kunst und Schönheit.
Klein malt am liebsten im Freien
An Philipp Kleins Weg kann man viel über die damalige Zeit erfahren. War bis dahin ein Kunststudium unerlässlich, bewarb er sich nicht an der Akademie, die den jungen Leuten plötzlich elitär und rückwärtsgewandt vorkam. Klein malte ohnehin lieber im Freien – wie es die französischen Impressionisten vorgemacht hatten.
Wie so viele wohlhabende Münchner verbrachte er die Sommermonate am Chiemsee, am Ammersee oder auch am Starnberger See. Als Fabrikantensohn hatte er finanziell ausgesorgt, deshalb besaß er auch in München ein Atelier und zeitweise auch noch eines in Berlin. Während der Sommermonate mietete er großzügige Sommerhäuser an, um dort eben jene Szenen zu malen, die man eigentlich von den Franzosen kennt.
Philipp Klein malte gern wohlhabende Damen, die es sich gutgehen lassen. Foto: Barbara Hofkamp
Die Frauen, die in ihren langen Kleidern im „Münchner Hofgarten im Sommer“ an Tischchen sitzen, hätten 1897 auch in Paris gemalt worden sein können. Die Dame im Boot könnte genauso gut auf der Seine herumgeschippert sein. Und Kleins „Sonnenuntergang am Chiemsee“ von 1893 erinnert verdächtig an Monets Bild „Impression, Soleil levant“ von 1872, das dem Impressionismus den Namen gab. Wie die meisten Impressionisten malte Klein gern das bürgerliche Savoir-vivre und die Sommerfrische auf dem Land. Dass das Leben dort für die Bewohner hart war, interessierte ihn so wenig wie die französischen Kollegen.
Dass man in Mannheim nun all diese verschollenen Bilder sehen kann, ist einem Aufruf zu verdanken, den das Mannheimer Museum über Social Media startete. Es meldeten sich erstaunlich viele Leute. Fast 20 Werke kamen so zum Vorschein – zum Beispiel von einer Ludwigshafer Familie, in deren Wohnzimmer einst zwei Bilder hingen, an die sich die Tochter erinnerte.
Der Künstler soll ein humorvoller, fröhlicher Charakter gewesen sein
Trotzdem weiß man nach wie vor wenig von Philipp Klein, weil es weder Briefe noch Tagebücher gibt. Seine Reisetätigkeit konnte man nur anhand der Motive rekonstruiert. In Nachrufen wurde mehrfach erwähnt, dass er ein humorvoller, fröhlicher Charakter gewesen sei. Das bestätigt ein ungewöhnliches Selbstporträt, auf dem er den Mund so weit aufreißt, dass man förmlich hört, wie er schallend laut herauslacht. Ein Kritiker fand das allerdings so gar nicht komisch: Es könne „ein Reklameplakat für Odol oder sonst ein Zahnwasser sein“, schrieb er.
Philipp Kleins allerliebstes Motiv waren aber Frauen – elegante Damen mit modischen Hüten, aber auch Akte. Während über Jahrhunderte hinweg biblische oder mythologische Geschichten herhalten mussten, um nackte Frauen zeigen zu können, sind Kleins Akte nun mitten im bürgerlichen Alltag verortet. Die Damen liegen auf dem Sofa, posieren vor dem Spiegel oder stehen auch mal nackt am Frühstückstisch, wo schon der Kaffee auf das Paar wartet.
Philipp Klein war auch hier ganz Kind seiner Zeit. So ging es ihm nicht um die Frauen als Individuen oder darum, die neue Natürlichkeit darzustellen, sondern er suchte die Pikanterie. Der eine Generation ältere Maler Hugo von Habermann gab noch frank und frei zu: „Wissen Sie, ich kann eigentlich nur was Rechtes malen, wenn ich mich erotisch angeregt fühle.“ Bei Klein betonen die Kollegen und Kritiker stattdessen, dass es diesem „Poeten der Farbe“ doch nur um die Malerei selbst gegangen sei. Man würde „zu weit gehen, wenn man behaupten wollte, Klein sei mit eigentlicher Lüsternheit an die Schilderung dieser Dinge herangetreten“, schrieb ein Zeitgenosse. „Es waren hauptsächlich rein malerische Gründe, die ihm dieses Thema immer wieder anziehend machten.“
Warum hat sein Werk nicht überdauert?
In Folge des aufkommenden Feminismus und der Vielzahl an Künstlerinnen, die inzwischen tätig waren, fühlten sich die Herren offenbar genötigt, das bis dato übliche sexuelle Interesse an den Aktmodellen herunterzuspielen. Entsprechend notierte ein Malerkollege zu Klein: „Wir kennen sie alle, die halb und ganz ausgezogenen Kinder der Grazien, deren koloristische Reize dein Malerauge immer besonders fesselten.“
Wie gut Klein diese koloristischen Reize einzufangen wusste, zeigt die Mannheimer Ausstellung an vielen Stellen, sodass man sich fragen muss, warum das Werk mancher Kollegen überdauerte, seines aber nicht.
Vermutlich ist Philipp Klein einfach zu früh gestorben. Er litt unter dem Römheld-Syndrom, einer damals noch völlig rätselhaften Krankheit. Dabei lösen übermäßig viele Gase im Darm Herzbeschwerden aus, weil sie das Zwerchfell anheben, was das Herz so bedrängt, dass es seiner Arbeit nicht mehr nachgehen kann. Die Ärzte konnten nur hilflos zuschauen, wie dieser junge, erfolgreiche Maler im Sanatorium in Gundelsheim mit nur 36 Jahren verstarb.
Ausstellung „Aufgetaucht! Philipp Klein im Kreis der Impressionisten“ ist bis 6. April 2026 im Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen zu sehen. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr.