Der Bundeskanzler Friedrich Merz hat mit seiner Stadtbild-Äußerung auch eine Debatte zum Thema Sicherheitsgefühl losgetreten. Dieses ist in Stuttgart ganz gut, wie eine Studie aus dem vergangenen Jahr belegt. Dennoch verfängt auch hier, in einer der sichersten Großstädte der Republik, immer wieder die Mär vom unsicheren öffentlichen Raum. Der Kriminologe Egon Wachter, einer der Betreuer der Studie, ordnet einige Aspekte des Themas ein. Die Studie für die Landeshauptstadt ist in Zusammenarbeit zwischen dem Kriminologischen Forschungsinstitut Baden-Württemberg und dem Institut für Kriminologie an der Universität Heidelberg entstanden, betreut von Wachter und seinem Kollegen Dieter Hermann.
Für die Wissenschaftler ist das in der öffentlichen Diskussion verwendete „subjektive Sicherheitsgefühl“ Gegenstand der Betrachtung. Sie sprechen von einer „Kriminalitätsfurcht“. Ob diese aktuell höher sei als noch vor Jahren oder abgenommen habe – das könne man nicht sagen. „Es war die erste umfassende Sicherheitsbefragung dieser Art in Stuttgart“, sagt Wachter. Jedoch kann er eines mit absoluter Sicherheit sagen: „Jegliche Polarisierung ist mit unseren Erkenntnissen nicht belegbar.“ Damit meint er etwa die Schuldzuweisung an migrantische Gruppen, die für das ungute Gefühl von manchen – vor allem aus dem rechten politischen Spektrum – verantwortlich gemacht werden. Ähnlich wird auch die Aussage des Bundeskanzlers zum Stadtbild eingeordnet. Merz führte aus, dass er Personen ohne Bleiberecht in Deutschland meinte.
Der Kriminologie Egon Wachter, einer der Betreuer des Sicherheitsaudits in Stuttgart zum Sicherheitsgefühl
Bei der Studie kam heraus, dass sich 85 Prozente nicht unwohl fühlen in der Stadt. Der Ordnungsbürgermeister Clemens Maier (Freie Wähler) nannte das bei der Veröffentlichung die „positive Lesart“. Man könne das Ergebnis auch anders lesen: Dann fühle sich jede und jeder siebte hätten Angst in Stuttgart. Erstaunlich war vor allem ein Ergebnis: Die meisten, die angaben, sich in der Innenstadt zu fürchten, teilten zugleich mit, dass sie dort so gut wie nie seien. Das trifft auch für Aussagen über andere Stadtteile zu: So gaben viele aus Bad Cannstatt an, sich im Leonhardsviertel zu fürchten.
Was Menschen in der Stadt Angst macht, das seien sogenannte Incivilities, „subjektiv wahrgenommene Störungen“, erläutert Wachter. Die Betonung liege dabei auf subjektiv – und das hängt auch von der Umgebung ab. „In einem kleinen Dorf kann ein Graffiti für Aufregung sorgen – in Berlin aber nicht“, führt er aus. Außerdem messen die Kriminologen für ihre Einordnung auch das „Sozialkapital“, das sei „der Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält – wie ist es etwa um das ehrenamtliche Engagement bestellt. Aber auch das Vertrauen in Institutionen gehört dazu.“
Wer weiß, dass die Polizei in der City präsent ist, fürchtet sich dort nicht. Foto: dpa/Christoph Schmidt
Immer wieder betont Wachter: Es geht um Wahrnehmungen und das Gefühl, sich nicht sicher zu fühlen. Konkret heißt das: Wenn jemand Angst hat, weil an einem Ort immer wieder Jugendliche herumlungern, ist diese Angst ernstzunehmen. Aber das bedeute noch nicht, dass von dieser Gruppe auch eine Gefahr für Passantinnen und Passanten ausgehe. Die Diskussion um Gruppen junger Menschen in der Stadt, die dort vor allem an den Wochenenden nachts unterwegs sind, kennt er in diesem Zusammenhang. Und er hat eine klare Meinung zu derlei einfachen Erklärungen: „Diese Diskussion ist fast müßig – man macht Probleme an Gruppen fest und damit ist man dann scheinbar an einer Lösung dran – aber so funktioniert es nicht.“ Lösungsvorschläge hat er parat: Wenn es zu solchen Störgefühlen komme, könne man zum Beispiel Durchgangswege von Aufenthaltsbereichen trennen. Nicht immer sei das möglich, wie ein Blick auf den Schloßplatz und die Königstraße zeigt.
Man könne aber auch bei den Gruppen ansetzen, sagt Wachter. Auf die Opfer bezogen könnte das die Gruppe junger Frauen sein, die tendenziell mehr Angst haben. Ihnen könne man helfen, sich sicherer zu fühlen. „Wenn sich jemand in einer Unterführung fürchtet, dann besteht meist nicht wirklich eine Gefahr. Aber: man kann die Beleuchtung verbessern, das gibt ein besseres Gefühl. Eine Gefahr bannen, die nicht da ist, kann man aber nicht.“ Man werde aber „nicht bei Gruppen ansetzen, gegen die vorgehen, nur weil sie als störend empfunden werden.“ Komme es zu Problemen, schreite die Polizei ein.
Furcht hat die gleichen Auswirkungen wie tatsächliche Kriminalität
All das bedeute grundsätzlich nicht, dass man Ängste nicht ernst nehmen solle: Im Gegenteil. Denn: „Kriminalitätsfurcht bewirkt bei den Menschen, die Angst haben, das Gleiche wie tatsächliche Kriminalität“. Das Ergebnis: Wenn Angsträume entstehen, werden diese gemieden. Und das habe dann unter Umständen eine negative Folge: „So entstehen Freiräume, die etwa Drogenkriminalität begünstigen“, denn an verlassenen dunklen Ecken wird gedealt. Am Anfang dieser Entwicklung kann die Kriminalitätsfurcht stehen. „Deswegen nehmen wir bei unseren Audits Kriminalitätsfurcht genauso ernst wie Kriminalität“, sagt der Experte.
Eine Erkenntnis, die bei der Sicherheitsumfrage in Stuttgart speziell herauskam, erstaunt auf den ersten Blick. Es stellt sich heraus, dass Menschen, die selten oder nie in der Stuttgarter Innenstadt sind, sich mehr fürchten, als jene, die sich dort häufig bewegen. Klingt wie ein Widerspruch, ist für die Forschenden aber logisch: „Wer selten da ist, kann sich nur indirekt informieren – über die sozialen Medien zum Beispiel. Wer da ist, kann zum Beispiel die Präsenz der Polizei wahrnehmen“, erklärt Egon Wachter. Wer kaum in der Stadt sei, sehe nicht, was gegen Kriminalität getan werde. „Man muss also transparent sein und nach außen tragen, was getan wird“, ist seine Schlussfolgerung daraus. „Das Bild der Innenstadt wird außerhalb der City anders wahrgenommen. Man kann also auch in der Öffentlichkeitsarbeit etwas tun – und die lebenswerte Stadt zeigen“, sagt Wachter.
Im übrigen plädiert er dafür, die Befragungen regelmäßig zu machen. „Nur das ermöglicht es, an den richtigen Stellen anzusetzen und festzustellen, ob die getroffenen Maßnahmen auch wirksam sind“, sagt der Experte. Die in regelmäßigen Abständen erhobenen Daten würden zudem helfen, Entwicklungen beurteilen zu können – nur dann könne eine Stadt richtig reagieren.
Die Studie
Methode
Die Umfrage wurde im vergangenen Spätherbst an 50.000 Personen ab 14 Jahren verschickt. Die Onlinebefragung hatte einen Rücklauf von 20 Prozent. Damit gilt sie nach wissenschaftlichen Standards als repräsentativ.
Ergebnis
Die Landeshauptstadt bewegt sich beim Sicherheitsgefühl auf dem Level wesentlich kleinerer Städte in Baden-Württemberg. Das ist ein gutes Zeichen: Normalerweise steigt die Kriminalitätsfurcht mit dem höheren Maß der Urbanisierung.