Gonzalo Fuentes / Reuters
Ein Gemälde von Picasso oder Napoleons Juwelen: Auf dem Papier sind diese Werke Millionen wert. Wer sie raubt, hat aber ein Problem. So funktioniert das Geschäft mit der gestohlenen Kunst.
Michael Schilliger, Florian Schoop24.10.2025, 05.31 Uhr
Manchmal findet man den lange gesuchten Kunstschatz unter einer Baseball-Mütze im Haus einer Hexe. Drei Jahre lang hat der FBI-Agent Robert King Wittman nach der Kristallkugel der chinesischen Kaiserin Cixi gesucht. 1988 war sie aus dem Archäologischen Museum der Universität Pennsylvania verschwunden. Ein Meisterwerk der Glaskunst. Dann erzählte ihm ein Müllsammler, er habe die Kugel vor einiger Zeit in seinem Vorgarten gefunden und einer Freundin geschenkt. Diese sei nämlich eine Hexe.
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Klingt absurd?
Willkommen in der Welt der Kunsträuber, einer Welt voller Geschichten mit Diebesgut wie aus «Tausendundeiner Nacht» – Kronen, Kristallkugeln und sagenumwobene Gemälde – und Dieben mit Namen wie aus Märchen.
Wir lesen sie oft als Heldengeschichten. Wem es gelingt, Schätze aus gut bewachten Museen zu klauen, muss ein kriminelles Genie sein. Der Meisterdieb – ein Einzelgänger, reich und angesehen. Es gibt nur ein Problem: Alles an diesem Bild ist falsch.
Fast 100 Jahre war die Kristallkugel der Kaiserwitwe Cixi im Penn Museum in Pennsylvania ausgestellt, bevor sie 1988 plötzlich verschwand.
Penn Museum
Rauben ist einfach – vergleichsweise
Als Robert King Wittman den Fall der verschwundenen Kristallkugel gelöst hat, ahnt er noch nicht, dass in jenem Moment aus einem einfachen FBI-Agenten mit dem Traum von «Miami Vice» der «Indiana Jones» des FBI geworden ist.
20 Jahre lang fahndet Wittman anschliessend nach verschwundenen Kunstschätzen auf der ganzen Welt. Er spürt präkoloniale peruanische Goldschätze auf, findet jahrzehntelang verschollene Werke des Malers Norman Rockwells wieder und bringt Museen ihre gestohlenen Goyas und Rembrandts zurück.
Robert Wittman, ehemaliger FBI-Agent und Kunstdetektiv.
Kurz: Wittman hat vermutlich mehr Raubüberfälle auf Museen studiert als sonst jemand. Als er am vergangenen Montagmorgen von seiner Frau erfährt, dass das berühmteste Kunstmuseum der Welt ausgeraubt worden ist, kann er es trotzdem kaum fassen. Wittman ist beeindruckt: perfekte Planung, präzises Timing, klare Beute.
Dann fügt Wittman schnell ein «Aber» hinzu. Der Plan des Louvre-Raubs sei gut gewesen. Die Ausführung hingegen? «Schlampig.»
Die auf der Flucht verlorene Krone, zurückgelassene Glasschneider, sogar eine Wasserflasche – für Wittman sind das stümperhafte handwerkliche Fehler. Denn eigentlich sei es gar keine grosse Kunst, in ein Museum einzubrechen. Der Raubzug? Das Einfachste von allem.
Was es dafür brauche: Mut oder Dreistigkeit, etwas Phantasie und Insiderwissen. In 80 bis 90 Prozent der Raubüberfälle auf Museen in den USA hätten die Diebe über interne Informationen verfügt. Das habe eine Studie des FBI ergeben, erklärt Wittman. Das heisse nicht unbedingt, dass ihnen ein Museumsangestellter geholfen habe. «Aber vielleicht hat jemand am Mittagstisch zu viel geplaudert.»
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Logisch, dass sich Museumsmitarbeiter oft zu Beginn der Ermittlungen unter den Tatverdächtigen wiederfinden. So auch beim bis heute grössten Kunstraub der Geschichte: dem Überfall auf das Gardner-Museum in Boston 1990. 13 Werke im Wert von heute 500 Millionen Dollar wurden damals gestohlen. Sie sind bis heute verschollen, der Fall ist ungeklärt.
Am 18. März 1990, in der Nacht nach dem St. Patrick’s Day, verschaffen sich zwei Diebe, als Polizisten getarnt, Zutritt zum Museum. Um 1 Uhr 20 nachts klingeln sie am Eingang, geben an, einen Sicherheitsvorfall überprüfen zu müssen – und überwältigen dann die Wächter.
Auffällig bei diesem eigentlich simplen Überfall: Einer der Wächter hatte bei seinem Rundgang zuvor eine Nebentür zum Museum kurz geöffnet und den Feueralarm ausgeschaltet. Zudem war es für den zweiten Wachmann dessen erster Arbeitseinsatz gewesen, ein Schwachpunkt im System, der den Dieben gelegen kam.

Leere Rahmen im Dutch Room des Gardner Museums in Boston erinnern bis heute an die geraubten Bilder.


Links: Das Gemälde «A Lady and Gentleman in Black» von Rembrandt aus dem Jahr 1633 zeigt ein vornehm gekleidetes Ehepaar. Zusammen mit zwölf weiteren Werken wurde es 1990 gestohlen und ist bis heute verschollen. Rechts: Ebenfalls verschollen: Rembrandts «Die Sturmfahrt auf dem See Genezareth» (1633).
Der menschliche Faktor, so Wittman, dürfe aber nicht überschätzt werden. Museen, gerade in Europa, seien schlichtweg nicht so sicher gebaut, wie das theoretisch möglich wäre. Das liege auch an der Geschichte: Anders als in den USA, wo sich viele Kunstmuseen in eigens dafür gebauten Gebäuden befinden, sind europäische Kunstmuseen in alten Palästen, Burgen und historischen Residenzen untergebracht. Diese konsequent sichern? Eigentlich unmöglich.
Was es dann für den perfekten Überfall noch braucht: etwas kriminelle Energie, Phantasie – und den Mut zum Alleingang. Oder wie es Wittman formuliert: «Der erste Fehler, den viele Diebe begehen: Sie arbeiten nicht allein.»
Sind Kunsträuber wirklich Gentlemen-Diebe?
Es gibt sie tatsächlich, die Einzelgänger. Die Superdiebe, die den Helden aus den Netflix-Serien und Gaunerfilmen nahekommen. Einer von ihnen ist Stéphane Breitwieser. Doch anders als in den meisten Filmen endet seine Geschichte nicht mit Ruhm und viel Geld, sondern mit der Zerstörung von Jahrhundertkunst.
Stéphane Breitwieser wächst im französischen Elsass auf und entwickelt früh eine Leidenschaft für Kunst. Anstatt mit Freunden zu spielen, soll er die meiste Zeit damit verbracht haben, Gemälde zu betrachten.
Irgendwann reicht das Breitwieser nicht mehr. Er will die Werke besitzen. Also nimmt er sich das, was er sich niemals leisten kann. Sein erstes Bild stiehlt er aus einem Museum in Gruyères im Kanton Freiburg. Er nimmt das Gemälde aus dem Rahmen, während seine Freundin Wache steht.
Es ist der Anfang einer Serie, die ihm am Ende den Titel «grösster Kunstdieb der Welt» einbringen wird.
Breitwiesers Strategie: die kleinen Museen bestehlen, abseits von Touristenattraktionen. Hier gibt es keine Laser-Alarmanlagen wie in den Filmen. Oft nicht einmal Überwachungskameras. Hier kann er in Ruhe Bilder von der Wand abschrauben, Leinwände mit dem Taschenmesser aus dem Rahmen schneiden und sie in Taschen oder unter Jacken nach draussen schmuggeln.
Hier fühlt sich Breitwieser manchmal sogar so sicher, dass er mit den Museumswärtern spricht oder am Tatort Karten hinterlegt – mit der Aufschrift: «Objekt für Studienzwecke entfernt».
Die gestohlenen Kunstwerke stellt er im Haus seiner Mutter in der Dachkammer aus – im Halbdunkel, damit das Sonnenlicht die Bilder nicht ausbleicht.
Doch dann, 2001, fällt Stéphane Breitwiesers Kunstwelt in sich zusammen: bei einem Besuch des Richard-Wagner-Museums in Luzern. Zum Verhängnis wird ihm ein Journalist, der gerade mit seinem Hund spaziert. Er sieht, wie Breitwieser sich auffällig verhält, als ob er gerade das Museum auskundschafte.
Der Journalist weiss, dass in diesem Museum vor kurzem etwas gestohlen wurde. Also meldet er den Vorfall dem Museumswärter. Kurz darauf verhaftet die Luzerner Polizei Stéphane Breitwieser. Die Ermittler sind dem Journalisten so dankbar, dass sie seinem Hund eine lebenslange Versorgung mit Futter schenken.
Ein Happy End, könnte man denken, sogar eines mit lustiger Anekdote. Also doch wie in einer Gaunerkomödie. Aber für über 60 Kunstwerke endet die Geschichte nicht glücklich.
Als Breitwiesers Mutter von der Verhaftung ihres Sohnes erfährt, beginnt sie, viele der gestohlenen Kunstwerke zu zersägen, zu zerschneiden und die Einzelteile im Müll zu entsorgen. Vasen, Schmuck oder Statuen wirft sie in den Rhein-Rhône-Kanal.


Links: Der Dieb Stéphane Breitwieser bei seinem Prozess in Strassburg im Januar 2005. Rechts: Ein Teil der Beute Breitwiesers. Der französische Dieb stahl nicht nur Gemälde, sondern auch Objekte aus Silber, Elfenbein, Uhren und weiteren Schmuck.


Links: Französische Soldaten suchen im Rhein-Rhone Kanal bei Gerstheim nach Werken, die Breitwieser gestohlen hat. Seine Mutter entsorgte sie nach seiner Festnahme im Kanal. Rechts: Auch das Jagdschwert von Gaspard-Jodoc Stockalper hatte Breitwieser aus dem Historischen Museum in Sitten gestohlen.
Als die Behörden das Haus der Mutter an der deutsch-schweizerischen Grenze durchsuchen, finden sie nichts mehr. Die Mutter gesteht ihren Vandalismus erst, als irgendwann einzelne Kunstwerke am Ufer des Rheins angeschwemmt werden.
Ein Schweizer Polizeibeamter soll gesagt haben: «Noch nie wurden so viele alte Meister auf einmal zerstört.»
Die Geschichte von Stéphane Breitwieser zeigt: Noble Superdiebe wie in den Filmen gibt es nur auf den ersten Blick. Und auch Breitwieser selbst ist eine Ausnahme. Die Realität der Kunsträuber ist in den meisten Fällen viel primitiver – und brutaler.
- 2008 stürmen bewaffnete und maskierte Männer die Bührle-Sammlung in Zürich, bedrohen die Anwesenden und stehlen vier wertvolle Gemälde.
- 2015 überfallen drei Täter das Castelvecchio-Museum in Verona. Sie überwältigen und fesseln Mitarbeiter, halten einem davon eine Waffe an den Kopf und entwenden 17 Meisterwerke.
- 2019 bei einem Einbruch ins Grüne Gewölbe in Dresden zerschlagen die Diebe Vitrinen. Als sie nach der Tat den Fluchtwagen abfackeln, ersticken beinahe zwei Personen wegen der Rauchentwicklung.
Beim Raubzug durch das Grüne Gewölbe in Dresden wurde auch der Bruststern des Ordens der Weissen Adler geraubt. Objekte im Wert von mehr als 113 Millionen Euro wurden damals gestohlen.
Nadja Wohlleben / Reuters
Passanten fotografieren das Fenster des Residenzschlosses, durch das die Einbrecher in das Museum in Dresden eingedrungen sind.
Nurphoto / Getty
Kunstdiebe sollen Gentlemen-Verbrecher sein?
Robert Wittman versteht das nicht. Er sagt: «Hollywood verklärt diese Coups, denn am Ende sind die Täter einfach nur Kriminelle. Heute rauben sie ein Museum aus, und morgen überfallen sie deine Mutter auf der Strasse.»
Kunsträuber sei keine Berufsgruppe wie Bäcker oder Automechaniker. Kunsträuber seien auch Dealer, Autodiebe, Menschenhändler. Sie seien oft eng verknüpft mit kriminellen Gruppierungen, mit mafiösen Strukturen.
Ihre Skrupellosigkeit führt dazu, dass sie oftmals erfolgreich sind. Das zeigen die aufgezählten Fälle.
Der Wert der gestohlenen Kunstwerke:
- Bührle: rund 180 Millionen Franken;
- Castelvecchio: 15 Millionen Franken;
- Dresden: 107 Millionen Franken.
Ein italienischer Beamter fotografiert Gemälde, die 2015 aus dem Castelvecchio Museum in Verona gestohlen worden waren. Ukrainische Behörden konnten sie an der Grenze zur Moldau sicherstellen.
Getty
Beim Bührle-Kunstraub wurden auch diese Gemälde von Edgar Degas (links) und Paul Cézanne gestohlen. An der Medienkonferenz im Kunsthaus Zürich 2012 werden sie nach ihrer Sicherstellung der Öffentlichkeit präsentiert.
Adrian Baer / NZZ
Und Stéphane Breitwieser? Er raubte innerhalb von sechs Jahren eine Deliktsumme von schätzungsweise 1,3 Milliarden Franken zusammen.
Angesichts dieser Summen müssten die Räuber reich sein. Wittman aber sagt, das sei ein Irrtum: «Gute Diebe sind schlechte Geschäftsleute.» Die eigentliche Kunst beim Kunstraub sei nicht das Stehlen. Sondern das Verkaufen.
Der schwierige Teil: Geld machen
Radu Dogaru ist ein guter Dieb. Das beweist er in der Nacht auf den 16. Oktober 2012. Zusammen mit Komplizen bricht er die Hintertür des Kunsthal-Museums in Rotterdam auf, nimmt Bilder von Picasso, Matisse oder Gauguin von der Wand und verschwindet nach knapp drei Minuten wieder in der Nacht.
Schätzwert der sieben Bilder: zwischen 50 und 100 Millionen Euro.
Später wird Dogaru sagen, der Coup sei viel zu leicht gewesen. Er sei praktisch nur mit einem Schraubenzieher reingekommen. Was nach dem Raub folgte, war dann für Dogaru aber viel zu schwer.
Nachdem er die Bilder in Kissenbezügen von den Niederlanden nach Rumänien geschmuggelt hat, beginnt die Suche nach einem Käufer. Dogaru und seine Komplizen tragen die Bilder in Plastiktüten herum – ohne zu wissen, wie viel die Kunst wert ist und was sie dafür verlangen sollten.
Doch zwischen Papierwert und Schwarzmarktwert gibt es einen riesigen Unterschied. In der Unterwelt bezahlt man für einen Picasso oder einen Matisse nur noch 2 bis 5 Prozent des Schätzwerts. Für die sieben Werke in Dogarus Plastiktüte wären das immerhin noch ein paar Millionen.
Aber nicht einmal zum Schnäppchenpreis will jemand ein Gemälde kaufen, für das Dogaru keinen Besitznachweis vorlegen kann – zumal Kunstexperten sofort erkennen würden, dass der Picasso, der Matisse oder der Gauguin eigentlich ins Rotterdamer Kunsthal-Museum gehört.
Irgendwann realisiert das auch Radu Dogaru. Ein halbes Jahr nach dem Einbruch deponiert er die Bilder im Haus seiner Mutter Olga, irgendwo in der rumänischen Provinz. Die Mutter vergräbt die Gemälde auf dem Friedhof des Dorfes. Und als die Fahnder immer näher kommen, verbrennt sie sie im Küchenofen ihres Hauses.
So jedenfalls erzählt es Olga Dogaru in ihrer ersten Aussage den Ermittlern. Später widerruft sie ihr Geständnis.
Forensiker haben derweil Asche aus Dogarus Küchenofen entnommen und untersuchen sie im Labor. Sie finden Pigment-Reste, Leinwand-Überbleibsel und Nägel, wie man sie von den Rahmen von Ölgemälden kennt.
Gute Diebe, fürchterliche Geschäftsmänner – Radu Dogaru hat das Wittman-Prinzip bestätigt: Gemälde lassen sich kaum zu Geld machen.
Ist der Diebstahl eines berühmten Gemäldes also das dümmste Verbrechen, das man begehen kann? Robert Wittman sagt: «Im Grunde, ja. Es ist tatsächlich sehr dämlich. Viele glauben, damit liessen sich Millionen machen, aber: Ohne eine saubere Herkunft ist das Bild nichts wert.»
Anders sieht es bei Juwelen aus. Edelsteine lassen sich umschleifen. Laut Experten gibt es in Antwerpen, Tel Aviv oder in Indien zahlreiche Abnehmer, die keine Fragen stellen.
Aber noch einfacher als Juwelen ist Gold.
Berlin, 27. März 2017, 3 Uhr morgens: Unbekannte steigen über eine Leiter durch ein Fenster des Bode-Museums, im Zentrum der Stadt. Im Inneren zerschlagen sie eine Vitrine, hieven eine 100-Kilogramm-Goldmünze auf ein Rollbrett, schieben sie zum Fenster und lassen sie per Seil nach unten gleiten. Dort schieben sie das Kunstwerk «Big Maple Leaf» mit einer Schubkarre weg.
Drei Jahre später werden die Täter verurteilt. Aber die gigantische Goldmünze im Wert von 3,3 Millionen Euro? Weg. Die Ermittler gehen davon aus, dass die Megamünze nicht mehr existiert. Dass sie eingeschmolzen und als reines Gold verkauft wurde.
Dies ist nur einer der aufsehenerregenderen Fälle. Kleinere Edelmetall-Diebstähle gibt es in Museen viel öfter. Hier eine unvollständige Liste der vergangenen zwei Monate:
- Exeter (UK), 10. September: Kriminelle stehlen antike Taschenuhren aus Edelmetall aus dem Royal Albert Memorial Museum.
- Paris, 16. September: Diebe rauben Goldnuggets im Wert von 1,5 Millionen Euro aus dem Muséum national d’histoire naturelle.
- Cardiff (Wales, UK), 6. Oktober: Diebe entwenden bronzezeitlichen Goldschmuck aus einer Vitrine des St Fagans National Museum of History.
- 20. Oktober in Langres (F): Nur einen Tag nach dem Louvre-Raub stehlen Kriminelle aus der Maison des Lumières Denis Diderot laut Medienberichten knapp 2000 Gold- und Silbermünzen.
Diebe mögen schlechte Geschäftsleute sein. Aber manchmal lohnt es sich für sie eben doch.
. . . zumindest kurzfristig lohnt es sich
Am 15. September 2005 prüft der FBI-Agent Robert Wittman in einem Hotelzimmer in Kopenhagen nervös, ob die Schlüsselkarte des Zimmers funktioniert. Nun darf nichts mehr schiefgehen; eine Kopie der Schlüsselkarte hat er im Nebenzimmer abgegeben, wo ein Team von Special Weapons and Tactics (SWAT) auf seinen Einsatz wartet.
Die bewaffneten Polizisten sollen Wittmans Raum betreten, sobald dieser eine Tasche voll Geld gegen ein Gemälde getauscht hat. 250 000 Dollar gegen einen Rembrandt, der Abschluss einer monatelang geplanten Operation. Gleich trifft er auf Kunsträuber, die bei ihrem Überfall schwer bewaffnet gewesen waren.
Der Rembrandt war fünf Jahre zuvor aus einem Museum in Stockholm in einem spektakulären Raubüberfall gestohlen worden. 35 Millionen Dollar ist das Bild wert. Fünf Jahre lang hatten die Diebe erfolglos nach einem Käufer gesucht. In Wittman, der sich als Kunsthändler für die russische Mafia ausgibt, glauben sie endlich einen Käufer gefunden zu haben.
Der Handel in der Unterwelt ist eine der wenigen Möglichkeiten, wie sich geraubte Kunstwerke zu Geld machen lassen. Zwischen Mafiaorganisationen dienen sie als eine Art Sicherheit oder Währung bei Drogen- oder Waffengeschäften. So tauchten Werke von van Gogh, die 2002 gestohlen worden waren, 14 Jahre später bei einer Razzia gegen die neapolitanische Camorra wieder auf. Die Ermittler nahmen an, dass sie die Werke als Sicherheit im Drogenhandel genutzt hatten.
Manchmal dienen die Werke auch romantischeren Zwecken. Der belgische Kokainbaron Flor Bressers soll das 2020 verschwundene Werk «zwei lächelnde Jungen» von Frans Hals für 500 000 Franken erworben haben (geschätzter Wert des Bildes: 15 Millionen Euro). Als seine Frau und er schliesslich fünf Jahre später verhaftet wurden, soll er den Ermittlern angeboten haben, das Bild aufzutreiben, wenn sie im Gegenzug seine Frau freiliessen.
So liebestoll agieren die wenigsten Kriminellen. Die meisten versuchen, direkt die Besitzer beziehungsweise deren Versicherung zu erpressen.
In solchen Fällen landen sie häufig beim Anwalt Chris Marinello. «Manchmal rufen sie mich an, und es heisst: ‹Ich kenne jemanden, der weiss, wo das Werk sein könnte.›» Marinello hat aus der Wiederbeschaffung von Raubkunst ein Geschäft gemacht. Dass Museen oft Belohnungen für Hinweise ausschreiben, locke Informanten an, die sich nicht selten als Bekannte der Diebe oder Komplizen entpuppen, die als Mittelsmänner agieren. «Sie denken sich: Wenn ich das Werk schon nicht verkaufen kann, kassiere ich die Belohnung für den Hinweis.»
Das sogenannte Art-Napping mag funktionieren. Es gibt zahlreiche Beispiele, in denen es Dieben gelang, im Tausch gegen zuvor gestohlene Werke Versicherungen oder Museen Geld abzuluchsen. Aber das Geschäft ist riskant.
In Kopenhagen sieht es kurz so aus, als ob die Operation scheitern würde. Nach einer ersten Überprüfung von Wittmans Geldpaket verschwindet der Vertreter der Diebesbande wieder. Ist Wittman aufgeflogen? Dann kehrt der Kriminelle zurück – und hat das Bild dabei. Wittman verschwindet im Badezimmer, überprüft den Rembrandt auf seine Echtheit. Dann öffnet er die Tür zum Gang, springt nach draussen, und das SWAT-Team stürmt den Raum.
Von gefassten Räubern und ungeklärten Fällen
Am Schluss bringt Charakterschwäche die meisten Diebe zu Fall. Diesen Eindruck gewinnt, wer Wittman oder dem Anwalt Marinello länger zuhört. Einerseits ist da die Gier. «Ich hatte Fälle, da bezahlte ein Dieb einen anderen Kriminellen dafür, das Bild zu zerstören. Dieser nahm das Geld, aber er zerstörte das Bild nicht, weil er überzeugt war, dass es ihm gelingen würde, das Bild zu verkaufen», erzählt Marinello.
Andererseits, so Wittman, seien die Kriminellen ruhmsüchtig und neidisch. «Ich garantiere Ihnen: Die Diebe aus dem Louvre, die reden darüber. Sie geben an. Gegenüber anderen, von denen sie glauben, sie könnten ihnen vertrauen. Aber Kriminelle stehen immer im Wettbewerb. Deswegen verraten sie sich immer irgendwann.»
Belohnungen für Hinweise sind darum sehr effizient. Auch, weil in den USA jeder, der sich auf einen Aufruf meldet, verhört und vor einer Jury vernommen wird. Lügt er, bringt ihm das fünf Jahre Gefängnis ein.
Den entscheidenden Hinweis, der Wittman half, den Rembrandt in Kopenhagen zurückzukaufen, gab ein Mann, der in den USA bereits zu zehn Jahren Haft wegen Drogenhandels verurteilt worden war. Dank seinem Hinweis kam er auf Bewährung frei. Es war die grösste Strafreduktion in der Geschichte Kaliforniens. Er hatte dafür seinen Sohn verraten.
6 Milliarden Umsatz pro Jahr – so gross schätzt das FBI den Markt mit illegal gehandelten Kulturgütern. Der Grossteil entfällt auf Fälschungen. Aber jedes Jahr wird in Dutzende Museen und Galerien eingebrochen, von vielen Fällen erfährt die Öffentlichkeit nie.
Wittman schätzt, dass trotzdem die meisten wirklich bedeutenden Kunstwerke irgendwann wieder auftauchen: «90 bis 95 Prozent der Gemälde.» (Die Aufklärungsquote bei Schmuck hingegen liegt bloss bei 10 Prozent.) Man müsse einfach Geduld haben. Einmal habe sein Team fünf Werke von Norman Rockwell wieder aufgetrieben. «Sie waren 1979 gestohlen worden, 2001 hatten wir sie zurück. Sie tauchen wieder auf, weil sie uns überleben.»
Die Werke aus dem Garner-Museum aber sind auch heute, 35 Jahre nach dem Raubüberfall, noch verschollen. Wittman ist überzeugt, dass sie den Fall vor wenigen Jahren fast geknackt hätten. «Wir waren ganze nahe dran . . .» Dass die 13 Meisterwerke im Wert von einer halben Milliarde nicht wieder aufgetaucht sind, quält ihn bis heute. Ob er glaubt, dass die Werke noch existieren?
«Oh ja, bestimmt. Sie hängen irgendwo in Massachusetts . . .»
«Klingt so, als ob Sie eine präzise Adresse im Kopf haben?»
«You’ll see.»

