Der Ausstieg der USA aus dem Projekt zu einer globalen Mindeststeuer bringt die internationale Steuerlandschaft ins Wanken. Julian Böhmer und Max Fuss erläutern die Folgen und Herausforderungen für Unternehmen.
Die zweite Amtszeit von US-Präsident Donald Trump ist disruptiv für die internationalen Wirtschaftsbeziehungen. Dies gilt auch für das internationale Steuerrecht, also die Regelungen zur Koordination der nationalen Steuersysteme in grenzüberschreitenden Situationen, insbesondere für die globale effektive Mindeststeuer (auch Pillar Two genannt). Deren Umsetzung ist für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union verpflichtend. Die Vereinigten Staaten sind hingegen bereits am ersten Arbeitstag der zweiten Trump-Administration aus dem Vorzeigeprojekt der OECD/G20 ausgestiegen. Europäischen Unternehmen drohen damit erhebliche Nachteile im internationalen Wettbewerb.
Trump-Administration verabschiedet sich vom Multilateralismus
Pillar Two ist darauf angelegt, den internationalen Steuerwettbewerb zu bremsen. Dieses Ziel kann nur durch die weitgehende Erfassung der Niedrigbesteuerung in (annähernd) allen Jurisdiktionen, in denen multinationale Unternehmen wirtschaftlich operieren und konkurrieren, erreicht werden. Die globale Wirkung erfordert ein hohes Maß an internationaler Akzeptanz und Koordination der Regelungen sowie eine Umsetzung durch eine kritische Masse an Staaten. Durch die Koordination ihrer Steuersysteme geben die Staaten aber auch einen Teil ihrer politischen Gestaltungsfreiheit auf. So sind steuerliche Vergünstigungen für Investitionsanreize und Industriepolitik nur noch in dem durch die globale Mindeststeuer vorgegeben Rahmen möglich. Diese Mindeststeuer ist vor allem auch deshalb (zunächst) möglich geworden, weil sich die Biden-Administration zum Multilateralismus bekannt hat und dem Projekt damit über die Ziellinie verhalf.
Dabei war die Mindeststeuer stets erheblicher Kritik ausgesetzt, insbesondere von Seiten der US-Republikaner. Diese Kritik entzündete sich vor allem an der Sekundärergänzungssteuer (UTPR), die auch auf eine Niedrigbesteuerung in den USA Anwendung finden und zu einer (exterritorialen) Nachbesteuerung von US-Unternehmen im Ausland führen kann.
Ob die UTPR rechtmäßig ist, wird in Fachkreisen kontrovers diskutiert und ist auf Antrag eines US-Unternehmensverbands Gegenstand eines laufenden Verfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof. In Anbetracht dieser Kritik hatten die USA bereits einen Aufschub der Anwendung der UTPR um ein Jahr ausgehandelt. Der UTPR-Safe-Harbour sollte Zeit bringen, um das nationale US-Steuerrecht an die Regelungen der globalen Mindeststeuer anzunähern. Dieser Versuch der Biden-Administration ist allerdings gescheitert. Mit dem Regierungswechsel in den USA und einer neuen Betonung eines eng verstandenen nationalen Interesses ist die globale Mindeststeuer stärker denn je in Frage gestellt.
Hat die Mindeststeuer noch eine Zukunft?
Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens des One Big Beautiful Bill Act (OBBBA) drohten die USA, eine erhebliche Strafsteuer für alle Unternehmen einzuführen (Section 899 IRC), die in einem Staat ansässig sind, der die globale Mindeststeuer gegen US-Unternehmen anwenden könnte. Daraufhin haben die G7-Staaten am 28. Juni 2025 die „Vereinbarung“ getroffen, US-Unternehmensgruppen vollständig von der globalen Mindeststeuer zu befreien. Wie dieses sogenannte Side-by-Side System rechtlich und praktisch umgesetzt werden kann, ohne insbesondere für europäische Unternehmen erhebliche Wettbewerbsnachteile auszulösen, wird derzeit auf Ebene des OECD/G20 Inclusive Framework intensiv diskutiert.
Der Ausstieg der USA aus der globalen Mindeststeuer stellt die OECD, die EU-Kommission und die verbleibenden Befürworter der globalen Mindeststeuer vor erhebliche Herausforderungen. Soll an der globalen Mindeststeuer festgehalten werden, auch wenn die USA und zukünftig auch Indien, China und andere große Volkswirtschaften nicht mitmachen? Wie kann eine technische Lösung aussehen, die zu große Wettbewerbsnachteile der europäischen Unternehmen verhindert und dennoch die Ziele der globalen Mindeststeuer erreicht?
Auch in Deutschland, das zusammen mit Frankreich das Projekt maßgeblich angestoßen hatte, sind die Antworten auf diese Fragen nicht mehr eindeutig. Innerhalb der Bundesregierung haben Kanzler Merz und Finanzminister Klingbeil ihre Differenzen öffentlich gemacht, auch zwischen Bund und Ländern scheint es Meinungsverschiedenheiten zu geben. Zuletzt haben Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen im Bundesrat einen Antrag auf Aussetzung der globalen Mindeststeuer platziert. Auch die deutsche Industrie macht sich für diese Aussetzung stark.
Derzeit scheint es darauf hinauszulaufen, eine Anerkennung der neuen US-Hinzurechnungsbesteuerung als hinreichende Mindestbesteuerung zu akzeptieren und dadurch die Anwendung der globalen Mindeststeuer auf US-Unternehmen im Ausland auszuschließen. Die neue Besteuerung funktioniere zwar technisch anders als die globale Mindeststeuer, aber in Gänze betrachtet stelle dies eine hinreichende Besteuerung sicher.
Die Mitglieder des OECD/G20 Inclusive Framework sind dem Vernehmen nach allerdings noch nicht vollständig überzeugt. Vielmehr sind die Sorgen um die Integrität der Mindeststeuer und die Wettbewerbsposition der eigenen Wirtschaft erheblich. In der EU ist darüber hinaus fraglich, ob das Side-by-Side System tatsächlich, wie scheinbar von der EU-Kommission präferiert, ohne eine Änderung der Mindeststeuerrichtlinie in der Form eines neuen Safe-Harbours umgesetzt werden kann.
Suche nach einem tragfähigen Kompromiss
Wie also geht es weiter mit der globalen Mindeststeuer? Klar ist, dass die Gemengelage sehr kompliziert und die politischen und juristischen Herausforderungen enorm sind. Denn ohne die USA − und perspektivisch wohl auch ohne China und Indien − stellt sich die Frage, wie sich andere Staaten verhalten werden. Kommt es zu einer Zwei-Klassen-Besteuerung, bei der die großen Staaten von einem Side-by-Side System profitieren und nur die niedrigbesteuerten Gewinne von Unternehmensgruppen kleinerer Staaten nachversteuert werden?
Aus derzeitiger Sicht ist dies eine realistische Möglichkeit. Zwar wird teils eine vollständige Aussetzung der Mindeststeuer gefordert. Da dem derzeit aber die europäische Mindestbesteuerungsrichtlinie entgegensteht, bleiben erhebliche Fragezeichen, ob es dazu kommen wird. Vorerst könnte daher eine Side-by-Side-Lösung vereinbart werden. Wichtig wird aus Sicht der europäischen Unternehmen sein, dass auch im Fall einer Einigung auf ein Side-by-Side System die Integrität der globalen Mindeststeuer sichergestellt wird und sich der befürchtete Wettbewerbsnachteil der europäischen Wirtschaft nicht materialisiert.
Neben einer tatsächlich höheren Besteuerung kommt es im Rahmen der Mindeststeuer auch zu erheblichem Berechnungs- und Dokumentationsaufwand, der Unternehmensgruppen aus Staaten mit Side-by-Side System dann nicht mehr trifft. Schließlich sind auch ohne die globale Mindeststeuer europäische Unternehmen und der Binnenmarkt derzeit nicht wettbewerbsfähig genug, wie zuletzt im Draghi Report eindringlich dargelegt. Wichtig ist daher, dass für europäische Unternehmen die Besteuerung vereinfacht wird, wenn die Mindeststeuer nicht ganz ausgesetzt wird. Dieses sogenannte „decluttering“ wird entscheidend dafür sein, ob der Kompromiss eines Side-by-Side Systems dauerhaft tragfähig sein wird.
Schließlich besteht auch die Möglichkeit, dass sich die Verhandlungen über ein Side-by-Side System hinziehen. Auch das wäre kurzfristig höchst problematisch für europäische Unternehmen. Denn es gibt bereits politische Stimmen in den USA, die für diesen Fall erneut die Einführung der Strafbesteuerung nach Section 899 IRC in Aussicht stellen. Damit wären europäische Investitionen in den USA erheblichen steuerlichen Zusatzbelastungen ausgesetzt, die viele Geschäftsmodelle wirtschaftlich untragbar machen und eine kostspielige Reorganisation von Wertschöpfungsketten und Investitionsmodellen erfordern könnte. Daran können auch die USA, die ebenso auf ausländische Direktinvestitionen angewiesen sind, kein Interesse haben.

Dr. Julian Böhmer, Partner, ist spezialisiert auf die Lösung komplexer Steuerfragen nationaler und multinationaler Unternehmen, Banken und Financial Sponsors. Sein Schwerpunkt liegt auf der steuerlichen Strukturierung inländischer und grenzüberschreitender M&A-Transaktionen, Unternehmensreorganisationen, Börsengänge und Joint Ventures.
Dr. Max Fuss, Associate im Bereich Steuerrecht, ist spezialisiert auf nationales und internationales Unternehmenssteuerrecht. Beide Autoren arbeiten bei Linklaters in Düsseldorf.
Beteiligte Kanzleien
Zitiervorschlag
USA gehen auf Abstand:
. In: Legal Tribune Online,
24.10.2025
, https://www.lto.de/persistent/a_id/58450 (abgerufen am:
24.10.2025
)
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