Das mächtige Backsteingebäude an der Lothstraße allein ist schon ein Blickfang. Denn so viele Bauten in diesem Stil gibt es in München nicht. In dem ehemaligen Zeughaus ist seit etlichen Jahren die Fakultät für Design der Hochschule München untergebracht. Nun wehen neben dem Eingang an der Fassade zwei mehr als sechs Meter lange Fahnen. Zu sehen sind zwei Menschen: eine ältere, augenscheinlich weibliche Person mit Diadem auf dem Kopf und ein jüngerer Schwarzer Mann. Die Fotografien stammen von Francesco Giordano. Markus Frenzl, Professor an der Fakultät, hat sie zusammen mit Co-Kuratorin Tina Barankay ausgewählt. Aber was verbirgt sich hinter diesem Projekt, das sich „Flaggenzeug“ nennt – und der Anfang einer Reihe sein soll, wie Frenzl sagt.
SZ: Herr Frenzl, warum wehen an der Designfakultät derzeit zwei optisch außergewöhnliche Flaggen?
Markus Frenzl: Wir sind ja im ehemaligen landesherrlichen Zeughaus, an dem zwei lange Fahnenmasten angebracht sind. Bislang haben wir Fahnen nur verwendet, um darauf hinzuweisen, wenn im Gebäude etwas stattfindet, wie etwa unsere Jahresausstellung. Jetzt haben wir gesagt: Lass uns diese Flaggen und ihre Fläche selbst zur Ausstellung machen. Vorab aber haben wir uns einige Fragen gestellt.
Welche?
Was kann eine Flagge, die ja immer ein Symbol, ein hierarchisches Zeichen, ein Zeichen von Macht ist, heute noch sein? Welche neuen Semantiken lassen sich für dieses identitäts- und identifikationsstiftende Objekt finden und entwickeln? Das ist im Kontext eines ehemals militärischen Gebäudes besonders spannend und vor dem Hintergrund, dass Flaggen in den vergangenen Jahren wieder vermehrt von rechtsextremer Seite vereinnahmt worden sind.
Ihr Projekt heißt „Flaggenzeug“. Wir verwenden die Begriffe Flagge und Fahne sehr oft synonym, dennoch gibt es ja einen Unterschied.
In der Regel ist eine Fahne ein Einzelstück, das man an einer Stange trägt, etwa auf einer Demo. Flaggen werden gehisst und sind genormt. Das sind unsere natürlich nicht. Die Verwendung im Sprachgebrauch ist tatsächlich etwas unscharf. Als Designforscher frage ich mich aber, welche neuen Bedeutungsebenen wir aus unterschiedlichen künstlerischen und gestalterischen Perspektiven heraus für die Flagge finden können.
Wissen Sie, welche Flaggen am Zeughaus früher gehisst wurden?
Das konnten wir bis jetzt nicht herausfinden. Wir wissen nicht, ob das Gebäude etwa in der NS-Zeit beflaggt wurde, denn es fanden sich in den Archiven kaum Fotos vom Zeughaus aus dieser Zeit. Bei der Einweihung 1866 waren die Fahnenmasten noch nicht da.
Designprofessor Markus Frenzl in den Räumen der Hochschule München. (Foto: privat)
War etwa die Entscheidung der Bundestagspräsidentin, keine Regenbogenfahnen mehr am Bundestag aufhängen zu lassen, Motor für dieses Projekt?
Nein, so schnell können wir an einer Hochschule nicht agieren, wir arbeiten schon seit anderthalb Jahren daran. So ein Projekt muss ja auch mit der Hochschulleitung abgesprochen werden.
Aber Sie haben nicht zuletzt dadurch gemerkt, wie emotional das Thema ist?
Absolut. Ich finde es total spannend, sich mit solchen aufgeladenen Symbolen zu befassen und zu überlegen, welche Bedeutung Flaggen in unserer Demokratie heute noch haben und warum sie so hochemotionale Reaktionen hervorrufen. Interessant ist vor allem auch die Frage, ob wir uns mit dem Objekt Flagge vielleicht wieder stärker auseinandersetzen müssen, um es nicht den Rechtsextremen zu überlassen.
Weil wir ein eher gespaltenes Verhältnis zum Gebrauch von Fahnen beziehungsweise Flaggen haben?
Natürlich haben wir als Nation aus historischen Gründen ein eher schwieriges Verhältnis zu Fahnen, was am extremen Flaggenkult in der NS-Zeit liegt. Nur bei Fußball-Großereignissen wie EM oder WM kann man mittlerweile einen spielerischen Umgang mit Schwarz-Rot-Gold beobachten.
Wie wirkt sich dieses düstere Erbe auf die deutsche Bevölkerung aus, fehlt uns da nicht etwas im Vergleich zu anderen Nationen?
Weil nationale Symbole für uns nicht so unbekümmert zugänglich sind wie in anderen Ländern, fehlt manchen Menschen sicher diese Identifikationsmöglichkeit. Es kann ja auch Spaß machen, spielerisch-kreativ mit seiner Nationalflagge umzugehen. Wir beobachten ja gerne, wenn etwa in Großbritannien bei königlichen Paraden Leute in Anzügen mit Union-Jack-Muster auftauchen. Das ist ein heiterer, leichter Umgang mit nationalen Symbolen, den wir durch das Erbe der NS-Zeit verständlicherweise so nicht haben.
Der erste Aufschlag Ihres Projektes sind Porträts von zwei Menschen, die nun an der Fassade der Fakultät zu sehen sind. Was hat es damit auf sich?
Meine Co-Kuratorin Tina Barankay und ich haben für den Auftakt den Fotografen und Alumnus Francesco Giordano ausgewählt. Er hat sich intensiv mit marginalisierten Gruppen befasst. Die beiden Motive entstanden für zwei verschiedene Buchprojekte. Das eine heißt: „Mit Euren Spuren“; da geht es um Porträts von älteren queeren Menschen. Für das andere, „Rainbow Refugees Stories“, hat er Porträts von queeren Geflüchteten gemacht. Übrigens schon kurz nachdem wir die Flaggen aufgehängt hatten, fragten die ersten Leute: Geht es da um Provokation? Ich finde erstaunlich, dass solche Motive provozieren können. Hätten wir politische Forderungen aufgehängt, würde mir diese Frage einleuchten. Aber es sind Porträts von zwei Menschen. Die Flaggen geben ihnen Sichtbarkeit: eine ältere trans Frau und eine queere, geflüchtete Person of Color. Ich empfinde das nicht als Provokation, sondern als schönes Zeichen von Inklusion, Weltoffenheit und Vielfalt, das gerade für eine Hochschule wesentlich sind.
Ein Porträt von Edward Mutebi ist auf der zweiten Flagge vor der Hochschule zu sehen. (Foto: Francesco Giordano)
Das soll die Regenbogenfahne letztlich auch ausdrücken, um die es ja nun immer wieder Diskussionen gab. Müssen Sie eigentlich Vorgaben erfüllen?
Wir haben natürlich recherchiert, welche Flaggen wir überhaupt aufhängen dürfen und sind interessanterweise auf eine AfD-Anfrage an die Bayerische Staatsregierung gestoßen, die nachhakte, wer angeordnet und genehmigt hatte, dass vor Staatskanzlei oder Ministerien die Regenbogenflagge gehisst wurde. Die Antwort war: die jeweilige Behörde oder das Ministerium selbst. Dafür brauchen sie auch keine Genehmigung. Denn nicht hoheitliche Flaggen darf man hissen, solange sie nicht etwa verfassungsfeindlich sind oder die Rechte einzelner Personen beeinträchtigen. Nur für hoheitliche Flaggen, also etwa die bayerische oder deutsche, müssen Gestaltungsvorgaben eingehalten werden.
Welche Kriterien sind für Sie als Designer für eine gelungene Flagge mit einem hohen Wiedererkennungswert wesentlich?
Flaggen mit einer reichen Ikonografie, zum Beispiel die schweizerische oder die japanische Flagge, sind sehr viel sprechender als etwa unsere, die nur eine Aneinanderreihung von drei Farben ist. Aus gestalterischer Perspektive sind Entwürfe mit hoher Eigenständigkeit natürlich spannender. Auch die bayerische Rautenflagge hat eine große Eigenständigkeit. Aber natürlich spielen bei Flaggen immer kulturhistorische und heraldische Aspekte eine Rolle.
Und welche schätzen Sie persönlich ganz besonders?
Die japanische. Ich kenne keinen Designer, der nicht komplett beeindruckt aus Japan gekommen wäre. Es ist ein Land, in dem Ästhetik und die Auseinandersetzung mit der eigenen Kultur und Historie so eine große Rolle spielen – und die Fahne ist in ihrer bestechenden Einfachheit natürlich ikonisch. Ich finde aber auch die Europaflagge ein sehr identitätsstiftendes Objekt. Sie hat in ihrer Symbolik, den zwölf Sternen auf azurblauem Grund, etwas sehr Vereinendes und Solidarisches. Gerade in den letzten Jahren hat sich bei vielen eine europäische Identität entwickelt. Das finde ich sehr schön.