Dort würden Kinder im Alter von acht bis 18 Jahren unter anderem im Umgang mit Waffen und in der Steuerung von Drohnen geschult. An manchen Standorten bauen Kinder dem Bericht zufolge auch Drohnen zusammen. Eine kürzlich veröffentlichte Recherche des „Kyiv Independent“ machte zudem öffentlich, dass in mindestens einer Einrichtung in der russischen Region Wolgograd ukrainische Kinder von Ausbildern aus den besetzten Gebieten Militärtraining bekommen, die nach 2014 selbst von Russland indoktriniert worden waren.
Dass dahinter ein zentral gelenktes System steckt, offenbaren die Zuständigkeiten für die Einrichtungen. „Etwa die Hälfte der von uns identifizierten Einrichtungen steht unter dem Kommando und der Kontrolle russischer Ministerien“, so Raymond. „Es handelt sich um eine Pipeline zur Militarisierung und Umerziehung in industriellem Maßstab und von immenser Größe.“
Laut Schätzungen von Raymonds Team geht das Ausmaß der Verschleppungen weit über die bislang kolportierten rund 20.000 ukrainischen Kinder hinaus. Die Forscher aus Yale sprechen von rund 35.000 Kindern. Die ukrainischen Zahlen seien noch aus dem Jahr 2023 und damit veraltet.
Dabei unterteilt Raymond die betroffenen Kinder in vier Gruppen:
Die Zählung der Kinder ist für die Forscher dabei gleich aus mehreren Gründen schwierig. So verfügt die Zentralregierung in Kiew bereits seit 2014 – als Russland illegal die Krim annektierte und den Krieg im Donbass anzettelte – über keine Daten mehr zu den dort lebenden Kindern. Schätzungen zufolge sollen sich noch 1,6 Millionen Kinder in den besetzten Gebieten befinden.
Zwar arbeitete die Regierung bereits vor der russischen Vollinvasion im Februar 2022 an einem Europol-System zur Erfassung der vermissten Kinder. „Dieser Prozess wird jedoch durch die Tatsache erschwert, dass sie ständig bombardiert werden“, so Raymond. Es gebe also Probleme beim Zugriff und bei der Verwaltung von Daten.
Erschwerend hinzu komme jedoch ein weiterer Punkt, erklärt der Menschenrechtsexperte: „Das Ganze geschieht unter den Augen eines feindlichen ausländischen Geheimdienstes, der versucht, die Identität der Kinder zu verschleiern und zu verheimlichen.“ Ukrainische Kinder, die zur Adoption freigegeben werden, kommen demnach in die nationale russische Adoptionsdatenbank – „als ob sie russische Waisen wären“, so Raymond. „In einigen hundert Fällen ist es uns gelungen, sie zu identifizieren.“