Herr Aschern, ist es noch attraktiv, Schulleiter in Niedersachsen zu sein?
Natürlich. Wir haben uns diese Aufgabe ausgesucht – auch mit dem Wissen, dass es kein einfaches Geschäft ist. Auch in Krisenzeiten ist das eine Gestaltungsaufgabe, die interessant ist. Allerdings haben sich die Arbeitsbedingungen extrem verschlechtert. Das hat viel mit Bürokratie zu tun. Nach einer Umfrage beantwortet nur die Hälfte der Schulleitungen die Frage positiv, ob sie ihren Job weiterempfehlen würden.
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Wünschen Sie sich mehr Unterstützung vom Land, etwa durch Schulverwaltungsassistenzen?
Ja, das fordern die Verbände seit langem. Wir haben eine eskalierende Bürokratie an den Schulen. Ich verbringe wesentlich mehr Arbeitszeit mit der Verwaltung eines Schulgirokontos oder dem Führen von sogenannten Urlaubspendelkarten für pädagogische Mitarbeitende als mit Schul- und Unterrichtsentwicklung. Es gibt in Niedersachsen das Modellprojekt Schulverwaltungsassistenzen. Davon profitieren aber lediglich 24 Schulen.
Und der SVLN fordert es für alle Schulen?
Ja. Neben den Schulsekretärinnen und -sekretären, die in der Regel vom Schulträger bezahlt werden, brauchen wir flächendeckend Verwaltungsassistenzen. Das wären bei knapp 3000 Schulen in Niedersachsen mehrere tausend Stellen.
Ein anderes Problemfeld ist die Schulsozialarbeit. Laut einer Studie denken 44 Prozent der Schulsozialarbeiter über einen Stellenwechsel nach. Welche Erfahren machen Sie?
Die Probleme sind in den vergangenen Jahren extrem gestiegen. Da laufen die Kolleginnen und Kollegen den Schwierigkeiten hinterher – sozusagen wie im Reparaturbetrieb. Durch die zahlreichen Beratungsgespräche bei Krisen sind die Kapazitäten ausgeschöpft; für Prävention bleibt kaum noch Zeit.
Welches sind denn die größten Krisen?
Themen aus den Bereichen Klassenklima und Cybermobbing spielen eine große Rolle. Wir haben zunehmend Schülerinnen und Schüler, die Schwierigkeiten haben mit Leistungsanforderungen umzugehen, Schwierigkeiten haben sich zu konzentrieren und längere Aufmerksamkeitsspannen zu entwickeln.
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Die Gewerkschaft GEW kritisiert, dass es keine klaren Abläufe bei den multiprofessionellen Teams gibt. Sehen Sie das ähnlich?
Das Thema „Multiprofessionelle Teams“ hat viele Facetten. Hier kommen Menschen aus verschiedenen Professionen zusammen, um gemeinsam Probleme zu bearbeiten. Dazu gehören nicht nur Schulsozialarbeit, Lehrkräfte und Schulleitung, sondern auch pädagogische Mitarbeiter, Beratungslehrkräfte, Jugendhilfe, Schulpsychologie und weitere. Die einzelne Schule müsste also auf alle Professionen zurückgreifen können. Nach unseren Beobachtungen passiert das nicht einmal ansatzweise. Der Begriff „Multiprofessionelle Teams“ ist strategisch richtig, aber sehr weit weg von der schulischen Realität.
Ist die Erwartungshaltung viel zu groß?
Die Erwartungshaltung ist richtig. Es fehlen Personal und eingespielte Kooperationsstrukturen. Das ist wie Nordpol gegen Südpol. Die Lehrkräfte sehen sich in der Verantwortung für ihren Unterricht. Die Schulsozialarbeiterinnen blicken auf das einzelne Kind und seine individuellen Bedürfnisse. Man muss diese Perspektiven zusammenbringen, um zu Lösungen zu kommen.
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Es fehlen Lehrkräfte und auch mit den Quereinsteigern klappt es nicht so recht. Was schlägt denn Ihr Verband vor?
Frau Ministerin Hamburg hat recht, wenn sie sagt, dass das Problem des Lehrkräftemangels nicht innerhalb eines Jahrzehnts zu lösen sein wird. Es handelt sich mit ihren Worten um einen „Marathon“, nicht um einen „Sprint“. Daher gibt es zur „Politik der 1000 Schritte“ mit vielen Einzelmaßnahmen keine Alternative. Das Instrument Quereinstieg muss sehr differenziert betrachtet werden: Seit Jahren fordern die Verbände, dass Quereinsteiger im Vorfeld des Einstellungsverfahrens auf ihre formale Eignung geprüft werden. Die Erfahrungen zeigen, dass eigentlich nur der Weg übers Referendariat und das Studienseminar erfolgversprechend ist.
Julia Willie Hamburg (Grüne) ist seit November 2022 Kultusministerin Niedersachsens.
Archivfoto: dpa/Julian Stratenschulte
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Laut aktueller IQB-Bildungsstudie haben sich die Leistungen der Neuntklässler in Mathematik und Naturwissenschaften weiterhin verschlechtert. 34 Prozent verfehlen die Mindestanforderungen für die Mittlere Reife. Wie ist das zu erklären?
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Die Ergebnisse sind verheerend. Ich glaube, dass die gesellschaftlichen Herausforderungen schneller wachsen als die Ressourcen und Gegenstrategien. Das hat zu tun mit Individualisierung, mit Aufmerksamkeitsdefiziten und mangelnder Anstrengungsbereitschaft, aber auch mit der gesellschaftlichen Akzeptanz von Leistung, mit einer Überforderung der Systeme mit Integration und Inklusion – und der Bürokratiewelle, die die Schulen mit immer neuer Wucht trifft.
Welches wären denn die Gegenstrategien?
Ich nenne nur ein Beispiel: Hamburg hat sich nach dem Pisa-Schock 2001 vom Schlusslicht in die Spitzengruppe vorgearbeitet. Dort wurde gesagt: Es geht um Lernzeit! Die Unterrichtszeit ist ein wertvolles Gut. Ein Kernpunkt der Reform: Es gibt je sechs Stunden Deutsch und Mathematik in der Grundschule. Ties Rabe, von 2011 bis 2024 Schulsenator in Hamburg, hat gesagt: Wir müssen die Kernkompetenzen ins Zentrum nehmen und weniger Dinge besser tun. Zum Beispiel hat er eine verbindliche Lesezeit für Grundschüler in Hamburg eingeführt. Kompetenzen entwickeln sich kumulativ. Wie beim Schneeball, der den Berg herunterrollt, sind die ersten Meter die eigentlich entscheidenden. Wenn ich vor der Frage stehe, ob ich mehr Geld in die gymnasiale Oberstufe oder in die Primarstufe stecken soll, dann weiß ich, was ich tue.