Während der Freisinn seine Differenzen im EU-Dossier öffentlich austrägt, scheut seine grösste Konkurrentin die Aufmerksamkeit, denn sie hadert mit dem europapolitischen Erbe der alten CVP.
Welcher europapolitische Kurs schadet der Partei am wenigsten? Selbst die konservativen Ständeräte der Mitte waren sich zuletzt uneins.
Peter Klaunzer / Keystone
In ihrer eigenen Selbstverklärung ist die abwartende Haltung der Mitte-Partei nicht Zeichen der inneren Zerrissenheit, sondern Ausdruck ihres staatstragenden Selbstbewusstseins. Die Mitte kann aber nicht anders, sie ist die Partei der immerwährenden Vernehmlassung.
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Dieser Logik folgend, setzt sich die Partei bis anhin auch mit den neuen EU-Verträgen auseinander. In den vergangenen Wochen erarbeiteten Mitte-Politiker aus den aussenpolitischen Kommissionen eine Position, die das Parteipräsidium in diesen Tagen genehmigt. Vom Parteisekretariat heisst es, dies sei «das übliche Vorgehen für die Erarbeitung einer Vernehmlassungsantwort». Für die Schweizer Öffentlichkeit mag das Verhältnis zu Europa das dominierende politische Thema sein. Die Mitte versucht, es auf ein Traktandum unter vielen zu reduzieren.
Sie unterscheidet sich damit diametral von ihrer grössten politischen Konkurrentin, der FDP. Bereits vor einem Jahr mandatierte der damalige FDP-Präsident Thierry Burkart – der sich in dieser Frage fortan zurückhielt – eine Gruppe von je sechs Befürwortern und Gegnern der Verträge damit, eine Position für die Delegiertenversammlung vorzubereiten. Burkart sagte später, er habe so eine europapolitische Spaltung verhindern wollen.
Die Mitte beobachtete diesen Prozess ganz genau. Denn wie die FDP umfasst auch sie selbst europafreundliche und europaskeptische Kräfte.
Doch anders als der Freisinn versuchen Vertreter der Mitte, alle europapolitischen Differenzen so diskret wie möglich abzuhandeln. Anfragen werden in diesen Tagen per SMS abgewimmelt. Immer wieder heisst es, die Parteispitze werde Ende Oktober «ausführlich informieren». So versucht die Partei, europapolitische Störgeräusche zu verhindern.
Angesichts der europapolitischen Traumata der alten CVP gibt es dafür gute Gründe.
Der «EU-Beitritts-Zug»
Anfang der 1990er Jahre dominierten die CVP und die FDP gemeinsam das bürgerliche Lager und damit auch die Politik im Bundesstaat. Beide sahen die SVP bestenfalls als Juniorpartnerin. Dann kam die Abstimmung zum EWR.
Carlo Schmid, der mit dem Selbstverständnis eines Landesvaters jahrelang den Kanton Appenzell Innerrhoden und die CVP regierte, trat im Abstimmungskampf zum EWR als klarer Befürworter einer Annäherung an die EU auf. Schmid sagte, wenn die GSoA und die rechtsextremen Schweizer Demokraten gemeinsam den EWR bekämpften, könne man «blindlings den Kopf darauf verwetten, dass der EWR richtig» sei. Am Ende wurde der EWR gerade in den Innerschweizer Stammlanden der CVP besonders wuchtig verworfen. Doch die CVP-Elite hielt an ihrem europapolitischen Kurs fest.
Carlo Schmids Einsicht kam für die alte CVP zu spät.
Keystone
1998 beschloss die Partei am «Europa-Kongress» mit 411 zu 48 Stimmen den EU-Beitritt. Ein Jahr später wurde die SVP bei den Nationalratswahlen erstmals stärkste Kraft im Nationalrat und degradierte die CVP zur bürgerlichen Juniorpartnerin. Ein Umdenken setzte erst allmählich ein. 2001 bekräftigte die CVP ihren europapolitischen Kurs – entgegen der Mahnung des damaligen Parteipräsidenten Adalbert Durrer – erneut. Mit 189 zu 148 sprach sich die Delegiertenversammlung für eine Initiative aus, die den Beitritt zur EU verlangte. Allerdings widersetzen sich 18 Kantonalsektionen diesem Entscheid und beschlossen die Nein-Parole.
Innerhalb von zehn Jahren hatte die CVP nicht bloss einen erheblichen Teil ihrer Wähler verschreckt, sondern in ihrem Inneren eine europapolitische Spaltung heraufbeschworen. Carlo Schmid sagte anlässlich des hundertsten Geburtstages seiner Partei, Anfang der 1990er Jahre habe man nicht nur den Fehler gemacht, den EWR zu unterstützen, sondern sei «gleich noch auf den EU-Beitritts-Zug» aufgesprungen.
Für die alte CVP kam Schmids Erkenntnis zu spät. Nun fragt sich, was die neue Mitte daraus macht.
Eine neue Unübersichtlichkeit
In der Europapolitik dominieren in der Mitte zwei Pole. Einflussreiche Stimmen aus den Stammlanden haben ihre EU-Skepsis immer wieder kundgetan. Derweil meldeten Vertreter aus dem Mittelland ihren Führungsanspruch im EU-Dossier an.
Vergangenes Jahr äusserte sich die Parteileitung – in Erwartung der innerparteilichen Dissonanzen – zurückhaltend zum Verhandlungsergebnis mit der EU. Derweil ging Nicole Barandun, Nationalrätin aus dem Kanton Zürich, in die Offensive: «Die proeuropäischen Kräfte, namentlich die Frauen und die Sektionen der Westschweiz, werden gehörig Druck aufbauen!»
Doch die europapolitischen Bruchlinien in der neuen Mitte sind komplex. Benedikt Würth, St. Galler Ständerat und wertkonservatives Schwergewicht im Parlament, gilt als Unterstützer der neuen Verträge. Gerhard Pfister, Erfinder der neuen Mitte und stets um die Aussenwirkung seiner Partei in der urbanen Schweiz besorgt, ist bekanntermassen ein Skeptiker.
Gerhard Pfister, der Erfinder der neuen Mitte und Skeptiker einer Annäherung an Europa.
Keystone
In den Diskussionen zum gescheiterten Rahmenvertrag sagte Pfister: «Die Rolle des Europäischen Gerichtshofs im Rahmenabkommen ist toxisch.» Damals verlangte Pfister «substanzielle Verbesserungen» im Verhandlungsergebnis. Wenig später brach der Bundesrat die Verhandlungen ab.
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Anfang Sommer verkündete die Partei, dem Bundesrat sei es gelungen, im Vergleich zum Rahmenabkommen «Verbesserungen» zu erreichen. Es klang so, als bereite die Kommunikationsabteilung der Partei das Terrain für ein Ja zu den Verträgen. Doch schon bald gab es Widerspruch.
Mitten in der politischen Sommerpause schrieb Stefan Engler, Ständerat aus dem Kanton Graubünden, in einer Rubrik in der «Südostschweiz», der Bundesrat vernachlässige im EU-Dossier seine Informationspflicht und betreibe «im besten Falle Propaganda». Mit den neuen Verträgen könne der Gesetzgeber «nicht mehr frei legiferieren» und müsse mit Ausgleichsmassnahmen rechnen, was «eine diplomatische Bezeichnung für Sanktionen» sei.
Benedikt Würth griff diese Kritik wenig später in der NZZ auf. Er forderte in Ergänzung zum Verhandlungsergebnis inländische Massnahmen und «neue Instrumente» für das Parlament. Im Zweifel müsse die Schweiz zudem von EU- und EWR-Staaten lernen und EU-Recht «kreativ umsetzen». Würth versuchte damit eine öffentliche Diskussion abzuklemmen und eine Position zu formulieren, die auch für Skeptiker in seiner Partei anschlussfähig sein könnte.
«EU-Recht kreativ umsetzen». Der St. Galler Ständerat Benedikt Würth.
Keystone
Nachdem sich die FDP vergangene Woche überraschend deutlich für die neuen Verträge, allerdings nur knapp gegen das Ständemehr bei einer Volksabstimmung ausgesprochen hatte, wurden erneut europakritische Zwischentöne laut. Einige Mitglieder der Mitte verlangten in den sozialen Netzwerken, dass sich die Partei nun für das Ständemehr ausspricht und so ein europapolitisches «Alleinstellungsmerkmal» herausarbeitet.
Elisabeth Schneider-Schneiter, europafreundliche Nationalrätin aus dem Baselbiet, reagierte sofort und schrieb: «Warten wir mal ab, was die Kantone dazu sagen . . .» Die Kantone konnten sich am Freitag nicht auf eine gemeinsame Stellungnahme einigen. Für das Ständemehr sind neben dem Tessin vor allem kleine, ländliche Kantone der Deutschschweiz. Es sind Kantone, in denen die Mitte in den vergangenen Jahren bereits beachtliche Wähleranteile an die SVP verloren hat. Soll sie sich nun als europaskeptische Partei positionieren oder sich neben der FDP, den Linken und der GLP als eine weitere europafreundliche Kraft einreihen?
Am 29. Oktober wird das Parteipräsidium seine Position bekanntgeben. Eine Europadiskussion unter Delegierten ist aber erst geplant, wenn das Parlament die Verträge behandelt hat. Und so bleibt die entscheidende Frage für die Mitte, ob sie mit ihrer Europapolitik überhaupt neue Wähler ansprechen kann oder ob sie sich weiterhin durchwursteln will