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Im Ukraine-Krieg setzt Kiew weiter auf Attacken gegen Russlands Wirtschaft. Die Taktik geht auf: Putin kämpft mit Energieproblemen.

Moskau/Kiew – Wochenlang hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gedroht: Sollte Russland seine „Winterterror-Kampagne“ gegen die ukrainische Energieinfrastruktur fortsetzen, würde Kiew proportional zurückschlagen – selbst wenn dies Stromausfälle in Moskau bedeuten sollte. Nach Monaten russischer Angriffe auf Kraftwerke und Umspannstationen hat Kiew die Worte nun Wahrheit werden lassen.

Woldymyr Selenskyj bei Beratungen mit der EU in Brüssel. Im laufenden Ukraine-Krieg setzt der Präsident auf gezielte Angriffe gegen Russlands Wirtschaft.Woldymyr Selenskyj bei Beratungen mit der EU in Brüssel. Im laufenden Ukraine-Krieg setzt der Präsident auf gezielte Angriffe gegen Russlands Wirtschaft. © imago

Die Ukraine hat eine massive Vergeltungskampagne gegen russische Energieanlagen gestartet, die ganze Regionen in Dunkelheit stürzt und Moskau zu einem nationalen Energienotstand zwingt. Die Schläge verfolgen allerdings ein weiterreichendes Ziel: Verluste für Russlands Wirtschaft. In der Folge soll Russlands Präsident Wladimir Putin an den Verhandlungstisch gedrängt werden, um über ein Ende des Ukraine-Kriegs zu sprechen. Der jüngste Drohnenangriff auf den Moskauer Vorort Krasnogorsk demonstriert diese dramatische Wende: Aus dem Opfer ist längst ein Jäger im Ukraine-Krieg geworden.

Kiew nimmt im Ukraine-Krieg Russlands Wirtschaft ins Visier – Energieprobleme belasten Putin

In der Nacht zu Freitag schlug eine ukrainische Drohne in einem mehrstöckigen Wohnhaus im Moskauer Vorort Krasnogorsk ein und verletzte dabei fünf Menschen, darunter ein Kind. Der örtliche Beamte Dmitri Wolkow bestätigte über Telegram, dass die Drohne eine Wohnung im 14. Stock getroffen habe. Gouverneur Andrej Worobjow veröffentlichte Aufnahmen der beschädigten Wohnung mit zerbrochenen Fenstern und zerstörten Möbeln. Alle Verletzten wurden ins Krankenhaus gebracht.

Der Angriff auf die Hauptstadtregion steht exemplarisch für die Verschiebung der Frontlinien im weiteren Sinn – nicht geografisch, sondern strategisch. Seit Monaten setzt Kiew auf gezielte Attacken im Nachbarland. Dabei werden in der Regel Drohnen eingesetzt, die immer wieder auch Putins Wirtschaft ins Visier nehmen. Die ukrainischen Vergeltungsschläge erfolgen inzwischen auf Ziele, die tief im russischen Territorium liegen.

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In der Region Belgorod herrscht nach Angaben von Gouverneur Wjatscheslaw Gladkow Chaos, nachdem ukrainische Raketen und Drohnen die wichtigsten Stromsysteme der Stadt zerstört haben. Gladkow forderte die Bewohner auf, alternative Stromquellen zu finden und auf Generatoren zu setzen. Gleichzeitig verbot die örtliche Verwaltung jedoch den Bürgern, Benzinkanister zu füllen – ausgerechnet den Treibstoff, den diese Generatoren benötigen.

Schläge gegen Russlands Wirtschaft: Immer wieder werden Energieanlagen getroffen

Während Putin im aktuell laufenden Ukraine-Krieg seit einigen Wochen gezielt Energiesysteme angreifen lässt, um zu Beginn der kalten Jahreszeiten Panik in der ukrainischen Bevölkerung zu sähen, adaptieren die Truppen von Wolodymyr Selenskyj diese Taktik offenbar. Laut Euromaidan Press trafen über mehrere aufeinanderfolgende Nächte hinweg Drohnen und Raketen Energieanlagen in verschiedenen russischen Regionen. In Brjansk ging ein Wärmekraftwerk in Flammen auf, in der Region Wladimir wurde eine 750-Kilovolt-Umspannstation außer Betrieb gesetzt.

Die Angriffe erreichten auch Uljanowsk, Samara und Wolgograd, wo wichtige Knotenpunkte des russischen Stromnetzes getroffen wurden. In Nischni Nowgorod schlugen sechs ukrainische Langstreckendrohnen in einer Energieanlage ein und schnitten über 200.000 Bewohner von der Stromversorgung ab. Offiziell ist das Ausmaß der Angriffe und die möglichen Folgen für die russische Bevölkerung unklar. Moskaus offizielle Linie ist Verleugnung, doch laut ukrainischen Medien sind Notfallteams überlastet, Brände wüten in mehreren Umspannwerken, und das Stromnetz steht unter anhaltendem Druck.

Putins Schlüsselbetrieb angegriffen: Ukraine legt Teile von Russlands Wirtschaft lahm

Die aktuelle Strategie der Ukraine im Krieg sieht auch regelmäßige Attacken auf Ziele von Russlands Wirtschaft vor. Wie unter anderem Re:Russia in einer Analyse festhält, wurde in diesem Jahr bereits eine Vielzahl der Öl-Raffinerien des Landes durch Drohnenangriffe getroffen. Inzwischen erhalten die ukrainischen Truppen Unterstützung durch US-Geheimdienste, die bei der Informationsbeschaffung und Einschätzungen der Ziele behilflich sein sollen. Zusätzlich setzt Kiew Putin durch gezielte Luftschläge auf wichtige Rüstungsanlagen unter Druck.

Neue Probleme für Putin: China und Indien drehen Russland den Ölhahn zuRusslands Machthaber Wladimir Putin: Die Wirtschaft seines Landes gerät durch Angriffe aus der Ukraine zunehmend unter Druck. © © IMAGO / ZUMA Press

Für sich genommen wirken die Angriffe wie Nadelstiche – in der Summe jedoch beginnen sie, Russlands Wirtschaft empfindlich zu treffen. Erst vor wenigen Tagen berichtete Ukrainska Pravda von einem kombinierten Raketen- und Luftangriff, bei dem auch britische Storm-Shadow-Raketen zum Einsatz gekommen sein sollen. Im Visier: das Bryansk-Chemiewerk, das Schießpulver, Sprengstoff und Raketentreibstoffkomponenten für die russische Rüstungsindustrie herstellt. Es gilt als Schlüsselbetrieb, wie der ukrainische Generalstab bestätigte. Die Attacke fügt sich in eine Reihe gezielter Schläge gegen Russlands Wirtschaft ein, die bereits spürbare Auswirkungen zeigen. Allein in den vergangenen drei Monaten schlugen 14 Raketen in Russlands Industrieanlagen ein. Im Oktober erfolgten nach einer Analyse der britischen BBC sechs Angriffe.

Strategie im Ukraine-Krieg: Kiew plant mehr als Vergeltung

Die ukrainischen Angriffe folgen einer durchdachten Strategie zur Schwächung von Russlands Kriegsfähigkeit durch gezielte Schläge gegen wirtschaftliche Schlüsselinfrastruktur. Während Russland mit seinen Drohnen immer wieder auf Energiesysteme der Ukraine zielt, um Strom- und Wärmeversorgungen zu unterbrechen, konzentriert sich Kiew auf die Unterbrechung russischer Versorgungslinien und Produktionskapazitäten.

Seit Beginn seiner Offensive vor rund dreieinhalb Jahren feuert Russland fast täglich Drohnen und Raketen auf die Ukraine ab. Während Kiew während der ersten Kriegsmonate allein an der Verteidigungsfähigkeit gearbeitet hat, zeugen die jüngsten Entwicklungen im Ukraine-Krieg von einem Wendepunkt: Die ukrainischen Drohnenangriffe sind mehr als Vergeltung – sie sind ein politisches Signal. Kiew zeigt, dass es über die Mittel und die Entschlossenheit verfügt, Russland auf seinem eigenen Terrain zu treffen. Doch der Preis dieser neuen Schlagkraft ist hoch: Je stärker die Ukraine in Russlands Energie- und Industriezentren eindringt, desto weiter entfernt sich die Aussicht auf eine diplomatische Lösung. (Quellen: BBC, Ukrainska Pravda, Re:Russia, Euromaidan Press, dpa, AFP) (fbu)