Ein klotziger Bau mit Säulen, davor Soldaten in dunkler Uniform, im Vodergrund junge Männer

AUDIO: Kunstverbrechen: Nazi-Kunst und die Großen Deutschen Kunstausstellungen (4 Min)

Stand: 25.10.2025 06:00 Uhr

Eine Bronzestatue wird aus einem Garten in einem oberbayrischen Dorf gestohlen. Im neuen Fall des True-Crime-Doku-Podcasts Kunstverbrechen führt die Spur zur Großen Deutschen Kunstausstellung von 1939 und einem verborgenen Sammlermarkt.

von Juliane Bergmann

Ein Dorf in Oberbayern. Viele Jahre stehen hier drei Skulpturen des 1966 verstorbenen Bildhauers Mathias Schumacher in einem Garten der Nachfahren. Seine Enkelin Stephanie hat Schumacher nicht kennengelernt. Mit seiner Kunst hatte sie sich nie wirklich befasst. Bis eine der Bronze-Figuren, die „Bogenschützin“, 2024 unbemerkt verschwindet. Wurde sie wegen ihres Materialwerts gestohlen, oder war es ein Auftragsdiebstahl? Denn es gibt eine Datierung im Sockel der Statue: 1937. Handelt es sich um Nazi-Kunst?

Die Bronzestatue einer nackten Frau, die einen Bogen nach oben hält, steht zwischen Bäumen

Sammler von Nazi-Kunst zeigen großes Interesse an der als „Bogenschützin“ bekannten Skulptur.

„Es fiel irgendein Wort. Ich bin mir nicht sicher, ob sie das Wort Nazi gesagt haben. Aber, dass es Kunst ist, die in rechten Kreisen gefällt“, erinnert sich Stephanie an Gespräche während ihrer ersten Recherche zu der Figur. „Das war das erste Mal, das ich mir gesagt hab: Ach ja, stimmt! Leni Riefenstahl lässt grüßen, diese schönen Körper, arisch – ja logisch – das bedient total dieses Spektrum!“

Sammlerszene mit Faszination für Nazi-Kunst

Die mehr als zwei Meter große Statue – eine schlanke, aber muskulöse nackte Frau – hält einen Bogen in der einen ausgestreckten Hand und scheint dem in den Himmel geschossenen Pfeil nachzublicken. Gegossen wurde sie 1937. Wer könnte heutzutage an der Bronze Interesse haben? Die Enkelin recherchiert online in der Sammlerszene und entdeckt: Es scheint eine Faszination für die Kunst ihres Großvaters zu geben.

Eine Postkarte zeigt die Statue einer nackten Frau, die einen Bogen hält

Die Statue von Mathias Schumacher zierte 1939 die Einladungskarte für die Große Deutsche Kunstausstellung in München.

„Sobald ich das Foto der ‚Bogenschützin‘ auf Ebay sah, wusste ich, dass es ein wichtiges Werk ist. Ich habe einige historische Fotos. Es gibt auch eine Postkarte, die dieses Kunstwerk zeigt“, sagt ein US-amerikanischer Sammler, der sich Johnny nennt. Die Postkarte, von der er redet, ist die Einladungskarte für die Große Deutsche Kunstausstellung 1939 in München – die wichtigste Kunstschau der Nationalsozialisten. Und Mathias Schumacher lieferte gewissermaßen das Coverfoto.

Ausstellung soll nationalsozialistisches Kunstverständnis definieren

18. Juli 1937: Adolf Hitler eröffnet die erste „Große Deutsche Kunstausstellung“ (GdK) in München. Mit ihr soll das nationalsozialistische Verständnis von „Deutscher Kunst“ definiert werden, das in Zukunft als einziges gelten soll.

Das Kulturprogramm des Neuen Reiches ist von einer einmaligen Großartigkeit in der Geschichte unseres Volkes…

Auszug aus Adolf Hitlers Rede zur Eröffnung der Kunstausstellung 1937 in München

Fassade des Haus der Kunst in München (1962)

Das Haus wurde 1937 durch Adolf Hitler eröffnet und war Bühne für die offizielle Kunst der NS-Diktatur.

Hitler setzt schon bald seinen Fotografen Heinrich Hoffmann als alleinigen Juror ein, der die Ausstellung politisch-ideologisch gestaltet. Die GdK ist pompös inszenierte Propaganda für die Volksgemeinschaft und lukrative Verkaufsschau für die Künstler. Nicht alle ausgestellten Werke scheinen politisch zu sein. Manchen geht es vielleicht „nur“ ums Geld. Bei Schumachers Figuren gibt der Kunsthistoriker und GdK-Experte Christian Fuhrmeister aber eine eindeutige Einschätzung:

„Das ist das wirklich triefende Rassepolitik. Dieser idealtypische Frauenkörper, das ist viel zu ernst, um nur pornographisch zu sein, das ist Weltbild, das ist Utopie, Verheißung, Erfüllung einer zukünftigen nationalsozialistischen Volksgemeinschaft“, so Fuhrmeister.

Die Großen Deutschen Kunstausstellungen

Die sogenannte Große Deutsche Kunstausstellung (GdK) fand von 1937 bis 1944 jährlich statt. Veranstaltungsort war das eigens hierfür gebaute „Haus der Deutschen Kunst“ in München. Die Veranstaltung war als Verkaufsausstellung organisiert.

Über einen Wettbewerb, in dessen Entscheidungen auch Adolf Hitler und Joseph Goebbels involviert waren, wurden für die Schau von 1937 schließlich rund 600 Werke ausgewählt. Großen Einfluss auf die Gestaltung der Ausstellung hatte Hitlers Fotograf Heinrich Hoffmann. Die auserwählten Künstlerinnen und Künstler konnten jeweils mehrere Kunstwerke ausstellen und auf lukrative Geschäfte hoffen.

Die GdK wurde als eines der wichtigsten Kulturereignisse im NS-Staat propagiert. In seiner Eröffnungsrede 1937 skizzierte Adolf Hitler, welchen Leitlinien sogenannte „Deutsche Kunst“ folgen sollte. Im Gegensatz dazu stand die parallel ebenfalls in München stattfindende Ausstellung „Entartete Kunst“, die beschlagnahmte Werke moderner Kunst verschiedener avantgardistischer Strömungen zeigte.

Goebbels kauft auf Kunstausstellung zweite Bogenschützin

Christian Fuhrmeister hat zur GdK geforscht: Wer hat ausgestellt, wie sahen die Bewerbungen aus, wer hat gekauft? Für die „Bogenschützin“ zahlt Propagandaminister Joseph Goebbels zum Beispiel 14.000 Reichsmark und platziert sie prestigeträchtig auf seinem Anwesen am Bogensee. Inzwischen ist auch sie verschwunden. 2011 geht die Datenbank GDK Research online. Nicht nur für historisch Interessierte, sondern auch für manche NS-Kunst-Sammler reizvoll.

Verborgener Hype um Nazi-Kunst

Ein Sammler aus den Benelux-Staaten behauptet von sich, die größte private deutsche Kunstsammlung aus der Zeit von 1933 bis 1945 zu besitzen. Er möchte anonym bleiben. Die Werke, die auf den GdKs zu sehen waren, sind für ihn begehrte Raritäten:

Ein großer Saal mit hohen Decken, Bilder an den Wänden und Bänken in der Mitte

Im „Haus der Kunst“ in München präsentierten die Nazis in ihrer Großen Deutschen Kunstausstellung Werke, die ihrem Kunstverständnis entsprachen.

„Man will GdK-Arbeiten. Auf dem Markt in Europa wird heutzutage nur eine prominente GdK-Arbeit pro Jahr angeboten. Man hat Glück, wenn man von Künstlern ein prominentes Stück wiederfindet, das auf den Großen Deutschen Kunstausstellungen ausgestellt war“, so der Sammler.

Dokumentation der Werke öffnet Pandoras Büchse

Während abseits der großen Öffentlichkeit der Markt um GdK-Werke scheinbar boomt, zeigen Museen und Ausstellungshäuser diese Kunst immer noch selten. Dem Kunsthistoriker Christian Fuhrmeister geht es ums Sichtbarmachen. Klar ist ihm auch, dass Sammler von NS-Kunst auf seine Recherchen anspringen:

„Ein Buch kann sich seine Leser nicht aussuchen. Wir haben mit diesem Digitalisieren und zur Verfügungstellen der Ausstellungsdokumentation selber die Büchse der Pandora geöffnet. Wenn man nicht aushält, dass das mal deutsche Geschichte und deutsche Kunst war, dann ist sowieso alles zu spät!“

Mehr zu diesem Fall hören Sie in der aktuellen Staffel des True Crime Doku-Podcasts von NDR Kultur: Kunstverbrechen – Großpapi, Goebbels und die Nazi-Kunst – alle Folgen in der ARD Audiothek. Folge 1 wird am Sonnabend um 17 Uhr auf NDR Kultur gesendet.

Die Bronzestatue einer nackten Frau, die einen Bogen nach oben hält, steht zwischen Bäumen

Eine mannshohe Bronzestatue verschwindet aus einem Garten. Ist es Nazi-Kunst? Die Kunstverbrechen-Hosts decken Erstaunliches auf.

Eine Frau und ein Mann stehen vor einer blauen Wand, auf der rote Fäden gespannt sind

Gestohlene van Goghs oder dubiose Kunstsammler: Lenore Lötsch und Torben Steenbuck bringen ihren True-Crime-Podcast live auf die Bühne.

er Direktor des Van Gogh Museums, Axel Rüger, und die niederländische Kulturministerin Jet Bussemaker betrachten am 21.03.2017 in Amsterdam (Niederlande) die einst gestohlenen und nun wieder aufgetauchten Gemälde «Zeegezicht bij Scheveningen» (Meeressicht bei Scheveningen, 1882) und «Het uitgaan van de Hervormde Kerk te Nuenen» (Die Kirche von Nuenen mit Kirchgängern, 1884/1885)

Die vierte Staffel des True-Crime-Podcasts startet spektakulär: Der Fall um gestohlene Van-Gogh-Gemälde bringt Host Torben Steenbuck in eine heikle Situation.

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Gestohlene Tagebücher, Brillen und Dokumente des Ex-Beatles tauchen in Berlin auf. Sind sie echt? Was sagt Yoko Ono?

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Der Trödelhändler Edgar Mrugalla kopierte jahrelang unbemerkt die großen Meister. Gibt es noch bislang unentdeckte Fälschungen?