
Vor fast einem Jahr starben bei der Flut in Valencia mehr als 230 Menschen. Erneut demonstrierten Zehntausende gegen die viel zu späte Warnung der Behörden. Ihre Wut richtet sich vor allem gegen Ministerpräsident Mazón.
Von Hans-Günter Kellner, ARD Madrid
„Mazón ins Gefängnis“, riefen Zehntausende in der Innenstadt von Valencia zur großen Kundgebung fast ein Jahr nach der Flutkatastrophe in der spanischen Region. Gemeint ist der Ministerpräsident der Region, der konservative Carlos Mazón. Gegen ihn richteten sich viele der selbstgemalten Schilder. Auf dem Spruchband der drei Betroffeneninitiativen, die zu der Demo aufgerufen haben, war er umgedreht abgebildet, auf dem Kopf.
Mariló Gradolí, Sprecherin einer der Organisationen, sagte über die Rücktrittsforderungen: „Wir wollen wissen, was Carlos Mazón an diesem Tag gemacht hat. Ein Jahr danach wollen wir endlich die Wahrheit. Wahrheit für alle Betroffenen, aber vor allem für die Todesopfer.“ Und sie wollten Gerechtigkeit, betonte sie. „Nicht nur juristisch, sondern auch politisch und sozial.“
„Mazón Rücktritt“ steht auf einem Banner, zusammen mit einem auf dem Kopf stehenden Bild von ihm.
Monatlicher Protest
Seit einem Jahr demonstrieren die Menschen in Valencia einmal im Monat. Trotz des massiven Protests weist die Regionalregierung weiter jede Verantwortung von sich. Rosa Alvarez, eine zweite Sprecherin, weiß nicht mehr weiter: „Es ist brutal, dass wir nach einem Jahr keinen Schritt weitergekommen sind.“ Die Demonstrationen reichen ihr zufolge nicht. „Was könnten wir noch machen? Ich weiß es nicht. Gewalt ist keine Lösung“, führte sie aus. Es deutet auch nichts darauf hin, dass die Proteste in Gewalt umschlagen könnten.
Der Grund für die Empörung steht auf vielen T-Shirts der Demonstrantinnen und Demonstranten. „20:10“ ist dort schwarz auf weiß zu sehen. Es ist die Uhrzeit der Katastrophenwarnung, die die Regionalregierung am Tag der Katastrophe auf alle Handys in der Region geschickt hatte. Doch da hatte die Flut längst weite Teile südlich der Hafenstadt verwüstet, die meisten der 237 Toten in Valencia und den angrenzenden Regionen waren um diese Zeit schon ertrunken oder vom Schlamm erdrückt.
„Wir vergessen nicht, wir verzeihen nicht“
Eine Demonstrantin kommt aus dem Norden der Region, dort wo es stellenweise bis zu 700 Liter pro Quadratmeter geregnet hatte. Das Unglück sei vermeidbar gewesen, sagte sie: „Ich wohne ich Cheste. Am 29. Oktober vor einem Jahr ist der Fluss, die Rambla del Poyo, schon um elf Uhr am Morgen voller Wasser gewesen. Und die Regionalregierung behauptet, sie hätte von nichts gewusst.“ Darum forderten sie den Rücktritt von Carlos Mazón, erklärte sie. „Wir vergessen nicht, wir verzeihen nicht. Wir wollen Gerechtigkeit.“
Zumal auch der Wetterdienst schon Tage zuvor vor heftigen Wolkenbrüchen gewarnt und am Morgen genau für die betroffene Region Alarmstufe Rot ausgelöst hatte. Doch Ministerpräsident Mazón ging an diesem Tag ausgiebig essen. Erst am Abend wurde er wieder im Regierungssitz gesehen.
„Carlos Mazón ist ein schäbiger Politiker“
Auch Mila Tamarit demonstrierte darum: „Die Regionalregierung hat uns völlig im Stich gelassen. So viele Tote und so viel Leid. Und hinterher haben sich die Verantwortlichen nicht einmal entschuldigt.“ Sie fordert neue Wahlen, und einen neuen Ministerpräsidenten. „Carlos Mazón ist ein schäbiger Politiker, er weigert sich, zurückzutreten. Wir wollen diese Regierung nicht.“
Zu den Hintergründen der Katastrophe sagen Wissenschaftler: Mit dem Klimawandel wird das Mittelmeer immer früher immer wärmer. Damit steigt feuchte Luft auf, die Herbstgewitter werden immer heftiger.
Darum gab der Wetterdienst auch in diesem Jahr schon zweimal Alarmstufe Rot für die Gegend aus. Das weckt in Valencia schlimme Erinnerungen, sagt Demonstrantin Tamarit: „Bei jeder Wolke am Himmel bekomme ich Magenschmerzen. Vor zwei Wochen hatten wir roten Alarm.“ Viele seien nervös gewesen. „Diesmal war es vor allem über dem Meer. Aber wenn es wieder im Gebirge regnet, werden wir wieder überflutet. Hoffentlich werden wir dann früher gewarnt.“