Berlin – Es war ein Auftritt, sinnbildlich für den Zustand dieser schwarz-roten Koalition. Freitag gingen in Bielefeld Menschen auf die Straße, um gegen Kanzler Friedrich Merz (69, CDU) wegen seiner Aussagen zur Veränderung des Stadtbilds durch Migranten zu mobilisieren.

SPD-Fraktionsvize Wiebke Esdar (41) demonstriert in Bielefeld links hinter dem roten Banner mit schwarzem Schal gegen ihren eigenen Kanzler.

SPD-Fraktionsvize Wiebke Esdar (41) demonstriert in Bielefeld links hinter dem roten Banner mit schwarzem Schal gegen ihren eigenen Kanzler.

Foto: privat

Als Frontfrau posierte SPD-Fraktionsvize Wiebke Esdar (41) mit dem Banner: „Zusammenhalt statt Spaltung“. Angeblich war Esdar nur als „interessierte Bürgerin“ dabei, wie sie mitteilen ließ. Doch es war nichts anderes als eine Provokation des Koalitionspartners CDU/CSU – und des Bundeskanzlers.

Mehr zum Thema

Dabei war bei Union und SPD nach der Klarstellung von Merz, wen und was er mit seiner „Stadtbild“-Aussage meint, die Parole ausgegeben worden, sich zu mäßigen. Schließlich hatten beide Partner da schon genug politisches Porzellan zerschlagen.

Merz fühlte sich im Recht

Erst der Kanzler: Er hatte mit seiner schwammigen Aussage vom „Stadtbild“ im Zusammenhang mit einer nötigen Abschiebe-Offensive zwar einen Nerv in der Bevölkerung getroffen, aber migrationspolitisch links blinkende Genossen auf die Palme gebracht – und Spielraum für Unterstellungen gelassen, er wolle Zuwanderer ausgrenzen. Dann war er auch noch tagelang bockig, wies Aufforderungen aus der SPD-Spitze nach einer Klarstellung seiner Aussage zurück. Merz fühlte sich schlicht im Recht, Koalitionsfrieden hin oder her.

Mehr zum Thema

Eigentlich aber war es doch auch Merz mal wichtig gewesen, den kleinen Koalitionspartner, den er zwingend zum Regieren braucht, nicht unnötig zu provozieren. Doch erst, nachdem SPD-Vizekanzler Lars Klingbeil (47) ihn öffentlich vor einer Spaltung in Bürger mit und Bürger ohne Migrationshintergrund gewarnt hatte, gab der Kanzler nach. Und stellte am Mittwoch in London klar, was ihn am öffentlichen Bild deutscher Städte stört: Migranten ohne dauerhaftes Aufenthaltsrecht und Arbeit, die sich nicht an die in Deutschland geltenden Regeln halten.

Auch interessant

Anzeige

Auch interessant

Anzeige

SPD-Demonstrantin Esdar postete dennoch fleißig Fotos des Anti-Merz-Happenings auf Instagram. Nach dem Motto: Jeder für sich, jeder nur für die eigene Bubble.

So ist es kein Wunder, dass die Deutschen bei dieser Regierung in der Not nicht mehr genug Gemeinsamkeiten erkennen, die sie zusammenhalten könnten.

Knapp die Hälfte der Bürger (49 Prozent) glaubt laut INSA eher nicht daran, dass Schwarz-Rot vier Jahre durchhält. Kein Wunder, denn fernab vom Stadtbild-Zoff sind zentrale Streitfelder seit Wochen nicht geklärt.

Wehrpflicht: Zwar scheint die Idee, junge Männer per Los zur Musterung aufzufordern, vom Tisch. Aber eine weiße Fahne in dem Streit zwischen Union, SPD und Verteidigungsminister Boris Pistorius (65, SPD) wurde noch immer nicht gehisst. Noch immer hat die Regierung den Bürgern nicht dargelegt, wie sie den schwersten Grundrechtseingriff, den der Staat vorsieht, konkret gestalten will. Selbst die liberale „Zeit“ konstatiert eine „peinliche“ und „unverantwortliche Unentschiedenheit, die die Bundesregierung aufführt“.

Rente: Noch immer ist im Konflikt mit der „Jungen Gruppe“ der Unionsfraktion keine Lösung in Sicht. Sie droht weiter damit, das von der Regierung beschlossene Gesetz zur Garantie des Rentenniveaus im Bundestag scheitern zu lassen, weil der Entwurf von Ministerin Bärbel Bas (57, SPD) zu teuer sei. Der Vorsitzende der Jungen Union, Johannes Winkel (33), stellt sich gegenüber BILD AM SONNTAG stur, sagt: „Das vorliegende Rentenpaket ist in Wahrheit ein Schuldenpaket. Folgekosten von über 115 Mrd. Euro sind weder generationengerecht, noch finanzierbar“. Doch auch die SPD bleibt hart. Kanzler Merz hatte zwar angekündigt, den Zoff zur Chefsache zu machen. Nach BILD-Informationen setzt er aber auch darauf, dass Unionsfraktionsfraktionschef Jens Spahn (45) hilft, die Rebellen im Schach zu halten. Ausgang: offen.

Mehr zum Thema

Bürgergeld: In der Union herrscht herbe Enttäuschung darüber, dass beim Bürgergeld, wo laut Kanzler Merz ein „zweistelliger Milliardenbetrag“ einzusparen sei, jetzt nach Berechnungen von SPD-Ministerin Bas nur kümmerliche 86 Mio. Euro weniger ausgegeben werden sollen. Der rheinland-pfälzische SPD-Regent Alexander Schweitzer (52) kontert in BILD: „Es ist nicht die Aufgabe der Sozialdemokratie, den Menschen zu erklären, warum die CDU im Wahlkampf die Backen so vollgenommen hat, von irgendwelchen Mondsummen gesprochen hat, die man vermeintlich einsparen kann.“

► Nun gerät auch noch der groß angekündigte Bürokratieabbau in Gefahr. Die bislang von den Ministerien eingereichten Vorschläge haben gerade mal das Volumen von 300 Mio. Euro. Erhofft wurde: ein Milliardenbetrag (BILD berichtete).

Sieht keinen erbitterten Streit: Kanzleramtsminister Thorsten Frei (52, CDU)

Sieht keinen erbitterten Streit: Kanzleramtsminister Thorsten Frei (52, CDU)

Foto: IMAGO/Bernd Elmenthaler

UND JETZT? Kanzleramtsminister Thorsten Frei (CDU) sagt BILD AM SONNTAG zu den Streitfeldern der Koalition: „Ruhig Blut. Nicht jede Debatte ist ein erbitterter Streit. Angesichts der enormen Dimensionen, über die wir hier zu sprechen und zu entscheiden haben, halte ich intensive Verhandlungen für zwingend notwendig. Entscheidend ist, dass am Ende eine gute Lösung steht.“

Klingt wie ein Appell an alle Koalitionäre, sich am Riemen zu reißen.