Die Pippi Langstrumpf der Generation Z begeistert in der ausverkauften Schleyerhalle. Wie Nina Chuba die Arena in einen Safe Space verwandelte.
Mit einem heftigen Donnergrummeln startet das dreiminütige Intro. Als Nina Chuba dann aus den Katakomben auf den Bühnensteg tritt, brandet Jubel auf. „Wenn das Liebe ist“ singt die Lara Croft der Popmusik, die in schwarzen Boots und Minirock auf der Bildfläche erscheint. Konfettikanonen lassen weiße Schnipsel auf die Köpfe der Fans regnen, und man fragt sich, was in den folgenden knapp hundert Minuten vor den mehr als 12.000 Zuschauern in diesem „Safe Space“, zu dem die Schleyerhalle an diesem Abend wird, noch geschehen wird.
Erkennungszeichen Space Bun
Auch wenn man es nicht wüsste, wer hier in Bad Cannstatt auftritt, kann man die Interpretin schon an den Frisuren ihrer Fans erraten. Viele Mädchen haben sich aufwendig frisiert: kleine Dutts (Buns), feine Strähnen (Baby Braids), Ringe und Perlen im Haar oder dicke Zöpfe, durch Haargummis in Abschnitte unterteilt (Bubble Braids).
Die Hallentour von Nina Chuba ist seit Monaten ausverkauft. Für viele der sehr jungen Fans dürfte es der erste Konzertbesuch sein, und die Aufregung ist spürbar.
Nina Chuba in Erfurt. Foto: Bodo Schackow/dpa
Heimspiel für die Vorgruppe
Majan aus Schorndorf hat das Vergnügen, die Fans auf den Abend einzustimmen. Er freut sich, dass seine Mama heute da ist. Und er macht seinen Job gut: „Ihr müsst richtig Gas geben, dass alle sehen, dass Stuttgart die beste Stadt ist“, spornt er die Fans an.
Während einer kurzen Pause macht die „Hugs or Kiss-Cam“ Schwenks über das Publikum, und man wartet auf einen unangenehmen Coldplay-Moment, doch die meisten küssen und umarmen sich und viel Applaus bekommt ein Mädchen, das ein großes „Nina Chuba I love you“-Schild in die Höhe hält. Und ja: auf Nina Chuba können sich verdammt viele einigen.
Man kann lange darüber lamentieren, dass früher alles besser war, als CDs verkauft wurden, Charts noch Relevanz hatten und Social Media nicht alles war. Man kann es aber auch mal einfach akzeptieren und feiern, dass eine junge Frau wie Nina Chuba einer ganz großen Menge, an Mädchen, Jungs und alle, die sich angesprochen fühlen, einen Halt mit ihren Songs bietet.
Nina Chuba ist ein Popstar, vor allem aber eine nahbare Künstlerin, die ihre Fans quasi an die Hand nimmt. „Kennt ihr diesen Song?“ „Hallo Stuttgart seid ihr gut drauf“, „Ihr da hinten, ich sehe euch gar nicht.“ Sie beherrscht das Dirigieren der großen Masse perfekt. Und ihre Songs passen gut in diesen Zirkus, der sich Popmusik nennt: Ein Stomper ist „Ich will heute nicht mehr gehen“, bei der auch ihre Bläserinnen zum Einsatz kommen. Die divers besetzte Band ist eine Wohltat, besonders für diejenigen, die in den Nullerjahren viel Zeit auf der Pressetribüne der Schleyerhalle verbracht haben. Chuba ist aber nicht nur eine perfekte Projektionsfläche, sondern vor allem eine sehr gute Künstlerin.
Und wenn Nina Chuba in „Wildberry Lillet“ sprechsingt, dann erkennt man eben auch, ihr großes Talent. Dass sie vermutlich durch diesen Kapitalismus-Hit aus dem Sommer 2022 all die besungenen Wünsche längst erfüllen kann. Es sei ihr gegönnt.
Alles scheint so leicht bei dieser Show, die vor allem auch sehr viel Arbeit sein muss. Nina Chuba hat Tänzerinnen dabei, die Band ist gut eingespielt, von der cleanen weißen Bühne geht ein Steg in den Raum, es gibt Konfettis und Pyrotechnik – und jede Menge persönlicher Ansagen.
„Weniger Handys, mehr im Moment sein“
„Ich stehe hier, weil ich manchmal mutig war. Wenn es hier Mädchen oder andere Menschen gibt, die sich nicht trauen, möchte ich euch auffordern, mutig zu sein“, erklärt Chuba vor dem Song „Mama shoot“, einem Song über Empowerment. Und weil sie ja weiß, wie Entertainment in den großen Hallen funktioniert, lässt die eine Hälfte der Fans und dann eben alle im Rund den Refrain singen. Und sie appelliert ans Publikum: „Weniger am Handy, mehr im Moment zu sein“.
Und sie singt direkt aus dem Leben, aus ihren „verrückten Zwanzigern“, in denen alles eine Krise sei. In „Drei Uhr nachts“ erzählt sie davon, wie Freundschaften auseinander gehen, von denen man dachte, dass sie ein Leben lang halten werden. Und wohl jeder weiß, wovon sie singt. Auch die Mütter, die ihre Grundschulkinder und Teenagerinnen begleiten.
Nina Chuba Songs sind immer auch Poesiealben-Einträge der Jetztzeit. In „Unsicher“ heißt es: „Ich bin noch nicht so gut darin, ich leb gerade zum ersten Mal“. Ein Motto, das die Generation Z direkt anspricht, mit all ihren Wünschen und Widersprüchen, zwischen Selbstzweifeln und Selbstbewusstsein.
Zu „ILMILMN“ fährt sie auf einem Podest in die Höhe, die Handylichter werden zu einem Glitzermeer und Nina Chuba zeigt, dass sie auch wirklich gut singen kann.
„Wow ihr seid so viele Menschen“, sagt sie und ist sichtlich gerührt. Show oder nicht? Sei’s drum. Neu an dieser Größenordnung von Show ist: Es gibt keine Pausen für zahlreiche Kostümwechsel. Ihre Visagistin kommt sogar auf die Bühne, um ihr Make-up aufzufrischen, was Chuba gekonnt in einen Show-Moment verwandelt.
Auch „Rage Girl“ wird zum Gemeinschaftsgefühlshit, bei dem alle Fans zu dem Empowerment-Song ihren Mittelfinger zeigen. Hier lässt sie ihrer Wut freien Lauf, der Wut auf Männer und das Patriarchat. Und natürlich möchte sie alle Mädchen hören: „Seid ihr manchmal auch so wütend wie ich?“
Nina Chuba ist die Pippi Langstrumpf der Generation Z, sie macht sich die Popwelt, wie sie ihr gefällt. Wie gut, dass das wiederum so vielen Menschen gefällt.
An alle Eltern, die den Nachwuchs enttäuschen mussten, weil sie keine Karten mehr bekommen haben: Nina Chuba tritt 2026 beim Stuttgarter Kessel-Festival auf.