Rückenschmerzen bei Jugendlichen nehmen zu. Wann Eltern hellhörig werden sollten und welche Maßnahmen helfen, erklärt der Stuttgarter Kinderorthopäde Thomas Wirth.
Immer mehr Jugendliche klagen heute über Rückenschmerzen. Oft haben diese keine klare körperliche Ursache und sind eine Folge des von wachsendem Medienkonsum geprägten Alltag dieser Altersgruppe. Mädchen sind nach verschiedenen Studien davon stärker betroffen als Jungs.
„Der Einfluss der Digitalisierung und der Social-Media-Kultur verlagert den Lebensmittelpunkt aufs Sofa“, stellt Thomas Wirth zum veränderten Freizeitverhalten von Jugendlichen fest. Zwar seien Rückenschmerzen in dieser noch im Wachstum befindlichen Altersgruppe „nicht so selten“. Dennoch ist der merkliche Anstieg auffällig. „Die Schmerzhäufigkeit im Wachstumsalter nimmt zu“, sagt Thomas Wirth.
Volkskrankheit oder Modeerscheinung?
Wirth war bis im Frühjahr zwei Jahrzehnte lang Ärztlicher Direktor der Kinderorthopädie im Olgäle des Stuttgarter Klinikums war. Seit Juli ist der 66-Jährige beim Ausbau der Kinderorthopädie im Universitätsklinikum Tübingen tätig. Auf dem Ende Oktober in Berlin stattfindenden Kongress der Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) hält Wirth den Vortrag „Kreuz- und Hüftschmerzen beim Kind: Volkskrankheit oder Modeerscheinung?“
Der Mediziner hat sich dafür verschiedene Studien angeschaut. Dabei zeigt sich: Betroffen von wachsenden Rückenschmerzen sind vor allem die 14- bis 17-Jährigen. Während bei Kindern unter zehn Jahren der Anteil mit Schmerzproblemen im niedrigen einstelligen Bereich liegt und nur bei den 11- bis 13-Jährigen mehr als zehn Prozent erreicht, steigt die Schmerzhäufigkeit bei Jugendlichen stark an.
Laut der sogenannten KiGGS-Studie, die bundesweit repräsentative Gesundheitsdaten für Kinder und Jugendliche erfasst, klagten im Jahr 2007 bei den 14 bis 17 Jahre alten Mädchen schon 33 Prozent über Rückenschmerzen vor allem im Lendenbereich, bei den Jungs waren es 21 Prozent. Diese Anteile stiegen bis 2019 bei den Mädchen auf 36 Prozent und bei den Jungs auf 24 Prozent. Laut der DGOU berichten in manchen Studien sogar „bis zu 45 Prozent der Jugendlichen“ über Rückenbeschwerden dieser Art.
Dabei handelt es sich zu einem Großteil um unspezifische Rückenschmerzen, das zeigt die Auswertung von ärztlichen Diagnosen. Diese liegen zahlenmäßig deutlich über Rückenproblemen, die etwa von einem Rundrücken oder einer Sklerose, also einer häufig vor allem seitlichen Verkrümmung der Wirbelsäule, herrühren.
Als „Faktoren für dieses höhere Schmerzrisiko“ nennen Studien aus Spanien und Portugal das spezifische Alter, das Geschlecht, das Körpergewicht sowie die Smartphone- und Computernutzung, erklärt Kinderorthopäde Wirth. Dieser Entwicklung korrespondieren denn auch die Zahlen zur Mediennutzung von Jugendlichen. So zeigt eine Studie von 2024 zur täglichen Mediennutzung von Kindern, dass diese bei den 12- bis 13-Jährigen (in dieser Untersuchung die älteste von vier Altersgruppen) am höchsten ist. Zählt man etwa die Nutzung verschiedener Internetangebote, die Nutzung von Smartphone und Streamingdiensten zusammen, kommt man auf fast sechs Stunden am Tag.
Die Jugendstudie des Landes zu Freizeitaktivitäten nach Geschlecht aus dem Jahr 2024 erklärt vielleicht sogar den Unterschied in der Häufigkeit von Rückenschmerzen bei Jungen und Mädchen. So liegen die Jungs etwa bei der Nutzung von Internet und Social Media zwar etwas vorn (Jungs 69 Prozent, Mädchen 65 Prozent), vor allem beim Gaming (Jungs 64 Prozent, Mädchen 10 Prozent) noch viel mehr. Dafür schauen die Mädchen mehr Filme und Serien (Mädchen 40 Prozent, Jungs 28 Prozent) und hören mehr Musik (Mädchen 64 Prozent, Jungs 44 Prozent). Die Jungs, so legt die Untersuchung nahe, machen aber deutlich mehr Sport im Verein (Jungs 47 Prozent, Mädchen 33 Prozent) und auch außerhalb von Vereinen (Jungs 28 Prozent, Mädchen 14 Prozent). Auch wenn Thomas Wirth die Datengrundlage für eine tragfähige Hypothese noch nicht für ausreichend hält, will der doch nicht ausschließen, dass der Grund für seltenere Rückenschmerzen von Jungen sein könnte, dass die „mehr Sport machen“ als die Mädchen.
Das Rezept, wie Jugendliche und eben auch die Mädchen dem vorbeugen können, ist denn auch denkbar einfach: mehr Bewegung, mehr sportliche Aktivitäten. „Man muss in Bewegung bleiben – Ausdauersport hilft“, sagt der Mediziner, „am besten mehrmals die Woche“. Und zwar Ausdauersport wie Schwimmen, Laufen, Fahrradfahren oder die verschiedenen Ballsportarten. „Optimal ist Klettern“, betont der Kinderorthopäde. „Da braucht man jeden einzelnen Muskel, das ist ideal, um sich fit zu halten.“