DruckenTeilen
Zwischen uns sind Gräber. Hinten Tabea Buser als Antigone. © Maximilian Borchardt
Aber das muss nicht so bleiben. Der Georgier Mikheil Charkviani mit einer eindrucksvollen „Antigone“ in Wiesbaden.
Wie entsteht Widerstand? Für den georgischen Regisseur Mikheil Charkviani ist die Gegenwehr gegen eine zunehmend autokratische Politik in seiner Heimat existenzielle Realität geworden. Erstmals inszeniert er jetzt in Deutschland. Unter seiner Regie hatte „Antigone“ am Staatstheater in Wiesbaden Premiere, das Stück folgt weitestgehend der von Roland Schimmelpfennig bearbeiteten Fassung des Sophokles-Stoffes – dieser wiederum eine der ältesten Beschreibungen radikalen Protests.
Charkviani verbindet die Geschichte Antigones mit gegenwärtigen weltweiten Kämpfen gegen Unterdrückung. In schmalen, unter der Bühnendecke angebrachten Videobildern werden Text- und Bildnachrichten eingespielt, die zum Beispiel Wasserwerfer gegen Protestierende zeigen oder in Worten auf Ereignisse von Georgien über den Iran, Sudan, Ägypten, Mexiko und Kuba verweisen. In 82 Ländern beobachte man einen Rückgang demokratischer Rechte, heißt es dort weiter. Die machtvolle, autokratische Geschichte Thebens setzt sich fort bis in die Gegenwart.
Seine Inszenierung hat Charkviani multiperspektivisch angelegt und statt eines Chores nicht nur das Video und einen Fernseher, sondern auch zwölf Klaviere auf die Bühne des Kleinen Hauses gebracht. In drei Viererreihen stehen sie seitlich zum Publikum nebeneinander und geben dem Raum nach hinten hin optische Tiefe. In dieser Ferne wird später Antigone eingesperrt sein und in ihrer Felsengruft bis zum Schluss als hell beleuchtetes, mahnendes Bild sichtbar bleiben.
Vor vier Klavieren sitzen anonym bleibende Personen, in gleichmäßigem Rhythmus wird ein Musikton angeschlagen. Diese minimale Bewegung lässt ahnen, dass hier, in dieser irritierenden Atmosphäre lähmender Erstarrung doch etwas Leben herrscht und Zeit voranschreitet.
Kreons Autorität braucht die Grobheit
In diesem Arrangement hat jeder Einzelne einen festen Platz. Kreon, von Martin Plass mit zunehmend grober Autorität gegeben, steht hier, schnippt monoton in die Luft mit einer Schere, um ihn herum befinden sich – wie in einer Familienaufstellung – Eurydike (Evelyn M. Faber) und Haimon (Abdul Aziz Al Khayat).
Heimlich, so scheint es, haben sich Antigone, kraftvoll auch in schwachen Momenten gegeben von Tabea Buser, und Ismene in einer Art „safe space“ vor die Klaviere gehockt, wispern vorsichtig ins Mikrofon und sprechen über die neu entstandene Lage. Kreon, ihr Onkel, ist unverhofft an die Macht gelangt, erlässt Gebote, die sich gegen traditionelle, göttliche Regeln richten und spaltend wirken.
Noch tastet sich Kreon, gekleidet wie ein Soldat, an seine neue Rolle heran. Er rennt wiederholt vom familiären Platz weg nach vorn, haut impulsiv in die Tasten und gibt der Bevölkerung Thebens Anordnungen. Alle sind so für einen kurzen Moment aufgeschreckt. Doch noch gelingt es Eurydike, Kreon vorsichtig an seinen Platz zurückzuführen, sie reicht ihm die Schere und Kreon schnippt weiter wie bisher.
Auch das leise Zwiegespräch der Schwestern geht weiter, doch schon hier trennen sich ihre Wege. Sandrine Zenners überzeugend feinfühlige Ismene fügt sich den Geboten Kreons. „Wir sind Frauen, wir können gegen die Männer nicht gewinnen“, sagt sie. Antigone hingegen entscheidet sich, Kreons Verbot zu ignorieren und „ohne Angst vor dem Tod“ den eigenen Bruder zu beerdigen.
Alleine Antigone leistet Widerstand, aber total
In diesem frühen Moment der „Machtergreifung“, das zeigt die eindrucksvolle Inszenierung deutlich, ist Antigone die einzige Person, die Widerstand leistet. Die Botin und Wächterin (Trang Dong) folgt gegen ihre Überzeugung den Anweisungen des neuen Herrschers, die Bürger Thebens, Ismene, Kreons Familie – alle wirken gelähmt, schweigen.
Antigone jedoch ist offen aktiv. „Die Götter sind mir heilig!“ Sie fordert ihre Schwester dazu auf, dies allen zu sagen. Es ist der Moment, in dem Kreon auf das Klavier steigt und sich von oben herab als neuer Herrscher präsentiert. Auf der Höhe seines Kopfes erscheinen im Video parallel Hinweise auf Umerziehungslager in China und Gewalt in Nicaragua. Wenig später wird Kreon in quälender Härte sein Urteil gegen Antigone sprechen, während sie wehrlos auf dem Rücken über dem Klavier liegt, Kopf, Füße und Hände baumeln in der Luft.
„There are Graves between us“, hat jemand seitlich an die Wand geschrieben. Die Dramatik dieses traurigen Wissens um die Gräber, die folgen, ist bewegend spürbar.
Staatstheater Wiesbaden, Kleines Haus: 1., 15. November, 19. Dezember.
staatstheater-wiesbaden.de