Münchens Innenstadt soll sich völlig verändern. Mit mehr Grün und weniger Asphalt, mehr Fußgängern und weniger Autos möchte die aktuelle Rathaus-Mehrheit die Stadt nach Vorbildern in Amsterdam, Barcelona und Paris umbauen. Mit dem Konzept „Altstadt für alle“ stellt das Mobilitätsreferat nach jahrelanger Vorbereitung nun den großen Wurf zur Abstimmung. Für Initiativen, die schon lange für den ökologischen Umbau des Zentrums werben, könnte es ein Befreiungsschlag werden – eine Befreiung von der autozentrierten Stadt hin zu einer Stadt, die allen gerecht wird. Kritiker fürchten, dass es mit dem Auto kein Durchkommen mehr gibt und die Stellplätze nicht reichen. Wohl ein kluger Schritt der Verwaltung, nicht mehr von „autofreier Altstadt“ zu sprechen, sondern den Mehrwert für alle ins Zentrum zu stellen.
Aber man hat nicht nur am Namen gefeilt. Wie unsere Stadt innerhalb des Altstadtrings in Zukunft aussehen soll, dazu haben Grünplaner:innen, Stadtsoziolog:innen und Architekt:innen in den vergangenen Jahren viele Studien gemacht und mit verschiedenen Interessensgruppen in Workshops geschärft. Nun folgen die letzten Schritte auf dem Weg durch die Institutionen über den Bezirksausschuss in den Stadtrat.
Wandel mit einer Wirksamkeit wie zuletzt 1972
Der Plan wird Münchens Innenstadt wohl so stark verändern, wie zuletzt die Olympischen Spiele von 1972. Höchste Zeit also, sich mal genauer anzusehen, mit welchen Lösungen München auf Verkehrswende, Klimaanpassung und Wachstumsdruck reagieren möchte.
Ob zum Einkaufen und Flanieren oder zum Arbeiten und Wohnen – in der Altstadt sind täglich über 400.000 Menschen unterwegs. Zuhause sind hier nur rund 8.700 Menschen. Im Herzen Münchens treffen dabei ganz unterschiedliche Lebensrealitäten und Bedürfnisse aufeinander. Um diesen unterschedlichen Ansprüchen gerecht zu werden, gibt es nun ein neues Innenstadt-Konzept, die „Altstadt für alle“. Ziel ist es, das Viertel in den kommenden Jahren klimafreundlicher, lebenswerter und innovativer zu gestalten – und zwar für alle, die es nutzen.
Geplant wurde das Projekt federführend vom Mobilitätsreferat der Stadt München in enger Zusammenarbeit mit Planungs- und Baureferat und den Bürger:innen. Noch in diesem Jahr, auf alle Fälle vor der Kommunalwahl, soll der Stadtrat über den Grundsatzbeschluss abstimmen.
Mehr Raum zum Leben – mitten in der Stadt
Wer sich in der Altstadt bewegt, steht häufig vor zugeparkten Gehwegen und wird auf seinem Weg von viel Asphalt begleitet –– Grünflächen oder gar Bäume sind kaum zu finden. Aus diversen Umfragen und Bürger:innenbeteiligungen wissen die Planer:innen: Münchner:innen wünschen sich mehr gemütliche Orte, an denen sie verweilen, aufeinandertreffen und durchatmen können. Gerade weil sowohl Wohnraum, als auch grüne Rückzugsorte in München knapp sind, soll der öffentliche Raum in Zukunft als eine Art „erweitertes Wohnzimmer“ dienen.
Konkret bedeutet das: Schon vorhandene Grünflächen sollen aufgewertet werden. Dort, wo heute viel Asphalt ist, können bald bepflanzte Aufenthaltsorte entstehen. Parallel dazu soll die Isar ein gefühltes Stück näher an die Altstadt rücken, indem die Anbindung mit dem öffentlichen Nahverkehr verbessert und ausgebaut wird. Ein neuer Stadtgrabenbach gehört ebenfalls zur sogenannten „blauen Infrastruktur“, die Wasser als gestalterisches Element ins Stadtbild integrieren möchte.
Zeitgleich soll der Autoverkehr merklich reduziert werden. Das würde nicht nur eine bessere Luftqualität und mehr Sicherheit ermöglichen, sondern durch den Wegfall von Parkplätzen auch neu entstehende Freiräume. Geplant wird mit der Umgestaltung von ungefähr 600 Parkplätzen, das sind 4% aller Parkplätze in der Altstadt – aber immerhin mehr als 30% der an der derzeit im öffentlichen Raum verfügbaren Stellplätze. Die freien Flächen sollen vielfältig und im Sinne der Bürger:innen genutzt werden können. Gewünscht sind hier zum Beispiel Sitzmöglichkeiten, schattige Plätze im Sommer oder Spielangebote für Kinder – Orte für ein Miteinander. Ein Aspekt bleibt im Konzept jedoch offen: Maßnahmen zur inklusiveren Gestaltung des öffentlichen Raums für obdachlose Menschen werden bislang nicht genannt.
Mobilität: aber jetzt für alle
Bei dem Projekt geht es aber nicht bloß um das In-der-Altstadt-sein, sondern auch darum, sich dort gut fortbewegen zu können. Eine „Altstadt für alle“ meint schließlich auch: Erreichbarkeit für alle. Die neuesten Befragungen der Münchner:innen haben gezeigt, dass der Anteil der Fuß- und Radverkehrs weiter stark zunimmt. Der Anteil der Autofahrten nimmt dagegen stetig ab. Im Rahmen der Studie „Mobilität in Städte“ wurden 2023 mehr als 40 000 Menschen von der Technischen Universität Dresden zu ihrem Mobilitätsverhalten telefonisch befragt. Das Ergebnis zeigt: Seit 2017 ist die Zahl der Wege, die zu Fuß zurückgelegt werden, um neun Prozent gestiegen – inzwischen wird jeder dritte Weg zu Fuß zurückgelegt. Vielleicht eine Folge der Corona-Zeit, als viele erkannten, wie schnell man in München zu Fuß ans Ziel kommt. Gleichzeitig ist die Zahl der Autofahrten um zehn Prozent gesunken und liegt jetzt nur noch bei 24%. Die Zahl der Radfahrten nähert sich weiter dem Auto an und liegt nun bereits bei 21%. Das sind wohlgemerkt Zahlen für ganz München. Expert:innen gehen davon aus, dass diese Zahlen in der Altstadt noch viel drastischer zu Gunsten von Rad- und Fußverkehr ausfallen.
Das Konzept „Altstadt für alle“ reagiert auf diesen Trend und will die Fortbewegung ohne Auto sicherer, praktischer und so barrierefrei wie möglich gestalten. Die Gehwege sollen breiter werden und weniger Barrieren haben. Dadurch wird nicht nur die Fortbewegung zu Fuß erleichtert, sondern auch die mit Rollstuhl oder Rollator. Im Sinne einer inklusiveren Mobilität sind außerdem spezielle Transportangebote wie Mikrobusse und E-Rikschas geplant. So soll die Altstadt auch für ältere Menschen und Personen mit Mobilitätseinschränkungen feingliedrig erschlossen werden.
Wer mit dem Fahrrad unterwegs ist, kann ebenfalls von der neuen Altstadt profitieren: Die Straßen sollen für den Radverkehr praktischer und komfortabler gestaltet werden, dazu gehören auch Fahrradparkhäuser. Sicherer wird der Radverkehr vor allem durch den eingeschränkten Autoverkehr. Alle, die nicht Fahrrad fahren wollen oder können, dürfen sich über Aufwertung und Ausbau des ÖPNV-Netzes freuen. Nicht nur soll das Erscheinungsbild der Haltestellen verändert werden, es sind auch neue Angebote wie Shuttle-Busse oder On-Demand-Services – auch mit E-Moblität – in Vorbereitung.
All das gilt als Einladung, das Auto einfach mal stehenzulassen. Wer jedoch auf das Autofahren angewiesen ist, findet weiterhin seinen Weg. Wichtige Straßen bleiben für alle befahrbar. Durch ein Schleifensystem und organisiertes Parken in Parkhäusern soll dabei unnötige Fahrerei vermieden werden. In sogenannten „Altstadtstraßen“, die nur mit Berechtigung befahrbar sind, ist eine 3-Minuten-Halten-Regelung angedacht. Grund dafür ist, dass die Altstadt ein Gesundheitsschwerpunkt ist und bleibt, somit müssen Arztpraxen immer erreichbar bleiben. Für die Anwohner:innen gelten im Verkehr Sonderregelungen, beispielsweise dürfen sie auf „Altstadtstraßen“ immer Auto fahren. Und die meisten der verbliebenen Stellplätze im öffentlichen Raum sollen für die Bewohner:innen reserviert sein.
München will kein Hotspot sein
Die geplanten Maßnahmen sind auf die Herausforderungen der Klimanpassung und des Klimaschutzes zugeschnitten. Das Konzept „Altstadt für alle“ will genau hier ansetzen und eine signifikante Reduzierung der Umweltbelastung erreichen. Besonders dringlich sind diese Maßnahmen, da die Temperaturen in den Sommermonaten insbesondere in der stark versiegelten Altstadt von immer mehr Bewohner:innen als schwer erträglich empfunden werden.
Aks wichtiger Hebel gilt eine nachhaltigere Fortbewegung: Weniger Autos und dafür mehr Raum für klimafreundliche Alternativen und Möglichkeiten zur Entsiegelung. Auch gesundheitsschädliche Umweltbelastungen wie Feinstaub sollen verringert werden. Gleichzeitig möchte man möglichst viele Bäume pflanzen, um das Mikroklima zu verbessern. Sie sollen Schatten an heißen Sommertagen bieten, um die durch den Klimawandel entstehenden Hitzebelastungen zu mildern. 150 „technisch machbare Orte“ hat das Baureferat ausfindig gemacht.
Auch die geplante „blaue Infrastruktur“ ist nicht nur zum Ansehen da, sondern hat weitere Funktionen: Der wieder freizulegende Stadtbach im Herzog-Wilhelm-Park soll das Stadtklima positiv beeinflussen. Auch kleine Brunnen können zur Kühlung der Stadt beitragen – ein echter Gewinn für die Hitzeinsel, die sich jeden Sommer mitten in München bildet. Zudem werden Wasserelemente mit Regenwasserrückhaltevermögen gebraucht, um Starkregen zu bewältigen.
Auch die Läden sollen profitieren
Die Altstadt ist nicht nur ein Ort zum Leben und Zeitverbringen, sie ist auch ein wichtiger Wirtschaftsstandort. Gastronomie, Einzelhandel, Kulturangebote und Tourismus bringen der Stadt jährlich erhebliche Summen ein. Um diese Bereiche zu stärken und zukunftsfähig zu gestalten, werden sie in der Planung des Konzepts „Altstadt für alle“ ebenfalls berücksichtigt.
Eine schöne und ruhige Altstadt lädt zum Verweilen ein, und wer bleibt, der gibt auch mehr Geld aus. Die bessere Erreichbarkeit mit allen Verkehrsmitteln soll der Wirtschaft zugute kommen. Der Lieferverkehr wird nicht nur beibehalten, sondern in Zukunft noch effizienter organisiert – zum Beispiel durch optimierte Zufahrtszeiten und klar definierte Ladezonen, verspricht das Mobilitätsreferat.
Kritik kommt von den Autofahrenden
Die Stadt betont, dass sie bei dem Konzept eng mit Bürger:innen zusammengearbeitet und verschiedene Workshops angeboten hat. Viele haben das womöglich schon lange wieder vergessen, angesichts der langen Zeiträume. Zum Auftakt-Workshop wurde bereits vor zwei Jahren im Oktober 2023 eingeladen. Nach einem zweiten öffentlichen Workshop im Juli 2024 wurde die Öffentlichkeit nochmals im Oktober 2024 beteiligt. In weiten Teilen stieß der Entwurf dabei auf Zustimmung, doch seit Beginn sind auch kritische Stimmen immer wieder laut geworden.
Die wegfallenden Parkplätze sind ein beliebter Kritikpunkt. Insbesondere Anwohner befürchten, in Zukunft auf kostspielige Parkhäuser ausweichen zu müssen. Auch den eingeschränkten Autoverkehr sehen manche skeptisch: Bleibt die Innenstadt tatsächlich gut erreichbar? Gerade Gewerbeinhaber sehen ein Problem darin, wenn die Anreise komplizierter wird. Sie sorgen sich darum, dass ihnen die Kunden ausbleiben. Unklar sind zum Teil noch immer die spezifischen Umsetzungsdetails: Welche Straßen werden in Altstadtstraßen umgewandelt? Wie teuer wird das Projekt? Und natürlich: Wie lange werden die Umbaumaßnahmen anhalten?
Und jetzt?
Derzeit befindet sich das Konzept noch in der politischen Entscheidungsphase auf Ebene der Bezirksausschüsse – im Internet ist der Entwurf bereits abrufbar. Der Stadtrat soll Anfang 2026 über die Umsetzung abstimmen. Anschließend kann die schrittweise Realisierung des Projekts beginnen. In diesem Sinne soll zuerst das Graggenauer Viertel (siehe Aufmacherfoto) und das östliche Angerviertel umgestaltet werden – erste bauliche Maßnahmen könnten 2026 beginnen.