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Zahlen, bitte! Zwei Retromessen mit viel Computerkultur und zusammen 5800 Gästen
Retro-Computing ist in: Das zeigte im Oktober das Retro Computer Festival (RCF) am 12. und 13. Oktober im Heinz Nixdorf Museumsforum (HNF) mit 3700 Besuchern. Den nächsten Beweis trat eine Woche später die Amiga40 in der NewBox in Mönchengladbach mit über 2100 zahlenden Besuchern an. An zwei Wochenenden konnten sich also mehr als 5800 Besucher in den beiden größten Veranstaltungen dieser Art über die Retroszene informieren.
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Während das RCF sich allgemein ans Retro-Computing aller Systeme richtete, wurde auf der Amiga40 – wie der Name verrät – der 40. Geburtstag des Commodore Amiga gefeiert. Beide Veranstaltung verbindet, dass sie sich der Erhaltung alter Computerkultur verschrieben haben und Menschen fürs Retro-Gaming begeistern wollen.
In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.
Und das ist auch notwendig: Laut einer Studie von 2023 sind 87 % der alten Spiele nicht mehr erhältlich und daher vom Vergessen bedroht. Neben der Verfügbarkeit von Computerspielen sind auch die Retro-Computer selbst in Gefahr, irgendwann nicht mehr präsent zu sein.
Eine aktive Retro-Szene stemmt sich dagegen und hält die alten Computer am Leben. Und es ist nicht nur Nostalgie. Eine kleine Analyse des Retro-Computings anhand der beiden Events.
Retro-Feeling mit verschiedenen Systemen
Auf dem Retro Computer Festival (gemeinsam veranstaltet vom Dortmunder Retro Computer Treffen (DoReCo) und Heinz Nixdorf Museumsforum (dem größten Computermuseum der Welt) wurden Retrocomputer und IT-Technik aller Epochen ausgestellt. Auch in der vierten Auflage galt: wenn die Rechner noch funktionsfähig und an einem Monitor angeschlossen waren, durfte man sie in der Regel auch nutzen. Neben vielen Amigas und C64 fanden auch einige Kuriositäten und Sammlerstücke den Weg in die Ausstellung. In der Veranstaltungen mit freiem Eintritt waren vom Kleinkind bis zum Rentner alle Generationen vor Ort.
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Im größten Computermuseum der Welt, dem Heinz Nixdorf Museumsforum in Paderborn fand die vierte Auflage des Retro Computer Festivals statt
Henry Westphal von der TU-Berlin zeigte zwei besondere Ausstellungsstücke: Ein Taschenrechner mit dem Namen Space Age 3, der von den Informatik-Studenten selbst gebaut wurde. Dabei lernten sie von Grund auf den Aufbau eines solchen Systems und am Objekt lässt sich nachvollziehen, wie es funktioniert.
Ein weiteres System war der Demonstrator für den Röhren-Rechner SPACE AGE 3-V, der mit BAV21-Dioden und E92CC-Röhren arbeitet und ebenfalls einfache Berechnungen durchführen kann. Durch den klassischen Aufbau ließ sich gut nachvollziehen, wie die Technik früher aufgebaut war. Es lag auch viel Spannung an, weshalb die Rückseite beider Geräte weitläufig durch Plexiglas gegen Berührungen gesichert wurde.
Die nächste Rarität war der HP 85 mit Stiftplotter HP 7470A, mit dem technische Zeichnungen zu Papier gebracht werden konnten, wie es mit einer 3D-Zeichnung des Space Shuttles demonstriert wurde. DDR-Technik wurde den Besuchern mit dem „TV-Spiel“ näher gebracht: Der Pong-Klon war die einzige TV-Konsole, die in der DDR entwickelt wurde. Umringt von vielen ausgestellten Ostblock-Heimcomputern, die oftmals nur zur Ausstellung standen, ließ sie sich auch spielen. Eine Reihe Computer des DDR-Hersteller Robotron war ebenfalls einsatzbereit vor Ort.
Terminals und Selbstbau-Computer im Einsatz
Selbst das klassische Video-Display-Terminal LSI ADM (wurde in Werbungen als Akronym für „American Dream Machine“ bezeichnet) mit 12-Zoll-Bildschirm und 80-Zeichen-Darstellung konnte wie damals genutzt werden. Den Charme der 1970er versprühte zudem der Imsai 8080-Nachbau, der dem gleichnamigen Bausatz-Computer von 1975 nachempfunden wurde. Der Original-Imsai verfügte über einen Intel-8080-Prozessor und war vollständig kompatibel zum berühmten MITS Altai 8800. Ein Imsai 8080 kam im Kultfilm „Wargames“ zum Einsatz.
Auf der Amiga40 waren 55 Aussteller aus verschiedenen Ländern vor Ort. Was vor 10 Jahren als eintägige Amiga-Party im Foyer des Landestheaters Neuss begann, wuchs in der 6. Ausgabe zum größten Amiga-Event weltweit.
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Das große Amiga40-Wochenende begann auf der Setpatch 2.0-Party am Freitag in der Altstadt in Mönchengladbach.
Von Museen, die ihre Kostbarkeiten der Amiga-Geschichte zeigten, über Spieleentwickler, die ihre Projekte oder fertige Spiele vorstellten bis zu Buchverlagen, Fanzines und Hardware-Herstellern fand der Amiga-User alles, was das Herz begehrt. Aber auch wer Originalhardware suchte, wurde fündig: Wer einen größeren Geldbeutel dabei hatte, konnte sogar einen Amiga mitnehmen, die Schnäppchenjäger durchstöberten diverse Spieletische und Joystick-Grabbelkisten.
Lorraine: Mutter aller Amigas
Die größte Rarität war ein Prototyp: der Lorraine-Computer. Was für Unkundige aussah wie ein Makerprojekt aus einigen Platinen nebst Tastatur im Selbstbau-Holzgehäuse, sorgte bei Kennern für feuchte Finger: Der Amiga-Prototyp versetzte mit seinen Grafik- und Soundfähigkeiten die Menschen auf der CES 1984 in Staunen. Die revolutionären Custom-Chips wurden dabei noch auf Lochraster-Platinen und TTL-Bausteinen nachgebildet. Amiga-Entwickler Dale Luck hatte ihn mitgebracht – Computergeschichte zum Anfassen. Allerdings war Lorraine nicht mehr lauffähig: Die damals schon fragile und fehleranfällige Struktur würde nach so vielen Jahren nicht mehr funktionieren, selbst die Erbauer hätten nach 40 Jahren Schwierigkeiten, ihn wieder flott zu kriegen.
Dieser Rechner gilt als die Keimzelle der Amiga-Reihe. Er war auf der Amiga40 erstmals in Deutschland zu sehen.
(Bild: Markus Will)
Weitere Kuriositäten waren Prototypen wie ein Vorserienmodell des Amiga 1000 oder des Amiga 1500 – ein Amiga 2000 mit serienmäßigen zweitem Laufwerk, der den Namen sichern sollte.
Im Trend liegt es außerdem, historische Geräte mit modernen Erweiterungen auszustatten, um ihnen neue Funktionen oder mehr Geschwindigkeit zu entlocken. So war auf dem RCF zu sehen, wie ein Apple IIc gegen einen Atari 800XL online gegeneinander eine Partie „Fujitzee“ spielten – ein Klon des beliebten Würfelspiels Yahtzee. Möglich macht das die Software Fuji.net, die 8-Bit-Geräten über spezielle Adapter mit Funktionen wie einem Online-Zugang ausstattet
Doom in flott auf dem Commodore 64
Ein besonderer Hingucker war ein Commodore 64, auf dem eine Partie Doom lief – aber so wie man es eher von stärkeren Rechnern kennt. Möglich macht das die RAD-Erweiterung, die mitsamt eines Raspberry Pi 3A+/B+ oder Zero 2 bestimmte Funktionalitäten, wie die Prozessorleistung übernimmt. Doch Vorsicht: Die Hardware muss genau auf den Rechnertakt abgestimmt werden, sonst drohen Schäden. Ein ähnliches Prinzip verfolgt die Amiga-Erweiterung PiStorm: Da wirkt ein Raspberry Pi 3A+ nebst Spezialhardware wie eine Amiga-Turbokarte.
Was man bei beiden Veranstaltungen sah, war der Mix in die Gegenwart: Wer nicht absoluten Wert auf Originalität legte, der stattete seinen Rechner mit einem moderneren Flachbildschirm aus. Das hat neben Vorteilen beim Schleppen auch einen pragmatischen Grund: Es wird immer schwieriger, funktionsfähige Röhrenmonitore für die jahrzehntealten Geräte zu bekommen.
Junger Mann zockt Doom …am C64? Das funktioniert dank der RAD-Erweiterung.
Auf beiden Veranstaltungen sah man auch gemoddete Retro-Computer: Eine besonders schräge Idee war die Wrectrex: Eine kaputte Vectrex, jene Konsole, die 1982 mit Vektorbildschirm veröffentlicht wurde. Sie wurde daher mit einem hochkant gestellten IBM5151-Bildschirm mit defektem Zeilentrafo kombiniert. Heraus kam ein Vectrex, der vielleicht nicht ganz original, aber sehr orignell ist.
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Das große Amiga40-Wochenende begann auf der Setpatch 2.0-Party am Freitag in der Altstadt in Mönchengladbach.
Besucher, die sich keine Retro-Basteleien antun wollen, konnten auch Mini-Ausgaben von Retro-Geräten ausprobieren. Außerdem wurde im Rahmen der Amiga40 das Lieferdatum für den Full-Size-Klon des Amiga 1200 bekannt, der den Namen TheA1200 tragen soll: Er soll im Juni 2026 erscheinen und mit 25 Spielen um die 190 Euro kosten.
Aber auch um alte Leidenschaften vergangener Tage wieder zu wecken, richteten die Veranstalter beider Retroevents eine Reparaturecke ein: Lötprofis schauten sich da alte Hardwareschätzchen an und reparierten sie kostenlos, sofern es ad hoc möglich war. Mit der Reparatur oder mit den Tipps und Tricks wurde bei dem Einen oder Anderen das Retro-Fieber entfacht.
Es ist jeweils nur eine kleine Zusammenfassung der ausgestellten Geräte. Beide Veranstaltungen bewiesen, dass die Retroszene vielfältig aufgestellt ist: Auf beiden ging es nicht nur um das Bewahren und Erinnern an Computerkultur vergangener Tage, die Szene zeigte mit zahlreichen Neuerscheinungen, dass sie quicklebendig ist.
(mawi)
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