Vom Hals abwärts beginnt der eigene Körper zu vibrieren, wird zur Antenne, die die gewaltige Energie der Klangwellen empfängt. Es formen sich Obertöne, die an den Fingerspitzen ziehen, sich auf die Bauchdecke legen, sich ans Brustbein krallen und am Schlüsselbein rütteln. Die zwei Männer in mönchisch schwarzen Kutten heben ihre Gitarren in das infernalische Brausen, bis sie die Frequenz gefunden haben, die sich in der Eigenresonanz des Backstage-Werkes als brutales Dröhnen einer stehenden Welle manifestiert.

Fast eine Stunde dauert bei diesem Konzert des amerikanischen Duos Sunn O))) der erste Akt des Abends. Im Abstand mehrerer Sekunden streichen Greg Anderson und Stephen O’Malley über die Saiten. Eine sich im Zeitlupentempo modifizierende Drone. 103 bis 106 Dezibel zeigt die Smartwatch. Bei einem lauten Popkonzert sind das die Spitzen. Hier ist es mit geringster Modulation das durchgängige Level der Lautstärke. An der Kasse werden Ohrstöpsel ausgegeben, Warnhinweise raten dringend zum Tragen, ein Selbstversuch ohne Schutz lässt einen zwar auch die höheren Frequenzen wahrnehmen, wird aber nach Sekunden beendet.

Eine Vorband wäre hier verloren. Was es gibt, ist eine Art Hörspielinstallation, dessen Grundlage wohl der Mitschnitt eines Live-Konzertes der englischen Black-Metal-Erfinder Venom ist. Zusammengeschnitten und fies verhallt hört man Ansagen der Songs und ihre ersten tonnenschweren Töne. Ein Plattenknistern aus der Gruft. Sunn O))) selber spielen Drone Metal als Unterart des Doom Metal. Wir sind im Genrekeller des Heavy Metal. Manche Türen sollte man hier nicht öffnen. Ende der Neunziger hat O’Malley Artwork und Design für ein Album des verurteilten Mörders und Rassisten Varg Vikernes geliefert, selber aber jede Nähe zu dessen Ideologie bestritten.

Sunn O))) sind die Avantgarde des Metal. Auf Tonträger ist das Sounderfahrung auf der Metaebene, im Konzert physisch, kathartisches Erlebnis, das Emotionen zwischen Angst und Euphorie durchschüttelt. Scott Walker hat mit ihnen sein letztes Album eingespielt, eben sind sie beim Label Sub Pop angekommen, das immer noch alter Seattle-Grunge-Ruhm umweht.

Mittlerweile sind „Sunn O)))“ auf dem bekannten Indielabel Sub Pop gelandet.Mittlerweile sind „Sunn O)))“ auf dem bekannten Indielabel Sub Pop gelandet. (Foto: Gareth Jarvis)

Auf der Bühne: eine Materialschlacht. Equipment türmt sich im Halbkreis wie eine archaische Kultstätte. Zwölf Verstärker-Topteile der Firma Sunn (die der Band den Namen gab), sechs Ampeg-Topteile, 18 Lautsprecherboxen. Neben sechs anderen Mikrofonen mittig ein Paar Royer-Bändchen-Mikros, die Tontechniker selten für den Bühnenbetrieb rausrücken. Hauptdarsteller sind die Gitarren. Wie eine Monstranz heben in der Stille des Endes Anderson und O’Malley ihre Gibson Goldtop und die Travis Bean mit dem Aluminiumhals.

Zweiter Akt, rotes Glosen der sehr spartanischen Light-Show. Diesmal scheint der Sound etwas luftiger, wird die Obertonreihe durchfahren. Vielleicht sind die Sinne auch schon ausgeleiert. Gegen Ende ist’s ein bisschen wie in einer zu langen Messe, wenn der Wein warm und Hostien labbrig werden. Auf dem Weg zur S-Bahn: ein Wummern im Hirn, das auf irre Art versucht, die eineinhalb Stunden gehörten Frequenzen nachzubilden. Es passt zur Luft, die schon nach dem kalten, nassen Nichts des Novembers riecht.