
Brasiliens Regierung geht hart gegen Drogenkartelle vor – auch in den dicht besiedelten Favelas von Rio de Janeiro. Bei dem jüngsten Polizeieinsatz wurden 64 Menschen getötet. Anwohner sprechen von kriegsähnlichen Zuständen.
Gewehrsalven inmitten einer der dicht besiedelsten Regionen von Rio de Janeiro. Der Sound eines Handyvideos lässt erahnen, was die Anwohner der Favelas Complexo de Alemão und Complexo de Penha erleben mussten.
Die Schießereien reißen nicht ab, steht unter den Videos, die von der Community-Plattform Voz da Comunidade veröffentlicht wurden, die Anwohner können nicht zur Arbeit gehen. Auf anderen Videos sind brennende Straßen-Blockaden in den engen Gassen der Favela zu sehen. Rauchsäulen steigen auf.
Mindestens 64 Tote
20 Kilometer entfernt, im Regierungssitz in Laranjeiras gibt Gouverneur Claudio Castro wenige Stunden später eine Pressekonferenz. „Heute fand in Rio de Janeiro die größte Polizei-Operation in der Geschichte statt“, sagt er. „2.500 Sicherheitskräfte sind in den Favela-Komplexen Alemão und Penha im Einsatz, einem Gebiet von neun Millionen Quadrametern, das doppelt so groß ist wie das Viertel Copacabana.“
Es war nicht nur der größte, sondern auch der tödlichste Polizeieinsatz in der Geschichte von Rio de Janeiro. Laut Behördenangaben vom Dienstagabend wurden dabei 64 Menschen getötet, auch vier Polizisten sind unter den Opfern, neun weitere erlitten Schussverletzungen, ebenso wie drei Zivilisten. Al Jazeera berichtete, dass Anwohner über mehr zivile Opfer berichtet haben. Die ARD kann die Zahlen und Aussagen derzeit nicht unabhängig bestätigen.
Behörden sprechen von Einsatz gegen Drogenbanden
Laut den Behörden war der Einsatz Teil einer größeren Operation gegen Drogenhandel und Organisierte Kriminalität – speziell richtete sich die Razzia gegen das Comando Vermelho, das Rote Kommando. Einst eine Gefängnisbande aus Rio de Janeiro, heute ein international operierendes Verbrechersyndikat mit Kontakten zu peruanischen oder kolumbianischen Banden im Amazonasgebiet und einer der wichtigsten Akteure im weltweiten Kokainhandel, auch nach Europa.
Ziel der Operation sei es, die territoriale Ausbreitung des Comando Vermelho zu bekämpfen und kriminelle Anführer aus Rio de Janeiro und anderen Bundesstaaten festzunehmen, teilte Gouverneur Castro auf X mit.
Menschen saßen stundenlang fest
„Es war ein Krieg“, sagt ein Anwohner aus dem Favela-Komplex gegenüber dem TV-Sender Globo. „Ich konnte nicht aus dem Haus gehen“, sagt er. „Ich war verzweifelt.“ Es war mein zweiter Tag auf der neuen Arbeit.“
Die Favelas befinden sich entlang der wichtigsten Zufahrtstraßen in die Stadt, der Avenida Brasil – diese blieb stundenlang gesperrt, der Verkehr in der ganzen Stadt wurde beeinträchtigt, Züge fuhren nicht mehr.
Viele Schulen brachen den Unterricht ab, Arbeitnehmer wurden nach Hause geschickt. Rios Bürgermeister Eduardo Paes erklärte derweil:
Etwa 700 Tote bei Einsätzen in 2024
Rios Bürgermeister Eduardo Paes rechtfertigt das Vorgehen. „Rio de Janeiro kann und wird nicht von kriminellen Gruppen in Geiselhaft genommen werden, die auf den Straßen unserer Stadt Angst verbreiten wollen“, sagt er. „Ich habe alle städtischen Behörden angewiesen, den normalen Betrieb aufrechtzuerhalten und der Bevölkerung natürlich bei Bedarf zu helfen.“
Die Polizei in Rio de Janeiro schreitet immer wieder mit großer Härte in den Favelas von Rio de Janeiro ein, die Kriminelle als Rückzugsorte nutzen. Dabei kommen auch unbeteiligte Bewohner ums Leben. 2024 starben bei Einsätzen der Sicherheitskräfte in Rio de Janeiro etwa 700 Menschen – fast zwei pro Tag.
