Im ZEIT-Podcast „Alles Gesagt?“ hat Bestsellerautor und Ex-Radiomacher Sebastian Fitzek einen schonungslosen Blick hinter die Kulissen des Formatradios gewährt. Der frühere Programm- und Geschäftsleiter mehrerer Privatsender erklärte, warum Radioprogramme seiner Ansicht nach heute so klingen, wie sie klingen – und was das mit der Marktforschung zu tun hat.
Sebastian Fitzek (Screenshot aus YouTube-Video des ZEIT-Live-Podcasts)
Fitzek blickt auf seine Anfänge in den 1990er-Jahren zurück, als Sender wie HUNDERT,6 und 104.6 RTL den Berliner Radiomarkt prägten. Während HUNDERT,6 unter Georg Gafron noch auf Regionalität, Nachrichten und boulevardeske Unterhaltung setzte, habe 104.6 RTL auf strikte Marktforschung gebaut – mit Fragen wie: „Was wollt ihr eigentlich hören?“ Das Ergebnis: „Lieblingshits in der richtigen Reihenfolge, morgens lachen und Bargeld gewinnen.“
Diese einfache Formel habe sich als überaus erfolgreich erwiesen. „Ein halbes Jahr später war 104.6 RTL Nummer eins – und HUNDERT,6 gibt’s heute nicht mehr“, so Fitzek. Der Sender habe mit Claims wie „Die größten Hits der 70er, 80er, 90er – Berlins lustigste Morgenshow und die größten Gewinnspiele der Stadt“ die neue Radiorealität definiert.
Aus diesen simplen Erkenntnissen sei dann die Blaupause vieler deutscher Privatsender entstanden. Jeder Song sei „zu Tode getestet“ worden, um exakt zu wissen, wann er „verbrannt“ sei – also zu oft gelaufen. Die Konsequenz: Radioprogramme seien zunehmend austauschbar geworden.
Auch Promotions wie bei RS2 seien letztlich aus der Logik der Marktforschung entstanden. Fitzek erinnert sich: „Man sollte bei einem Anruf sofort sagen: ‘Hallo, ich höre RS2 – und jetzt her mit der Kohle.’“ Wer das tat, konnte 50.000 Euro gewinnen. Die Aktion zielte allein darauf ab, den Sendernamen im Bewusstsein der Hörer zu verankern – damit sie ihn bei der nächsten MA-Befragung nennen würden.
Die Mechanik dahinter beschreibt Fitzek als absurde Konsequenz eines fehlerhaften Systems: „Radio wird für die wenigen gemacht, die angerufen werden, und nicht für die Mehrheit, die hört.“ Die Reichweitenmessung der Medienanalyse (MA) sei nämlich keine Echtzeiterfassung, sondern basiere auf Erinnerungsabfragen am Telefon. „Deswegen beballert man die Leute draußen mit Plakaten, damit sie dich sehen und am Telefon sagen, dass sie dich hören.“
Auch technische Messverfahren hätten die Situation nicht immer verbessert: In der Schweiz etwa seien Armbanduhren eingeführt worden, die den Radiokonsum automatisch registrieren. „Plötzlich hatte man 80 Prozent weniger Hörer – vor allem Frauen, weil sie die Uhren gar nicht tragen wollten.“
Als Berater habe ihn das System schließlich ermüdet: „Es stimmt nicht, dass ich vorher weiß, was Menschen wollen und ich muss es ihnen nur geben.“ Heute verzichte Fitzek bewusst auf Marktforschung – auch als Autor. Seine Lehre aus der Radiowelt: Erfolg lasse sich nicht algorithmisch planen.
Video: Sebastian Fitzek im ZEIT-Podcast „Alles Gesagt?“
„YouTube video player“ von YouTube anzeigen
Quelle: Podcast „Alles Gesagt?“, DIE ZEIT, Folge mit Sebastian Fitzek, veröffentlicht am 16. Oktober 2025.
Links:
Diskussion auf radioforen.de
Apple Podcasts
YouTube