München trotzt sinnlosem Modernismus mit Traditionen: Am Viktualienmarkt stehen die Barbour-Jacken-Hermès-Gürtel-Träger und ein CSU-Bürgermeister wird mit Kokain erwischt. Ein Spaziergang mit Gedanken zur Stadtbild-, Rechtsruck- und Migrationsdebatte.

Das schönste Stadtbild in Deutschland gibt es in München. Natürlich monieren Sie jetzt zu Recht, was das denn mit der Provinz zu tun haben soll, die dieser Kolumne ihren Namen gibt. Schließlich ist München eine 1,5-Millionen-Einwohner-Stadt – einerseits. Andererseits ist München das größte Dorf der Welt, das auch im Jahr 2025 sinnlosem Modernismus mit Traditionen und Kultur trotzt.

Gerade verbringe ich ein Wochenende hier. Und schon am Samstagvormittag stehen sie am Viktualienmarkt Schlange für die Krustenbratensemmeln beim Vinzenzmurr und die Pralinen bei Elly Seidl. Und natürlich stehen bei Fisch Witte die Barbour-Jacken-Hermès-Gürtel-Träger in ihren Bootsschuhen und prosten mit Rosé-Champagner den Chanel-Kleidchen-Damen mit ihren Birkin Bags zu. Im Verkaufsständer der örtlichen Boulevardzeitung liegt die neue Ausgabe mit der Geschichte über den CSU-Bürgermeister, der beim Feiern mit Kokain von der Polizei erwischt worden ist. Und bei Louis Vuitton decken sich die Vollverschleierten mit heißem Fummel für unten drunter ein. München ist der Beweis, dass das Leben schön ist, solange Brauchtum noch gepflegt wird.

Ich laufe an einem Geschäft für Perserteppiche vorbei und sehe tatsächlich einen handgeknüpften Teppich mit dem Konterfei von Franz Beckenbauer drauf. Hätte ich 10.000 Euro übrig, ich würde ihn sofort kaufen. Weil es nichts Schöneres gibt als einen Franz Beckenbauer auf einem Perserteppich.

Das „Schumann’s“, die schönste Bar der Welt, hat samstags geschlossen. Ich gehe daran vorbei und stelle mir vor, dass Charles Schumann, der selbst zu Kultur und Pop gewordene Maître des Ladens, jetzt bestimmt irgendwo Kartoffeln schält oder Remouladensauce anrührt – oder einfach nur mit einem Negroni in der Sonne sitzt. Ich gehe weiter ins „Tambosi“, da sitzen die Mittelschichtprolls, die gerne reich wären, und bestelle mir einen Negroni.

Reich und gut gelaunt und lustig

Mein Problem ist aber, dass ich noch nie einen Negroni getrunken habe und ihn nur deswegen bestelle, weil ich an Charles Schumann denke. Und an den amerikanischen Koch Anthony Bourdain, der auch immer Negroni getrunken hat. Der Negroni schmeckt furchtbar, was aber nicht am Barkeeper im „Tambosi“ liegt, sondern nur an meinem kindlichen Geschmack. Ich glaube, ich bin einfach nicht gemacht für einen Negroni.

Während ich so durch München spaziere, denke ich, dass alles so einfach sein könnte. Die Stadtbild-, die Rechtsruck- und die Migrationsdebatten, die gäbe es einfach nicht, wenn ganz Deutschland so wie München wäre. Reich und gut gelaunt und lustig. Wie bestellt fährt plötzlich ein Mann mit einer Touristenrikscha an mir vorbei. Der Fahrer, ein stolzer Mann mit vermutlich türkischem Hintergrund, trägt genauso stolz das Engel-Aloisius-Kostüm aus der berühmten Satire „Ein Münchner im Himmel“.

Gott in Frankreich ist ja schön und gut. Aber ein einfacher Mann an einem Wochenende in München ist noch besser.