Egal, ob mit dem Auto, dem Rad oder zu Fuß. Verkehrsteilnehmer, die eine der 850 ampelgesteuerten Kreuzungen in Stuttgart passieren, haben alle eines gemeinsam: Ihre Wartezeit soll so kurz wie möglich sein. Noch besser wäre es, ganz ohne Halt voranzukommen.
Die eierlegende Wollmilchsau gibt es jedoch nicht. Darüber ist sich auch Alexander Gehling im Klaren. Er ist als Sachgebietsleiter beim Tiefbauamt für die Ampelsteuerungen in der Landeshauptstadt mitverantwortlich. „Kompromisse sind zwangsläufig notwendig. Alle Verkehrsteilnehmer haben Ansprüche und wollen das Maximum. Letztendlich ist es schlicht und ergreifend in einer subjektiv optimalen Qualität nicht umsetzbar“, sagt er. Und jeder Knotenpunkt benötige individuelle Lösungen, um einem optimalen Verkehrsablauf nahezukommen.
Verkehrsminister Hermann hakt bei der Stadt nach
Ein gutes Beispiel für solche Kompromisse stellt der Charlottenplatz dar. An Stuttgarts zentralem Knotenpunkt kommt es regelmäßig zu Beschwerden, vor allem von Radfahrern. Selbst der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) hat sich schon nach der dortigen Situation erkundigt. Ein Kritikpunkt: Auf der Hauptradroute 1, die vom Dorotheen-Quartier in den Schlossgarten führt, kann die Bundesstraße 27 nicht auf einmal überquert werden. Je nach Tempo müssen Radler auf der letzten Verkehrsinsel vor dem Park anhalten, Fußgänger in der Regel nicht.
„Eine grüne Welle funktioniert meist nur in eine Richtung gut“, sagt Gehling. Sie sorge aber auch dafür, dass an anderen Stellen Verkehrsteilnehmer länger warten müssen. Gezielt eingesetzt, könne man mit Ampelschaltungen Verkehrsströme steuern und Gefahren reduzieren. Am Charlottenplatz wird so unter anderem verhindert, dass Autofahrer beschleunigen, um das Reißverschlussverfahren zu umgehen. „Vor dem Planietunnel stellt das Einfädeln nicht die einzige Herausforderung dar, die mithilfe einer speziellen Taktung leichter gemeistert werden kann. Auch Radfahrer und Busse, die Richtung Schlossplatz unterwegs sind, müssen wahrgenommen werden“, so Gehling.
„Es wären an dieser Stelle sicherlich auch andere Lösungen wie ein Zebrastreifen oder eine Bedarfsampel denkbar“, sagt der Experte des Tiefbauamts. Damit sich diese Maßnahmen positiv auswirken können, wäre allerdings eine Umgestaltung des Knotenpunkts erforderlich. Aus seiner Sicht sei die Kreuzung weitestgehend optimiert. „Die Thematik an der Furt zum Schlossgarten ist befriedigt“, so Gehling. Es sei nicht zu vermeiden, dass man mal auf Verkehrsinseln stehen muss. „Im Endeffekt sind sie dafür da.“
Maximal 55 Sekunden soll ein Fußgänger oder Radfahrer an einer roten Ampel warten müssen. Diese Empfehlung der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen setzt sich auch die Stadt Stuttgart bei ihren Ampelsteuerungen als Ziel. Jedoch nur bei Ausschreibungen für neue Anlagen. Im Bestand sieht es oft anders aus. Das zeigt sich an der Kreuzung am Bergfriedhof in Stuttgart-Ost. Drückt man dort auf den Taster, vergehen bis zu 100 Sekunden, ehe die Hackstraße überquert werden darf. Obwohl einen kaum Fahrzeuge passiert haben.
Sicherheitspuffer wegen Stadtbahnen
Der Grund für die Wartezeiten sind zwei Stadtbahnlinien, die zum einen in Stuttgart immer bevorrechtigt sind und sich zum anderen dort gabeln. Für sie wird ein größerer Sicherheitspuffer als für andere Verkehrsteilnehmer eingerechnet. „Dadurch wird die Kreuzung träger. Ein Fußgänger, der an einer Ampel steht, weiß, dass er es rüber schaffen würde. Aber die Anlage kann die Situation nicht so dezidiert wahrnehmen, die Realität zu 100 Prozent erfassen.“ Das zeige sich auch, wenn ein Polizist an einer kleineren Kreuzung den Verkehr regelt. „Er kann mit kürzeren Zwischenzeiten arbeiten und berücksichtigen, ob ein junger Sportler, ein langsamer Rentner oder eine Gruppe rüber will“, so der 36-Jährige. Eine Ampel könne nicht eben für eine Person kurz auf Grün schalten.
Es sei möglich, sich dieser Problematik anzunähern. „Das ist aber sehr komplex und mit hohen Kosten verbunden, sowohl in der Anschaffung als auch in der Konzeption“, sagt Gehling. Auch der Unterhalt sei nicht zu unterschätzen. „Die Eingangswerte müssen verarbeitet werden.“ Zum Beispiel mithilfe von Induktionsschleifen. Sie werden aber durch Spurrillen in Mitleidenschaft gezogen. „Liegt dort ein Defekt vor, ist es oft schwer nachzuvollziehen, warum eine Ampel öfters grün anzeigt als eine andere.“
Alternativ gebe es Pilotversuche, bei denen mithilfe von KI-Kameras Menschenmengen und Verkehrsströme ausgewertet werden. „Noch ist das in Stuttgart Zukunftsmusik, aber die Stadt sperrt sich nicht dagegen. Klar ist aber, dass mehr Technik immer teurer ist.“ Man müsse sich immer die Frage stellen, wie hoch der Mehrwert ist. Für das Verkehrssystem in Stuttgart stehen im Vergleich zu kleineren Kommunen deutlich mehr Ressourcen zur Verfügung. „Aber es müssen auch andere Problemstellungen bewältigt werden.“
Unter anderem an der Haltestelle Waldeck in Kaltental. In der Böblinger Straße, an der Kreuzung zur Fuchswaldstraße, wechselt die Stadtbahn von der rechten Seite in die Mitte der Fahrbahn und die Hauptradroute bergauf von links nach rechts. „Es gibt Grundstücksausfahrten auf die Schienen. Fußgänger wollen sowohl zur Haltestelle als auch auf die andere Straßenseite“, sagt Gehling. „Die Sicherheit steht auch bei dieser Lichtsignalanlage im Vordergrund, mit der Konsequenz, dass hier aus Richtung Dachswald eine Wartezeit von bis zu 4,5 Minuten hingenommen werden muss.“ Das sei einmalig in Stuttgart. Wie an der Haltestelle Beethovenstraße in Botnang könnte womöglich ein Kreisverkehr, der von der Stadtbahn durchfahren wird, für Abhilfe sorgen. Noch liegt die bahnbrechende Idee aber nicht auf dem Tisch und Stuttgart hat derzeit genug andere Baustellen.