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Einige EU-Abgeordnete wollen Orbán-Blockaden bei Sanktionen gegen Putins Russland nicht mehr hinnehmen. Sie fordern die Aussetzung des Stimmrechts.
Brüssel/Andelsbuch – Immer wieder droht der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán mit Blockaden bei EU-Sanktionen gegen Russland. Vor wenigen Tagen kündigte er ein Ukraine-skeptisches Bündnis mit der Slowakei und Tschechien an. Nun fordern einige EU-Abgeordnete gegenüber der Frankfurter Rundschau von Ippen.Media offen eine Aussetzung des ungarischen Stimmrechts in der Sanktionspolitik: Orbáns Verhalten gefährde die europäische Sicherheit.
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán nutzt das Einstimmigkeitsprinzip häufig für eigene Interessen. © Philipp von Ditfurth/dpa
Bei der Unterstützung der Ukraine hätten die EU-Staaten bislang eine historische Geschlossenheit gezeigt, betont David McAllister (CDU). Doch die Ukraine-Politik stoße wegen einzelner Länder zunehmend an Grenzen. „Diese Blockaden sind häufig von nationalen innenpolitischen Kalkülen geprägt“, sagte der Vorsitzende des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten unserer Redaktion. Dass beispielsweise Ungarn das Prinzip der Einstimmigkeit für seine Zwecke instrumentalisiere, sei inakzeptabel.
EU-Abgeordnete wollen Orbáns Ungarn das Stimmrecht entziehen – McAllister fordert Prüfung
Der EU-Vertrag bietet mit dem Artikel 31 Absatz 3 EUV einen Mechanismus, mit dem die Mitglieder unter bestimmten Bedingungen mit qualifizierten Mehrheiten entscheiden könnten – vor allem, wenn es um sehr wichtige Entscheidungen geht. Das müsse die EU prüfen, um ihre kollektive Handlungssicherheit zu sichern.
Das Europäische Parlament ist laut dem ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten seit langem dafür, dass mehr außenpolitische Fragen mit qualifizierten Mehrheiten entschieden werden. McAllister betont aber auch: In sensibleren Fragen – wie Militäreinsätzen – solle die Europäische Union am Einstimmigkeitsprinzip festhalten.
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Bernd Lange fordert im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau in dieser Frage eine genaue Abwägung: „Die Entziehung des Stimmrechts ist die schärfste Waffe innerhalb der Europäischen Union. Daher sollten wir uns diesen drastischen Schritt genau überlegen“, meint der Vorsitzende des EU-Ausschusses für internationalen Handel.
Der Sozialdemokrat hielt sich seine Position zwar offen. Lange betonte aber auch: „Weil Ungarn zunehmend gegen europäisches Recht verstößt, zudem die europäische Solidarität immer wieder infrage stellt und damit die anderen Partner bewusst brüskiert und offen mit den autoritären Machthabern in Russland und China kooperiert, sollten wir ernsthaft über alle Optionen diskutieren.“
EU-Mitglied Ungarn: Reintke will Orbáns Stimmrecht aberkennen
Terry Reintke, 2024 Co-Spitzenkandidat der europäischen Grünen, fand deutlichere Worte: „Wir müssen Ungarn in dieser Situation das Stimmrecht aberkennen“, sagte sie. Für Reintke spielen die ungarischen Blockaden in der Sanktionspolitik nicht die entscheidende Rolle, sondern Ungarns Verletzungen gegen die EU-Werte. „Ungarn ist de facto keine funktionierende Demokratie mehr und mit Artikel 7 könnten wir den Stimmrechtsentzug begründen“, argumentierte die Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Europaparlament.
Das Verfahren nach Artikel 7 zum Schutz der Grundwerte der EU wurde 1997 mit dem Vertrag vom Amsterdam eingeführt. Mit ihm wird festgestellt, ob die Gefahr einer Verletzung der EU-Werte besteht oder bereits eine schwerwiegende Verletzung erfolgt ist. Als schwerste Sanktion sieht das Verfahren eine Aussetzung der Stimmrechte des Mitgliedsstaates vor. „Mit dem Artikel-7-Verfahren wollen wir verhindern, dass einzelne Mitglieder die EU zersetzen und genau das macht Orbán gerade, indem er an vielen Stellen Putins Politik in den Europäischen Rat trägt. Damit will Orbán Europa destabilisieren“, begründete Reintke ihre Position.
Prominenter Orbán-Kritker bezeichnet Ungarn als Sicherheitsrisiko
Ein Grünen-Parteikollege geht noch einen Schritt weiter: „Ich bin insgesamt dafür, dass das Einstimmigkeitsprinzip in der EU abgeschafft wird – vor allem in der Sanktionspolitik“, sagte Daniel Freund. Er fordert bereits seit langer Zeit öffentlich eine Aussetzung des ungarischen Stimmrechts. „Die EU sollte handlungsfähiger werden und Ungarn verstößt eklatant gegen den EU-Vertrag“, meint der bekannte Orbán-Kritiker.
Der ungarische Regierungschef nutze sein Vetorecht ständig, um alle anderen zu erpressen. Dies stelle eine Grundwertverletzung der Solidarität dar. „Orbán ist ein eklatantes Sicherheitsrisiko für uns. Er versucht auf Geheiß des russischen Präsidenten Wladimir Putin die EU lahmzulegen“, sagte Freund.
Ähnlich sieht es der SPD-EU-Parlamentarier Tobias Cremer: „Ich kann meinen Wählerinnen und Wählern nicht mehr klarmachen, warum wir unsere Sicherheit von Viktor Orbán abhängig machen“, sagte der Sicherheitspolitiker unserer Redaktion. Es könne nicht sein, dass sich „Orbán im Europäischen Rat zum Teil schon fast als Sprachrohr Moskaus aufführt und unserer aller Sicherheit immer wieder mit seinen Vetos gefährdet“, so der SPD-Politiker und fügte hinzu: „Ich bin an sich gegen solche Zwangsmaßnahmen, aber vielleicht hilft ja schon die Diskussion über solche Maßnahmen, um Orbán zur Vernunft zu bringen, denn am Ende hängt ja auch Ungarns Sicherheit von der Europas ab.“ Orbán muss indes auch eine Abwahl im kommenden Jahr fürchten. (Jan-Frederik Wendt)