Eine Besucherin steht vor dem Kunstwerk "Ophelia" von Friedrich Heyser.

Stand: 31.10.2025 10:58 Uhr

Von MTV bis TikTok: Immer wieder hat sich das Musikvideo neu erfunden. 50 Jahre nach „Bohemian Rhapsody“ zeigen Künstlerinnen und Künstler, dass die Verbindung von Bild und Ton lebendiger ist denn je.

Von Barbara Geschwinde, WDR  

„Is this the real life? Is this just fantasy?“ Als Freddie Mercury diese Zeilen 1975 sang, ahnte wohl niemand, dass das dazugehörige Video der Band Queen Musikgeschichte schreiben würde. Am 31. Oktober 1975 wurde der Song „Bohemian Rhapsody“ veröffentlicht.

50 Jahre später gilt das in wenigen Stunden produzierte und 4.500 Pfund teure Video, das kurz darauf erschien, als Startschuss einer neuen Ära: Musik wurde plötzlich auch zum bewegten Bild und das Fernsehen, ganz besonders der Musiksender MTV, zum Motor eines globalen Popkults.  

Von MTV zu TikTok

Ein halbes Jahrhundert später hat sich die Bühne verändert. MTV als reiner Musikvideo-Sender ist längst Geschichte, und doch erleben Musikclips einen zweiten Frühling – im Internet, auf YouTube, Instagram und TikTok. Das Musikvideo ist nicht tot, es hat sich nur verwandelt.  

In den 1980er-Jahren waren Musikvideos fester Bestandteil jeder erfolgreichen Single. Sie machten Stars wie Madonna mit „Like a Prayer“ und ihren Anspielungen zu Religion und Sexualität oder Michael Jackson mit seinem bahnbrechenden 13-Minuten-Video zu „Thriller“ zu Ikonen. Heute entstehen Clips für ganz andere Plattformen – und oft mit deutlich geringerem Budget.  

„Video auf TikTok fast wichtiger als bei MTV“

„Früher gab es ein oder zwei Musikvideos, die richtig Geld gekostet haben. Heute sind es viele kleine“, sagt der Musiker KAMRAD. Der gebürtige Wuppertaler kennt sich aus: Seine Videos haben auf YouTube mehrere Millionen Aufrufe, auf TikTok kratzen sie schon mal an der 30-Millionen-Marke. „Vor allem auf TikTok ist das Video im Zusammenhang mit der Musik fast wichtiger als früher bei MTV oder Viva. Es wird ja quasi alles nur noch so entdeckt.“ 

KAMRAD sieht in den kurzen Reels die neue Währung der Aufmerksamkeit – spontan, nahbar, oft ohne großes Produktionsteam. „Ich drehe manchmal einfach im Auto oder im Drive-in. Das kostet nichts, ist aber direkt bei den Fans. Trotzdem liebe ich das klassische Musikvideo – das ist dann Kunst, da kann man Geschichten erzählen.“

Vom Fernsehen befreit

Große Budgets wie noch in den 1990ern sind heute selten. „Man kann kein Geld mehr mit Musikvideos einspielen wie früher über Plattenverkäufe“, so KAMRAD. „Aber das heißt nicht, dass sie an Bedeutung verloren haben – nur, dass sie eine andere Funktion haben.“

Seit mehr als einem Vierteljahrhundert werden bei den Internationalen Kurzfilmtagen in Oberhausen auch Musikvideos prämiert, seit mehr als 20 Jahren kuratiert Jessica Manstetten den Musikvideopreis „MuVi“ und beobachtet, wie sich die Form verändert hat. „Das Musikvideo war immer ein Ort der Referenz und der Freiheit“, sagt sie. „Im Internet konnte man sich plötzlich von den Konventionen des Musikfernsehens lösen – es wurde experimenteller, dokumentarischer, künstlerischer.“

Brücken zwischen Pop, Kunst und Gesellschaft

Gerade diese Offenheit habe dazu geführt, dass Musikvideos heute wieder im Feuilleton auftauchten. „Taylor Swifts visuelle Referenzen auf Shakespeare oder Jugendstilgemälde etwa bringen plötzlich Menschen ins Museum, die sonst nie dorthin gehen würden“, so Manstetten.

Tatsächlich erlebt das Landesmuseum Wiesbaden derzeit einen Ansturm von Swift-Fans. Im Video zu ihrem aktuellen Hit „The Fate of Ophelia“ stellt Taylor Swift ein Gemälde des Jugendstilmalers Friedrich Heyser nach. Tickets für eine Sonderveranstaltung rund um das Gemälde Ophelias waren danach innerhalb weniger Stunden ausverkauft.  

„Das Musikvideo ist so etwas wie ein Vermittler geworden“, sagt Manstetten. „Es schlägt Brücken zwischen Pop, Kunst und Gesellschaft, und es hat keine Angst, sich überall zu bedienen.“

Zwischen Kunst und Marketing

Eine, die seit vielen Jahren Musikvideos produziert, ist Stefanie Schmid-Rincón. Sie sieht vor allem eine ästhetische Verschiebung zu „entweder auffällig und schnell geschnitten – oder intimere Settings und ganz minimalistisch.“ Viele Musikerinnen und Musiker produzierten inzwischen selbst, oft im Hochformat, für soziale Medien.

Das Musikvideo sei heute immer noch wichtig für die Sichtbarkeit von Künstlerinnen und Künstlern, so Schmid-Rincón. Trotz sinkender Budgets sei die visuelle Sprache weiterhin entscheidend: „Ob auf YouTube oder TikTok – es geht darum, eine Geschichte zu erzählen, die zum Song passt.“ Das ist – gerade in der kurzen Form – Marketing, aber eben auch Ausdruck von Persönlichkeit.  

Ein Genre im Wandel

Das Musikvideo war schon immer Spiegel seiner Zeit – und bleibt es auch in Zeiten von TikTok und Co. Während früher auf MTV perfekte Inszenierungen gefragt waren, dominieren heute Authentizität, Nähe und Geschwindigkeit.  

„Ich glaube, das Musikvideo ist nicht tot, sondern wird in einer anderen Form weiterexistieren und sich immer weiterentwickeln“, sagt KAMRAD. Ob als künstlerisches Statement, viraler Clip oder digitaler Museumsführer: Das Musikvideo lebt – nur anders als früher. Und Freddie Mercury hätte sicher seine Freude daran.