Die ewig gleichen Filialisten lassen viele deutsche Innenstädte eintönig aussehen. In München hingegen gibt es noch zahlreiche familiengeführte Traditionsgeschäfte. Auf royalen Spuren.
Das Rautenmuster der Wittelsbacher in der Mitte, gehalten von zwei Löwen, obendrauf die Königskrone Bayerns. Mit diesem heraldischen Zeichen schmückten sich vor rund 200 Jahren die Königlich Bayerischen Hoflieferanten. Wer beim Bummel durch die Münchner Altstadt genau hinschaut, entdeckt einige dieser Wappen auf den Schaufenstern, Markisen oder an den Eingangstüren. Manchmal steht da auch ganz klar und deutlich: „Ehemaliger Königlich Bayerischer Hoflieferant“.
Das Königreich Bayern existierte nur etwas mehr als 100 Jahre
Man kann finden, das sei aus der Zeit gefallen. Viele Leute aber sind beeindruckt. Signalisiert der Titel doch Qualität, Luxus und viel Tradition. Käufer und Verkäufer sonnen sich im royalen Glanz, obwohl es den Adel eigentlich nicht mehr gibt. Hoflieferant ist ein Markenzeichen und kommt gut an – egal, ob die angebotene Ware hochpreisig ist. „Wenn der Münchner einen guten Service bekommt, dann zahlt er auch gerne“, sagt Stadtführerin Franziska Josephine Schilder.
Bevor der Rundgang durch die Münchner Altstadt beginnt, geht es auf Tauchgang tief in die Geschichte. Was braucht es, um Königlich Bayerischer Hoflieferant zu werden? Natürlich einen Bayerischen Königshof. „Das Königreich Bayern existierte nur etwas mehr als 100 Jahre“, erklärt die 46-Jährige. Am Neujahrstag 1806 wurde Kurfürst Maximilian Joseph von Napoleon Bonaparte zum König von Bayern erhoben. Mit dem Ende des ersten Weltkrieges war schon wieder Schluss. König Ludwig III. musste abdanken – der letzte regierende Wittelsbacher nach 738 Jahren an der Macht. Am 7. November 1918 rief Kurt Eisner den Freistaat Bayern aus. Zwei Tage später proklamierte Philipp Scheidemann in Berlin die Deutsche Republik. Das war’s dann mit der Monarchie in Deutschland.
Leda Mazzei-Fernandes (links) leitet das Roeckl-Hauptgeschäft Foto: Hamann
Dennoch hat München dem Clan der Wittelsbacher einiges zu verdanken. Ohne sie gäbe es kein Oktoberfest. Als Ludwig I. 1810 die Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburghausen heiratete, wurde auf der nach der Braut benannten Theresienwiese erstmals groß gefeiert. Ludwig I. baute auch wie wild: die Prachtmeile Ludwigsstraße und viele Museen fallen in seine Regierungszeit. Sein Enkel Ludwigs II. erschuf die Märchenschlösser, brachte den Staat an den Rand der Pleite und ihm sehr viel später einen Unesco-Welterbe-Titel ein.
Könige gehen, Hoflieferanten bleiben
„Am Ende gab es etwa 750 bis 800 Hoflieferanten. König Max II. ließ das genau dokumentieren. Doch die Akten sind im Zweiten Weltkrieg verbrannt“, sagt die Fachfrau. Ein Großteil der Firmen saß in der Residenzstadt München, zu den Lieferanten des Hofes zählten aber auch Unternehmen aus dem Umland oder Ausland, zum Beispiel eine Allgäuer Käserei, eine Lebkuchenfabrik aus Nürnberg, ein Weinbrandproduzent aus der französischen Stadt Cognac oder ein Schildkrötensuppenhändler aus London.
Der Feinkostspezialist Dallmayr belieferte nicht nur den Bayerischen Hof, sondern noch 14 andere. Die Konditorei Kreutzkamm, nach dem Zweiten Weltkrieg aus Dresden nach München verlagert, darf sich Königlich Sächsischer Hoflieferant nennen.
Seit 1839 belieferte die Lederwarenfirma Roeckl die bayerischen Royals. Spezialität des Hauses sind Glacéhandschuhe aus feinstem Ziegenleder, damals hygienische Notwendigkeit und Statussymbol, heute wieder sehr im Trend. Leda Mazzei-Fernandes leitet das Hauptgeschäft an der Maffeistraße. „Unsere Handschuhe halten eine Ewigkeit. Eigentlich bräuchte man nur ein Paar im Leben. Doch weil die Leute sie ständig verlieren, verkaufen wir sehr gut“, sagt die gebürtige Brasilianerin und lacht. Elisabeth in Bayern, die spätere Kaiserin Sisi von Österreich, gehörte ebenso zu den Kunden wie Prinzregent Luitpold. Der ließ sich übrigens aus Respekt vor seinem tragisch zu Tode gekommenen Vorgänger Ludwig II. nie zum König krönen.
Die meisten Hoflieferanten sind direkt in der Altstadt Foto: STZN/Lange
Das Beispiel Roeckl zeigt exemplarisch: Könige gehen, Hoflieferanten bleiben. Es sind Familienunternehmen, geführt inzwischen in der fünften oder sechsten Generation, die Weltkriege, Weltwirtschaftskrisen, Pandemien überlebt haben und aktuell mit der Globalisierung und Klimafragen kämpfen. Die Buchhandlung Lentner zum Beispiel gibt es seit 1698. Seit 1897 darf sich die Firma Hoflieferant nennen. Die Parfümerie Brückner direkt nebenan in den Arkaden des Münchner Rathauses gibt es seit 1893.
Was bitte ist Gewandsgeschicklichkeit?
Beide Geschäfte trotzen der Konkurrenz durch Internet und Discounter. Der frühere Posamentier Ludwig Beck ist längst ein großes Kaufhaus geworden und verkauft nun Designermode statt Fransen, Quasten, Kordeln als Verzierung von Textilien. Und Dallmayr kennt heute ganz Deutschland – dank des Kaffees und der Fernsehwerbung mit der perlenden Klavieruntermalung, in der das zartgelb gestrichene Delikatessenhaus eingeblendet wird. Ob diese Erfolge am Ansporn liegen, den so eine Ehre mit sich bringt?
Königlich speisen auf Porzellan der Manufaktur Nymphenburg Foto: München Tourismus, Frank Stolle
Am Marienplatz deutet die 46-Jährige auf das Geschäft von Carl Thomass. „Hofjuwelier“ steht auf der Fassade. „Das ist ein Hoftitelinhaber. Diese Handwerker waren direkt beim Hof angestellt. Und dann gab es noch die eigenen Betriebe: die Hofpfisterei, die Porzellanmanufaktur Nymphenburg oder das Hofbräuhaus gehörten dem Hof selber“, sagt Franziska Josephine Schilder. Ach herrje, wie kompliziert.
Und es kommt noch schlimmer: Man wurde in Bayern nicht automatisch Hoflieferant, bloß weil man seine Waren an die Wittelsbacher liefern durfte. „Der Titel wurde nur verliehen, wenn der Betreiber eine gewisse Gewandsgeschicklichkeit hatte. So hieß das damals. Hoflieferanten brauchten nicht nur gute Ware, sondern auch ein tadelloses Auftreten, Etikette, angemessene Kleidung, ein gewisses Niveau“, sagt Franziska Josephine Schilder. Auch die geprüfte Stadtführerin hat sich an diesem Tag dem Anlass entsprechend herausgeputzt. Man macht ja schließlich einen Besuch beim Kini – irgendwie. Sie trägt eine fesche Trachtenjacke, die massive Gürtelschnalle ziert eine Darstellung des Stadtwappens – Münchner Kindl statt Wittelbacher Löwen. Wir leben schließlich heute in einer Demokratie.
Info
Anreise
Ab Stuttgart mit dem Zug direkt nach München, www.bahn.de . Innerhalb der Stadt bewegt man sich am besten mit Bus, Bahn und Tram, www.mvv-muenchen.de .
Unterkunft
Der Name Koenigshof hält, was er verspricht: ein wahrlich royales Hotel. An dieser prominenten Stelle direkt am Stachus stand einst das Privathaus von Gustav Vorherr, dem Stadtplaner von König Max I. Ab 1860 wurde es zum Hotel Bellevue und später zum Königshof. 2024 nach Abriss komplett neu eröffnet. Luxuriöse Zimmer, atemberaubende Aussicht von der Dachterrasse auf die Innenstadt. Doppelzimmer ab 450 Euro, www.marriott.com . Strategisch günstig in Bahnhofsnähe liegt das gehobene Le Méridien. Schöner Innenhof mit Biergarten-Atmosphäre, DZ ab 250 Euro, h ttps://lemeridienmunich.com/ .Das 25hours Hotel Royal Bavarian huldigt dem Thema königliches Bayern mit vielen witzigen Details, DZ ab 128 Euro, www.25hours-hotels.com .
Essen und Trinken
1589 gründete Herzog Wilhelm V. von Bayern das Hofbräuhaus, um seinen 600 Mann starken Hofstaat mit eigenem Braunbier zu versorgen. 1607 zog das Gasthaus an den heute noch existierenden Standort Am Platzl um. Wer gerne andere Touristen aus aller Welt kennen lernen möchte und etwas Trubel nicht scheut, ist hier richtig, www.hofbraeu-muenchen.de/ .Schwaige bezeichnet einen Gutshof oder eine Almwirtschaft. Auch in Schloss Nymphenburg, dem Sommerpalast der Wittelsbacher im Münchner Westen, befindet sich eine solche Wirtschaft mit gemütlichem Gastraum und schönem Innenhof, www.schlosswirtschaft-schwaige.de .Der Königliche Hirschgarten wurde 1780 von Kurfürst Karl Theodor von Pfalz-Bayern als Jagdrevier angelegt. Daraus entwickelte sich ein Biergarten mit Wirtshaus, https://hirschgarten.de .Das Café Luitpold in der Brienner Straße atmet das Belle-Époque-Ambiente der späten Monarchie. Klassisches Kaffeehaus im Wiener Stil, www.cafe-luitpold.de .Bei Dallmayr kann man nicht nur feinste Kost für Daheim kaufen, sondern auch ausgezeichnet speisen. Es gibt mehrere Optionen: Das Fine-Dining-Restaurant Alois (zwei Michelin-Sterne), Bar und Grill sowie das Café-Bistro, www.dallmayr.com/de/delikatessenhaus/ .
Aktivitäten
In der Münchner Innenstadt gibt es noch viele ehemalige Hoflieferanten, bei denen man noch heute einkaufen kann. Schuhe: Ed. Meier, Brienner Str. 10, https://edmeier-shop.com ; Feinkost: Alois Dallmayr, Dienerstr. 14-15, www.dallmayr.com ; Parfüm: Brückner, Marienplatz 8, www.parfuemerie-brueckner.com ; Lederwaren: Roeckl, Maffeistr. 1, www.roeckl.com ; Zigarren: Zechbauer, Residenzstr. 10, www.zechbauer.de ; Bücher: Lentner, Marienplatz 8, https://buchlentner.buchkatalog.de/ ; Schmuck: Gebrüder Hemmerle, Maximilianstr. 30, https://hemmerle.com ; Ludwig Beck, Marienplatz 11, www.ludwigbeck.de ; Stadtführungen zum Thema kann man unter www.muenchen.travel buchen.
Allgemeine Informationen
München Tourismus, www.muenchen.travel