„Es gibt kaum einen krasseren Tag als heute, um die Notwendigkeit von Initiativen wie der Ihren zu beweisen“, sagt Christian Ude an den Gastgeber Vural Ünlü gewandt. Das sitzt. Der Alt-Oberbürgermeister der Stadt München kann noch immer Dinge zuspitzen. Er wird gleich weiter ausholen. Denn es geht um Integration, ein Thema, das seit Friedrich Merz’ Stadtbild-Äußerung wieder die Gemüter erhitzt. Dabei sitzen an diesem Abend im türkischen Restaurant Pageou im Herzen von München Menschen, die Vorbild sind, wie Integration gelingt. Und die sich seit Jahren darum bemühen.

Drei von ihnen zeichnet die liberale Türkische Gemeinde Bayerns (TBG), deren Vorsitzender Ünlü ist, für ihre Verdienste aus: Cumali Naz, langjähriger SPD-Stadtrat in München, Cemal Bozoğlu, Landtagsabgeordneter von Bündnis 90/Grüne, und Hülya Düber, die seit der jüngsten Wahl für die CSU im Bundestag sitzt. „Die Stadtbild-Diskussion hat für viel Verunsicherung gesorgt“, sagt Ünlü, „denn in den Communitys fragen sich jetzt alle: Sind wir auch gemeint?“ Der promovierte Ökonom und Medienunternehmer hat auch schon Barbara Stamm oder Horst Seehofer für ihre Verdienste um sozialen Zusammenhalt ausgezeichnet. Diesmal sind drei Türkei-stämmige Politiker dran.

Christian Ude mit Mitra Sharifi Neystanak, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der bayerischen Integrationsbeiräte. Pluralismus, sagt sie, habe dort seine Grenze, wo „rassistische Bilder entworfen werden und Migration als solche verteufelt wird“.Christian Ude mit Mitra Sharifi Neystanak, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der bayerischen Integrationsbeiräte. Pluralismus, sagt sie, habe dort seine Grenze, wo „rassistische Bilder entworfen werden und Migration als solche verteufelt wird“. (Foto: Johannes Simon)

Christian Ude (SPD) und der ehemalige Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU) sind die gemeinsamen Laudatoren. Beide kennen die Türkei gut, beide haben türkische Freunde, und Beckstein, so Ünlü, sei der erste Ministerpräsident gewesen, „der auch für Migranten zu einem Landesvater wurde“.

Ude ist aber an diesem Abend nicht zum Feiern zumute. Denn am Tag zuvor hat die FDP-nahe Thomas-Dehler-Stiftung den Penzberger Imam Benjamin Idriz gewürdigt – gegen massiven Protest von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und Teilen der FDP. „Es ist absolut unbegreiflich, dass dieser Imam, der sich seit Jahrzehnten für Verständigung zwischen den Religionen engagiert, angefeindet wird.“ Ude kennt Idriz lange, engagiert sich selbst im Kuratorium des Forums für Islam. Da sei eine „Medienmaschine“ angeworfen worden, die weiter zur Spaltung statt Versöhnung beitrage. „Unfassbar“, sagt der Alt-OB, „krass.“

Verleihung des Thomas-Dehler-Preises an Imam Benjamin Idriz

:„Er ist kein Antisemit“

„Judenhass ist für Muslime ein absolutes No-Go“, sagt Benjamin Idriz. Am Mittwochabend wurde der Penzberger Imam in München als „Brückenbauer“ für interreligiösen Dialog mit dem Thomas-Dehler-Preis ausgezeichnet. Vorausgegangen war massive Kritik.

SZ PlusVon Andrea Schlaier

Es erfordere noch immer Courage, sich für die Rechte von Minderheiten einzusetzen, fährt der Laudator fort. Cumali Naz sei dies als langjährigem Vorsitzenden des Migrationsbeirats und Stadtrat überzeugend gelungen. Er habe auch immer unter türkischen Zuwanderern für Demokratie geworben.

„Das war nicht immer einfach“, gibt der Preisträger zu, gerade im Verhältnis zu den religiös orientierten Vereinen. Er selbst sei nach dem Militärputsch 1980 in der Türkei als Student nach München gekommen, sein Vater war hier schon Gastarbeiter. Dann gab es die tödlichen Brandanschläge auf zwei türkische Familien in Mölln. „Ich vergesse nie den 6. September 1992, als ich mit Hunderttausenden Münchnerinnen und Münchnern in der Lichterkette gegen Ausländerfeindlichkeit stand.“ Danach habe er angefangen, sich politisch zu engagieren. In der SPD habe er gelernt, wie der Rechtsstaat funktioniere. Doch bis heute gebe es Barrieren für Menschen wie ihn. „Immer wieder diese Leitkultur-, das Boot- ist-voll-, Stadtbild-Debatten – wem nützt das? Welche Probleme werden dadurch gelöst?“, fragt er.

Gastgeber Vural Ünlü mit der Bundestagsabgeordneten Hülya Düber (CSU).Gastgeber Vural Ünlü mit der Bundestagsabgeordneten Hülya Düber (CSU). (Foto: Johannes Simon)

Auch Günther Beckstein sagt, es gebe offensichtliche Probleme in deutschen Städten, aber der Begriff Stadtbild sei „völlig falsch“. Denn wer sei damit gemeint? Es gehe vielmehr darum, „saubere Plätze zu schaffen, an denen sich Menschen, egal welcher Herkunft, wohlfühlen“.

In seiner Laudatio richtet sich der einstige Landesvater dann zuerst an Hülya Düber. Es sei großartig, dass eine Frau mit türkischen Wurzeln für die CSU im Bundestag sitze. Bei der SPD und den Grünen erwarte man das, es sei schön, dass es das jetzt auch in seiner Partei gebe. Düber verdiene größten Respekt, dass sie sich „in den politischen Kampf wirft, wo man ja nicht nur gelobt wird“. Alle drei Preisträger könnten ein Vorbild für türkische Mitbürger sein. Dass sie dazu noch Schwaben, Oberbayern und Franken vertreten, hört man nicht nur am Zungenschlag, sondern auch in der Identifikation mit ihrem jeweiligen Wohnort.

„Ich bin stolz darauf, eine Frau mit türkischen Wurzeln zu sein und in Bayern meine Heimat gefunden zu haben“, sagt Hülya Düber. Die promovierte Juristin und Mutter von zwei Kindern hat ihren deutschen Mann mitgebracht. Als Frau mit Migrationsbiografie, noch dazu aus einem muslimischen Kulturkreis, begegneten ihr noch immer viele Vorurteile. Aber so selbstbewusst wie sie auftritt, verwundert es nicht, dass sie sich bei der Kandidatur in ihrem Würzburger Stimmkreis gegen einen deutschen Mann durchsetzte. Sie habe dabei auch in der ländlichen Region viel Wertschätzung erfahren, sagt sie, was gängige Vorurteile gegenüber der Landbevölkerung widerlege. Sie wünscht sich mehr Frauen in der Politik – und mehr Zusammenhalt unter den demokratischen Parteien. „Im Hinblick auf die Bundestagswahl 2029 müssen wir verbal abrüsten und viel mehr Austausch pflegen.“

Wie seine beiden Co-Preisträger ist auch Cemal Bozoğlu ein Kind von Gastarbeitern. Mit 17 Jahren kam er nach Augsburg, seine Eltern arbeiteten schon dort. Er begann bei Siemens, kam über die Gewerkschaftsarbeit zur Politik. Auch er erzählt, dass er in der Welle rassistischer Gewalttaten in den 1990er-Jahren sich gefragt habe, ob Deutschland noch seine Heimat sei. Gerade deshalb fing er an, sich zu engagieren, gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Grünen in Augsburg. Seit 2018 vertritt er die Partei im Bayerischen Landtag. „Ich will, dass meine Kinder eine friedliche Zukunft haben.“

Innenminister Joachim Herrmann, der ein Grußwort schickte, betone oft, der deutsche Pass sei die Vollendung der Integration, sagt Vural Ünlü. „Aber eigentlich fängt es da doch an: Denn erst, wenn man Bürgerrechte hat und wählen darf, kann man sich wirklich an der Demokratie in diesem Land beteiligen.“