„Compass Mitte“ nennt sich die neue CDU-interne Gruppe, die ihre Botschaft am vergangenen Mittwoch mit einer eigenen Internetseite öffentlich gemacht hat: Die Erstunterzeichner fordern von ihrer Partei eine „Kurskorrektur mit Haltung“. Unter den Initiatoren findet sich auch eine CDU-Politikerin aus Stuttgart: Monica Wüllner, die seit 2012 mit einer Unterbrechung dem Bundesvorstand der Partie angehört.
Die 56-Jährige ist nicht die einzige aus Baden-Württemberg: Auch der Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter (Wahlkreis Aalen-Heidenheim) und der Rottenburger Oberbürgermeister Stephan Neher (siehe Infokasten unten) finden sich auf der Liste der Erstunterzeichner. Im Interview mit unserer Zeitung erklärt Wüllner, warum der Schritt überfällig war.
Frau Wüllner, Sie haben diese Woche die Gründung der neuen CDU-internen Gruppe namens „Compass Mitte“ öffentlich gemacht. Welche Reaktionen gab es darauf?
Ganz viele – von Zustimmung bis „Was soll das? Was macht ihr da?“. Viele Parteikollegen sagen, wir hätten einen Punkt getroffen, weil sie sich auch nicht so richtig repräsentiert fühlen und ursprünglich mal wegen des „C“ („Christlich“) im Namen in die Partei eingetreten sind. Das kam einfach zu kurz in den letzten Monaten und Jahren. Wir wollen denen eine Stimme geben, die sich bisher nicht genug gehört fühlen – und das sind nicht die Konservativen, sondern die aus dem christlich-sozialen und liberalen Flügel.
Welche Kritik gab es an Ihrem Vorstoß?
Dass wir doch nach außen ein einheitliches Bild abgeben müssten, weil das derzeit mit der SPD schon schwierig genug ist. Aber wir haben jetzt lang genug geschwiegen, obwohl uns das Thema schon einige Zeit umtreibt. Doch einfach den Mund zu halten und aus der Partei auszutreten, weil man sich nicht mehr wohlfühlt, ist nicht der richtige Weg.
Auch der Rottenburger OB Stephan Neher unterstützt die Initiative „Compass Mitte“. Foto: imago/Ulmer Pressebildagentur
In den vergangenen Wochen hat die von Friedrich Merz angestoßene Stadtbild-Debatte die Schlagzeilen bestimmt. War das jetzt der perfekte Zeitpunkt, um mit Ihrer neuen Gruppe an die Öffentlichkeit zu gehen?
Das war eher Zufall. Wir haben das Papier mit unseren Positionen schon vor der Debatte erstellt. Aber das war wieder so ein Thema, das falsch gelaufen ist, weil es die Ränder rechts und links stark gemacht hat. Ich weiß, dass Friedrich Merz kein Rassist ist und ich kenne ihn gut genug, um zu wissen, dass er es nicht so gemeint hat.
Wann hat die CDU Ihrer Meinung nach das „C“ im Namen aus dem Blick verloren?
Das war ein schleichender Prozess. Die Unzufriedenheit hat sich bei uns zum ersten Mal bemerkbar gemacht, als Andreas Rödder mit Blick auf die Bundestagswahl 2021 die Frage aufgeworfen hat, ob das „C“ noch zeitgemäß sei. Da kamen ganz viele, die sich mit dem Christlich-Sozialen identifizieren und sagten „Moment mal, das ist der Grund, warum ich in der Partei bin“. Und dann hat sich das im Laufe der Zeit verstärkt.
Welchen Anteil an dieser Entwicklung hat Friedrich Merz?
Wir machen das nicht alleine an Friedrich Merz fest. Es ist eine Entwicklung in der Partei, infolge der sich ein bestimmter Teil der Mitglieder nicht mehr zuhause fühlt. Dem wollen wir entgegenwirken. Wir sehen uns als Volkspartei und haben das immer als Stärke betrachtet. Wir haben die verschiedenen Flügel, die Liberalen, die Christlich-Sozialen und die Konservativen immer unter einen Hut gebracht. Mittlerweile ist das aber sehr einseitig geworden – beschränkt auf das Konservative.
Aus Angst vor der AfD?
Auch, ja. Die treiben uns quasi vor sich her. Wir wissen ja, dass wir der Hauptgegner der AfD sind und sie uns kaputt machen wollen, indem sie uns zwischen links und rechts zerreiben. Wir wollen uns maximal von der AfD distanzieren. Und wir wollen, dass das die gesamte CDU auch so sieht. Doch in letzter Zeit kamen immer wieder einzelne Bemerkungen, dass man über die Brandmauer nachdenken müsse. Wir als CDU sind die Brandmauer und die darf nicht eingerissen werden, weil wir Christdemokraten nichts mit Faschisten, Nazis und Rechtsextremisten gemeinsam haben. Die Leute, die jetzt versuchen, rechts und konservativ ineinander verschwimmen zu lassen, die erledigen die Arbeit der AfD.
Der Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter zählt zu den prominenten Unterzeichnern. Foto: imago/Bernd Elmenthaler
Im Januar kam es im Bundestag zur Abstimmung über einen Antrag zur Migrationspolitik, bei der die CDU nur zusammen mit der AfD eine Mehrheit bilden konnte. Anschließend gab es massive Kritik an Ihrer Partei. Wie haben Sie das erlebt?
Da waren wir viele derer, die jetzt „Compass Mitte“ gegründet haben, entsetzt, da wollten wir nicht mehr mitgehen – und das hat der CDU auch sehr geschadet. Denn danach sind wir ein ganzes Stück unter die 30-Prozent-Marke gerutscht – und es hat auch die Linken sehr stark gemacht. Das ist ja genau die Gefahr, die wir sehen: Wenn man selbst anfängt, sich in populistische Gewässer zu begeben, stärkt man nur die Ränder. Das war strategisch und inhaltlich völlig falsch.
Sie üben mit „Compass Mitte“ auch Kritik am CDU-Fokus auf das AfD-Kernthema Migration.
Ja, wir sind nicht realitätsfremd, aber man sollte nicht den Eindruck erwecken, als wäre die ganze Welt wieder in Ordnung, wenn nur alle Migrationsprobleme gelöst seien. Selbst wenn wir das alles gelöst haben, werde ich mich trotzdem in der Stuttgarter Innenstadt an bestimmten Ecken nicht wohlfühlen, weil es immer noch schlecht beleuchtete, dreckige und runtergekommene Ecken gibt. Und wenn ich meine Miete nicht bezahlen kann, nützt mir das einfach nicht, wenn irgendjemand in Deutschland abgeschoben wird. Der Asylbewerber ist nicht an allem schuld. Die AfD tut aber so, als würden alle Probleme mit Zuwanderung zusammenhängen. Da sollte die CDU nicht hinterherhecheln.
Sondern?
Wir müssen Politik machen, die sich an den Menschen und deren Problemen orientiert. Wir fordern auch, dass sich CDU-Politiker in ihrer Sprache mäßigen – und nicht dieser populistischen Sprechweise nacheifern. Das Grünen-Bashing zum Beispiel gefällt mir nicht. Ich kann mich mit der Sache befassen und die für falsch befinden, aber ich kann nicht Leute herabwürdigen und kollektiv alles schlechtreden nach dem Motto „Das ist falsch, nur, weil du ein Grüner bist“. Da hat sich eine Sprache eingeschlichen, die nur an der Oberfläche kratzt, aber sich keine Gedanken mehr macht, welche Probleme dahinter die Menschen beschäftigen. Es tut weh zu sehen, dass auch aus der eigenen Partei manche Kollegen Schlenker in die AfD-Richtung machen. Und das Ergebnis ist ja nicht das, was man sich davon erhofft: Wir hängen in Umfragen gerade bei um die 26 Prozent, weil wir offensichtlich viele Menschen nicht mehr erreichen mit unserer Politik.
Aber viele sehen die Verantwortung für den Rückgang der CDU-Zustimmungswerte in den vergangenen Jahren auch bei Altkanzlerin Angela Merkel, unter der die Partei nach links gerückt sei.
Diese Entwicklung sehe ich nicht. Das ist die Argumentation, die aus der AfD raus in die CDU reingetrichtert wurde. Wenn man dann fragt, was genau gemeint ist, kommt der Atomausstieg als Beispiel. Aber da weiß man doch auch, dass das was mit Fukushima zu tun hatte und weniger mit einem Links-Trift. Unter Angela Merkel wurde Deutschland 16 Jahre lang sehr solide regiert, sie war mit Abstand die beliebteste Politikerin. Und jetzt lassen wir uns alle einreden, dass es eine furchtbare Zeit gewesen sei, die der AfD den Start bereitet hätte. Dabei war die AfD in diesen Zeiten nicht stark.
Friedrich Merz hat derzeit eher schwache Umfragewerte.
Ja, das ist doch traurig und das wollen wir ändern. Wir „Compass Mitte“-Leute wollen, dass Friedrich Merz besser dasteht und unsere Politik insgesamt mehr Zustimmung findet. Damit wir wieder deutlich über die 30 Prozent kommen. Wir wollen, dass die CDU wieder als starke Volkspartei wahrgenommen wird, die Probleme lösen kann.
Rottenburger OB Stephan Neher kritisiert Parteikollegen
Kritik
Stephan Neher, CDU-Oberbürgermeister der Stadt Rottenburg, kritisiert mit Blick auf den Umgang mit der AfD: „Ich verstehe nicht, warum Parteikollegen wie Peter Tauber glauben, die AfD entzaubern zu können.“ Tauber hatte sich zuletzt gegen eine Brandmauer zu der rechtspopulistischen Partei ausgesprochen. Neher könne dem nichts abgewinnen und betont: „Es geht darum, dass die CDU in der Mitte bleibt.“ Er sei davon überzeugt: „Wenn man die Positionen der Radikalen übernimmt, schwinden deren Zustimmungswerte nicht. Im Gegenteil: Man stärkt das Original und schwächt eher die Mitte.“
Debatte
Die von Parteichef Friedrich Merz angestoßene Stadtbild-Debatte bezeichnet Neher als „nicht glücklich. Es ist wichtig, Probleme zu benennen, aber dann muss die Politik auch Lösungsvorschläge mitliefern“, sagt der Rottenburger OB. Es sei „dringend notwendig, dass wir als Einwanderungsland attraktiv bleiben“. Die neue CDU-Gruppe „Compass Mitte“ soll kein Verein wie früher die sogenannte Werteunion sein, sondern „eine Plattform, um sich auszutauschen, damit man nicht immer nur die eine Richtung hört“, erklärt Neher.