Vor dreieinhalb Wochen wurde die neue Bürgermeisterin von Herdecke in ihrem Haus lebensgefährlich verletzt. Die Täterin: ihre Adoptivtochter. Viele Reaktionen waren nach Iris Stalzers Ansicht vorschnell und unsensibel – auch die des Bundeskanzlers.
Die bei einem Messerangriff in ihrem Haus verletzte Bürgermeisterin von Herdecke, Iris Stalzer, hat Medien und Politiker für den Umgang mit ihrem Fall kritisiert. „Ich habe tatsächlich überhaupt nicht erwartet, dass ein solcher Medienrummel entstehen würde“, sagte Stalzer in einem Interview der „Westfalenpost“.
„Ich bin auch keine Bundespolitikerin oder ein Mensch, der irgendwie bundesweit Bedeutung hat“, meinte Stalzer (SPD). „Ich finde, da hätte man etwas rücksichtsvoller sein können. Ich denke auch, an der einen oder anderen Stelle sind da rechtliche Grenzen überschritten worden, leider.“
Stalzer war am 7. Oktober in ihrem Haus lebensgefährlich verletzt worden. Ihre 17-jährige Adoptivtochter steht im Verdacht, sie stundenlang im Keller des Hauses bedroht und gequält zu haben. Neben 13 Messerstichen soll die 57-Jährige auch zahlreiche Kopfverletzungen erlitten haben. Gegen die Tochter wurde Haftbefehl wegen gefährlicher Körperverletzung erlassen.
Stalzer hätte sich mehr Rücksicht gewünscht
Bereits kurz nach Bekanntwerden der Tat – als die Hintergründe noch völlig unklar waren – hatten sich mehrere Politiker dazu geäußert. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) schrieb auf X von einer „abscheulichen Tat“.
„Ich will jetzt Herrn Merz keinen Vorwurf machen und mir ist auch klar, dass wir in einer schnelllebigen Zeit leben“, sagte Stalzer nun. „Aber sich binnen Minuten zu Dingen zu äußern, von denen man so wenig weiß und dann da eine Meinung zu zu haben, das finde ich extrem schwierig.“
Im Krankenhaus habe sie dann bewusst darauf verzichtet, Medien zu konsumieren. „Ich habe mich darauf beschränkt, das zu lesen, was so ganz persönlich über meine Homepage oder über meine diversen E-Mail-Adressen an mich gerichtet wurde – oder auch über ganz normale Briefpost. Das war und ist der Schutzwall, den ich für mich selbst installiert habe.“
„Für manche mag das Leben ein Ponyhof sein“, sagt die 57-Jährige
Trotz einschneidendes Erlebnisses will Stalzer weiter politisch arbeiten: „Ich mache seit 20 Jahren Kommunalpolitik und die Kinder kamen sozusagen in meine politische Laufbahn mit rein. Wenn nur Menschen mit perfekten Familien sich engagieren dürfen, verzerrt das unsere Gesellschaft sehr. Für manche mag das Leben ein Ponyhof sein, für die meisten ist es das nicht.“
Meinen Mann hat bislang keiner gefragt, wie er seinen Job künftig weitermachen will
Auf die Frage, ob sie nach dem Angriff über einen Rückzug nachgedacht habe, und dies womöglich auch mit ihrem Ehemann besprochen habe, antwortet sie: „Ich habe tatsächlich nicht als erstes mit meinem Mann darüber gesprochen, sondern mit meiner Partei. Da war auch nicht die Frage ‚Will ich das noch?‘, sondern ‚Wollt ihr das noch?‘. Und da kam ein ganz klares ‚Ja‘ von allen Seiten. Mein Mann stand von Anfang an hinter der Kandidatur. Wenn ich gesundheitlich zu angeschlagen gewesen wäre, wäre das eine andere Geschichte gewesen. Aber da habe ich großes Glück gehabt.“
In dem Gespräch, aus dem unter anderem auch die „Bild“-Zeitung zitiert, übt Stalzer in diesem Zusammenhang auch Gesellschaftskritik: „Meinen Mann hat bislang keiner gefragt, wie er seinen Job künftig weitermachen will mit der – wenn man es mal so nennen will – familiären Belastung. Ich glaube, da sind wir immer noch sehr in dieser Rolle: Frauen müssen sich erklären und Männer nicht.“
Die SPD-Politikerin soll am 4. November offiziell in ihr Amt eingeführt werden. Ihre eigentliche Amtszeit beginnt bereits am Samstag.
dpa/cvb/krott