Die deutsche Autoindustrie war lange ein Garant für gut bezahlte Arbeitsplätze. Doch jetzt werden Stellen abgebaut, die Hersteller verlieren Marktanteile. Eine Analyse zeigt, welche Regionen besonders stark vom Ende des Fossilantriebs betroffen sind – und wo die Umstellung auf E-Mobilität gelingt.
Die Autoindustrie ist das Powerhouse der deutschen Wirtschaft. Laut dem Statistischen Bundesamt trägt allein die Herstellung von Kraftfahrzeugen mehr als 4,5 Prozent zur Bruttowertschöpfung des Landes bei. Etwa 3,2 Millionen Beschäftigte haben direkt oder indirekt mit der Autoindustrie zu tun, davon arbeiten allein 1,2 Millionen in der Produktion.
Für den Wirtschaftsstandort Deutschland wird die Dominanz der Branche jedoch zunehmend zum Problem. „Die deutsche Autoindustrie hat sich jahrelang eine goldene Nase verdient, dadurch aber auch eine große Fallhöhe aufgebaut“, sagt Hanno Kempermann, Geschäftsführer der Beratungsfirma IW Consult und Co-Autor einer Studie für das Bundeswirtschaftsministerium zur wirtschaftlichen Bedeutung der Autoindustrie auf regionaler Ebene.
Der Befund ist ziemlich eindeutig: Die Nachfrage nach neuen Autos geht international zurück – vor allem nach Modellen mit Verbrennermotor. Die deutschen Hersteller verlieren dadurch Marktanteile. Hinzu kommt, dass die Produktion zunehmend ins Ausland wandert. Wurden 2014 noch 5,6 Millionen Autos in Deutschland hergestellt, waren es 2024 weniger als 4,1 Millionen. Auch Zulieferbetriebe haben deshalb weniger zu tun.
In den 2010er-Jahren feierte die Branche noch einen Absatzrekord nach dem anderen. Jetzt macht sich Katerstimmung breit. Jobs werden gestrichen. Bis 2030 könnten netto rund 90.000 weitere Stellen verloren gehen, schätzt IW Consult anhand von Unternehmensangaben.
Ganze Regionen hängen am Tropf von VW, BMW und Audi
Der Transformationsprozess trifft die deutschen Regionen jedoch sehr unterschiedlich, zeigt die Studie. Von 400 Landkreisen und kreisfreien Städten in Deutschland stechen demnach vor allem 116 Regionen hervor, in denen ein überdurchschnittlich hoher Anteil der Beschäftigten in der Autoproduktion arbeitet. Die meisten davon liegen in Bayern oder Baden-Württemberg. Insgesamt sind dort etwa 858.800 Menschen tätig, also fast 73 Prozent aller 1,2 Millionen Beschäftigten in diesem Bereich.
Die Branchencluster sind oft historisch gewachsen und stark von großen Herstellern abhängig: Rund um deren Werksstandorte haben sich hochspezialisierte Zulieferbetriebe angesiedelt und viele gut bezahlte Arbeitsplätze in den eher ländlich geprägten Regionen geschaffen. Mehr als die Hälfte der Wertschöpfung der gesamten deutschen Autoindustrie entsteht in diesen 116 Wirtschaftszentren.
Den höchsten Beschäftigungsanteil in der Autoindustrie haben die Studienautoren am Hauptstandort von Volkswagen in Wolfsburg, in der Audi-Heimat Ingolstadt und im Landkreis Dingolfing-Landau mit seinem BMW-Werk ausgemacht. In diesen drei Regionen sind mehr als 40 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in produktionsnahen Betrieben der Autoindustrie tätig, schätzt die Studie. Wobei damit nicht nur die Herstellung von Fahrzeugen und Fahrzeugteilen gemeint ist, sondern auch Unternehmen aus angrenzenden Wirtschaftszweigen, etwa der Metallverarbeitung, dem Maschinenbau und der Elektroindustrie. Insgesamt gehen die Studienautoren von rund 47.000 Betrieben aus, die in die Herstellung eines Autos eingebunden sind.
Viele dieser Firmen werden sich umorientieren oder gänzlich neu erfinden müssen, warnt IW Consult. Denn selbst wenn die EU dem Drängen der Autoindustrie nachgibt und das sogenannte „Verbrenner-Aus“ aufweicht, geht der Trend zum E-Auto. „Wenn Sie sich die technologische Entwicklung anschauen, dann ist es völlig unumgänglich, dass die überwiegende Mehrheit bei den Neuzulassungen bis 2035 sowieso elektrisch sein wird“, sagt der Branchenexperte Kempermann im Gespräch mit ntv.de. „Es ist schlichtweg die effizienteste Art, sich fortzubewegen.“
In 36 Regionen war der Verbrenner auch ein Jobmotor
Das bedeutet aber auch: Bestimmte Jobs und Produktionsstätten werden nach und nach verschwinden. Filtervorrichtungen zur Abgasreinigung etwa werden beim E-Auto nicht mehr gebraucht. Über die gesamte Produktionskette fallen Komponenten weg – und damit auch gut bezahlte Industriearbeitsplätze. „Das wird ein begleiteter Strukturwandel werden müssen, wie in anderen Branchen auch“, sagt Kempermann. „Aber ja: Der Übergang ist hart und schwer“, fügt er hinzu.
Immerhin ist hierzulande noch immer jeder fünfte Job in der Autoproduktion eng mit dem Verbrennermotor verknüpft. „Das sind rund 235.000 Arbeitsplätze, also wirklich nicht wenig“, weiß der Experte. „Erschwerend kommt hinzu, dass sich diese Jobs in einigen Regionen clustern, das heißt, dort gibt es besonders viele Betroffene.“ Insgesamt hat das Forscherteam 36 Landkreise identifiziert, in denen der fossile Antrieb ein großer Wirtschaftsfaktor ist (Tabelle oben). Vor allem in Salzgitter, dem Saarpfalz-Kreis, Bamberg und Kassel hängen viele Jobs am Verbrennermotor. Dort werden unter anderem in den Werken von VW und Bosch Komponenten für konventionelle Diesel- und Benzinmotoren, Getriebe und Abgasanlagen hergestellt.
Unter den Bundesländern steht demnach das Saarland vor den größten Herausforderungen (Tabelle unten). Hier hängen 18.834 Jobs an der Produktionskette von Diesel- und Benzinmotor, das entspricht 4,8 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. In Baden-Württemberg sind 55.418 Jobs mit fossilen Antriebstechnologien verknüpft, in Bayern 46.913.
Dabei war die Abhängigkeit vom konventionellen Antriebsstrang bislang kein Nachteil – im Gegenteil: Die genannten Regionen haben lange vom Verkauf von klimaschädlichen Motoren profitiert. Ihre Wirtschaftskraft und Produktivität ist auch heute noch beachtlich. Die Unternehmen und Werke, die hier im Bereich der konventionellen Antriebe tätig sind, stehen für insgesamt 75 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung, das entspricht 1,9 Prozent des gesamtdeutschen Wertes. Auch viele Patente haben in den Branchenzentren ihren Ursprung – darunter auch Patente rund um den Elektroantrieb.
E-Mobilität schafft neue Stellen
Das wiederum ist ein gutes Zeichen. Womöglich sind gerade die Regionen, in denen die meisten Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen, am besten auf den Wandel vorbereitet. Die traditionsreichen Konzerne, die dort ansässig sind, können am besten in Forschung und Entwicklung oder die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter investieren – und tun das auch.
Tatsächlich spiegelt sich in den Beschäftigtenzahlen bereits eine Neuausrichtung der Großkonzerne wider, stellt IW Consult fest. Am Standort des Automobilzulieferers ZF Friedrichshafen in Schweinfurt etwa arbeitet ein wachsender Teil der Belegschaft an Komponenten für Elektrofahrzeuge. Auch im Schwerpunkt-Landkreis Kassel tut sich was: Am VW-Standort in Baunatal arbeiten schon heute rund 400 Angestellte an den Elektroantrieben des Konzerns. Künftig sollen hier die Komponenten für bis zu eine Millionen Fahrzeuge pro Jahr gefertigt werden. Branchenweit ist der Anteil der Beschäftigten, die an der Elektrifizierung des Antriebsstrangs arbeiten, zwischen 2021 und 2025 von 5,4 auf 9,2 Prozent gewachsen.
Im thüringischen Ilm-Kreis sieht die Studie die Automobilbranche ebenfalls im Aufwind – vor allem dank schnell wachsender Startups und einem Fokus auf innovative Batterietechnologien und Digitalisierung. Im Industriegebiet Erfurter Kreuz bei Arnstadt werden seit 2021 Batteriezellen im Auftrag des chinesischen Unternehmens CATL gefertigt. In dem Werk sind rund 1700 Menschen beschäftigt. Langfristig sollen dort bis zu 2000 Arbeitsplätze entstehen. In Brandenburg wiederum hat das Tesla-Werk bei Grünheide dem Landkreis Oder-Spree das mit Abstand höchste Beschäftigungswachstum im Wirtschaftszweig der KFZ-Herstellung beschert.
Die Beispiele machen deutlich: Im Transformationsprozess werden nicht nur Stellen abgebaut, sondern auch neue Jobs geschaffen. Bundesweit sind laut der IW Consult-Studie mittlerweile rund 182.000 Beschäftigte in den „Chancenfeldern“ der Automobilbranche tätig. Das sind knapp 46 Prozent mehr als 2021. Die meisten dieser Jobs haben mit der Elektrifizierung des Antriebsstrangs zu tun. Doch auch die Stichworte Automatisierung und Vernetzung gewinnen an Bedeutung.
Anpassen oder untergehen?
In der regionalen Verteilung dieser „neuen“ Jobs machen sich erneut die Branchen-Schwergewichte bemerkbar. Gut 68 Prozent der Stellen verteilen sich demnach auf Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen. Allein in den Autohochburgen Stuttgart, Wolfsburg und Ingolstadt arbeiten rund 40.000 Beschäftigte, also mehr als jede fünfte Person, die diesen zukunftsweisenden Bereichen zugeordnet werden kann.
Die großen Automobilstandorte bleiben wohl auch in Zukunft relevant. Viele kleinere Betriebe im Dunstkreis der Branchenriesen könnten jedoch auf der Strecke bleiben, wenn durch die Umstellung auf E-Mobilität Großaufträge wegbrechen. Im besten Fall finden die Firmen neue Kunden und Geschäftsfelder außerhalb der Autosparte. „Maritime und Verteidigungstechnologie, Medizintechnik, Luft und Raumfahrt, erneuerbare Energien: Das sind alles Branchen, in denen die Kompetenzen von Automobilherstellern gefragt sind“, sagt Kempermann. Auch für die die Beschäftigten sieht der Experte in Zeiten des Fachkräftemangels gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
Klar ist aber auch: Der Anpassungsdruck nimmt zu. Durch das Festhalten an fossiler Technik habe die deutsche Autoindustrie bereits viel wertvolle Zeit verloren, bemängelt der IW-Berater. „Wir diskutieren nun schon seit über zehn Jahren über Elektromobilität. Die Technologiesprünge sind gerade atemberaubend“, bemerkt Kempermann. Für den Wirtschaftsstandort Deutschland steckt in dieser Beobachtung zugleich aber auch eine Warnung: „In den nächsten zehn Jahren muss man attraktive E-Mobilität anbieten, sonst ist man einfach raus“, sagt der Experte.